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01. 07. 2014 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Stiftung Mercator

Höheres Lebenstempo in China Exklusiv

Schlagwörter: Salon, Michael Kahn-Ackermann, Stiftung Mercator

Michael Kahn-Ackermann im Interview mit China.org.cn.

China.org.cn: Sie haben einmal bei einer Literaturkonferenz einen Vortrag mit dem Titel "Vorteile der Missverständnisse" gehalten. Wie kann man dies verstehen?

Ackermann: Das war 1986 bei einer Konferenz über die chinesische Gegenwartsliteratur in Shanghai. Beim Kontakt zweier Kulturen kommt es zumeist zu Missverständnissen. Missverständnisse können negative Folgen haben, aber zugleich gibt auch kreative Missverständnissen, die neue Ideen hervorbringen. Normalerweise sieht man in einer fremden Kultur immer sich selbst. Das heißt, man sieht, was man sehen möchte oder was für einen selbst nützlich ist.

Ein Beispiel ist die europäische Rezeption des Konfuzianismus im 18. Jahrhundert. China war während der Aufklärung in Europa besonders beliebt, da man im Konfuzianismus eine gesellschaftliche Moral sah, die ohne Gott auskam. Daher glaubte man, die eigenen aufklärerischen Ideale seien in China verwirklicht. In Wirklichkeit war dieses Verständnis des Konfuzianismus die Projektion eigener Wünsche und hatte mit den tatsächlichen chinesischen Verhältnissen nichts zu tun. Allerdings war dieses Missverständnis sehr kreativ und nützlich für die eigene Entwicklung.

Deswegen geht es beim kulturellen Austausch oft nicht so sehr um richtiges oder falsches Verständnis, sondern eher darum, ob es kreativ ist. Missverständnisse können oft nützlicher und fruchtbarer sein als "richtiges" Verständnis.

China.org.cn: In Deutschland ist das China-Bild nicht so positiv. Hat es sich in den vergangenen Jahren verbessert?

Ackermann: Das ist relativ stabil. Die letzten Umfragen sagen, dass 76 Prozent der Deutschen ein eher negatives Bild von China haben. Das ist eine große Zahl. Trotzdem reisen viele Deutsche nach China und es gefällt ihnen sehr gut.

Man muss solche Umfrageergebnisse richtig verstehen und differenziert betrachten. Das negative Bild bezieht sich auf ein politisches System. Ein Deutscher kann chinesisches Essen lieben, sich für chinesische Kultur interessieren, chinesische Freunde haben. Aber bei einer Befragung sagt er, sein Eindruck von China sei negativ, und meint damit die politischen Verhältnisse. Das heißt, solche Umfragen beziehen sich immer auf einen Teil der Wahrnehmung, nie auf die gesamte Wahrnehmung.

Der Grund für Vorurteile liegt hauptsächlich darin, dass Menschen in der Regel weniger etwas Neues suchen, als Bestätigung für ihre vorgefassten Bilder. Deswegen sind Stereotypen schwer zu ändern. Jede Information, die das negative Bild von den politischen Zuständen Chinas bestätigt, wirkt viel stärker als Informationen, die diesem Bild widersprechen.

Das ist nicht spezifisch deutsch. Das gilt für Menschen im Allgemeinen und ist in China nicht anders. Das Japan-Bild der Chinesen ist auch nicht besonders gut. Das hindert Leute nicht daran, japanische Freunde zu haben oder gerne japanische Literatur zu lesen. Aber jede Rede von Abe bestätigt das schlechte Bild. Deswegen haben diese Reden auf das Japan-Bild der Chinesen mehr Einfluss als irgendein positives Element, wie etwa die großartige japanische Literatur.

China.org.cn: Die deutschen Medien berichten zumeist negativ über China. Haben die deutschen Medien zu diesem negativen Stereotyp beigetragen?

Ackermann: Das ist ein wechselseitiger Prozess. Die deutschen Medien sind kommerzielle Unternehmen. Sie schreiben so, wie sie glauben, dass ihre Leser es gerne haben. Da viele Leser ein eher negatives China-Bild haben, ist es für sie gut, dieses negative Bild zu bestätigen. Das erwarten die Leute. Wenn sie das negative Bild nicht bestätigen, reagieren die Leute eher ablehnend. Wenn der "Spiegel" plötzlich einen extrem positiven Bericht über China bringen würde, würden sich die Leser fragen, ob die Journalisten bestochen worden sind.

Dahinter steht keine Strategie, China schlecht zu machen, sondern ein komplexer Prozess, bei dem es darum geht, vor allem aus kommerziellen Gründen Erwartungen der Leute zu bestätigen, die sie ohnedies schon haben.

Die chinesischen Freunde verstehen die Realität der Medienberichterstattung im Westen oft nicht und nehmen an, dass die deutsche Regierung befiehlt, schlecht über China zu schreiben. Das stimmt nicht. Medien bedienen die Erwartungen ihrer Leser. Wenn die Erwartungen negativ sind, dann bedienen sie negative Erwartungen. Damit formen sie diese gleichzeitig mit und verstärken sie, das ist ein Teufelskreis.

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Quelle: german.china.org.cn

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