Interview mit Johannes Rau |
Am Donnerstagabend gab der deutsche Bundespräsident, Johannes Rau, China Radio International (CRI), als einzigem Vertreter der chinesischen Medien, ein Interview, das wir hier in voller Länge veröffentlichen. Der Bundespräsident weilt seit Mittwoch in China. Es handelt sich dabei um Raus ersten Staatsbesuch in seiner Position als Bundespräsident. Auf dem Programm der einwöchigen Reise stehen sowohl politische Gespräche mit chinesischen Spitzenpolitikern, als auch Konsultationen über die Wirtschaftsförderung sowie den Austausch beider Länder in Wissenschaft, Kultur und Bildung. Insgesamt geht es um die Förderung der bilateralen Beziehungen. CRI:"Herr Bundespräsident, im vergangenen Jahr haben China und Deutschland das 30jährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen gefeiert. In den drei Jahrzehnten gab es Erfolge und auch gelegentliche Tiefs. Wenn Sie heute als Bundespräsident auf die vergangenen 31 Jahre zurückblicken, wie würden Sie die Geschichte der bilateralen Beziehungen bilanzieren?" Rau:"Als das 30. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen gefeiert wurde, war der frühere Bundespräsident Walter Scheel zu Gast in Peking, weil er vor 31 Jahren Außenminister war, weil er diese Beziehungen eingeleitet hat. Und mit ihm würde ich sagen, diese Beziehungen sind eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte geworden. Wir begegenen uns heute als Freunde. Wir haben auf einer Fülle von Gebieten wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Art enge und gute Beziehungen. Und weil wir gute Freunde sind, können wir auch unterschiedliche Positionen freimütiger äußern, als wir das früher getan haben. Das ist nicht immer gleich der Kampf, sondern das ist die Suche nach dem richtigen Entwurf." CRI:"Sie sind zum ersten Mal als Bundespräsident in China. Aber ich bin sicher, dass Sie schon viel über China erfahren haben, sei es durch die Medien oder von anderen Politikern – beispielsweise war ja Bundeskanzler Schröder in den vergangenen 5 Jahren bereits viermal in China. Mit welchen Erwartungen sind Sie also nach China gekommen?" Rau:"Ich selber bin das dritte Mal in China, aber ich kenne eben das China der 80er Jahre. Deshalb bin ich erstmal mit großer Neugier gekommen und bin ganz fasziniert von den Frotschritten, die Sie in der Technik, der Wirtschaft, in der Verkehrspolitik, in vielen vielen Bereichen gemacht haben. Ich denke, China ist eine Weltmacht, die auch eine Wirtschaftsmacht von großem Range ist und noch stärker wird. Das ist die Frage: Wie wirkt sich das aus auf die Zivilgesellschaft? Da bin ich voller Interesse. Wie wird sich China verändern als internationale Wirtschaftsmacht? Im Blick auf die zivile Gesellschaft, auf den Glauben und die Überzeugungen der Menschen, auf ihre Lebensart, wie wird das Stadt-Land-Gefälle sich enwickeln? Wie werden sich die Generationen zueinander verhalten? Also, das ist ein Land, das man mit großen neugierigen Augen immer wieder besuchen werden muss." CRI:"Können Sie verraten, was das Wichtigste im Programm dieser Reise ist?" Rau:"Vor allen Dingen Wirtschaftskontakte, dann auch Universitätskontakte. Ich werde drei Universitäten besuchen, und habe drei Mal Gelegenheit, in den Universitäten auch zu sprechen. Das scheint mir auch besonders wichtig, denn wenn wir die junge Generation nicht zusammenführen, wenn wir den Studentenaustausch nicht fördern, wenn wir die Sprachfähigkeit der Menschen nicht fördern, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wieder eine Mauer entsteht. Das ist dann keine Mauer wie die chinesische, sondern eine solche, wie wir sie in Deutschland erlebt haben." CRI:"Zwar sind Sie zum ersten Mal zu einem Staatsbesuch hier in China, aber Sie hatten ja schon Begegnungen mit Vertretern der neuen chinesischen Führung, beispielsweise mit Staatspräsident Hu Jintao, der vor 2 Jahren in seiner damaligen Eigenschaft als stellvertretender Staatspräsident in Deutschland war. Welchen Eindruck haben Sie vom neuen chinesischen Führungskollektiv?" Rau:"Ich glaube, sie (die Führung) ist tatkräftig und sie ist reformwillig. Allerdings bin ich allen jenen in der jetzigen Führung früher schon begegnet, meist in Deutschland." CRI:"Welchen Eindruck haben Sie von Herrn Hu persönlich?" Rau:"Ein kenntnisreicher und nach meiner Überzeugung ein gesprächsfähiger und dazu auch zuhörfähiger Mann, der eine große Zuneigung auch gegenüber Deutschland empfindet." CRI:"Nun zur letzten Frage. Die internationale politische Struktur hat sich in den letzten Jahren, insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, sehr verändert. China ist ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates, Deutschland als nichtständiges Mitglied ist einer der wichtigsten Staaten der EU und strebt nach einer stärkeren Rolle in den internationalen Angelegenheiten. Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Beziehungen zu China für Deutschland, für die EU und schließlich für die Neugestaltung der Welt insgesamt?" Rau:"Sie können das ja daran erkennen, dass China und die Bundesrepublik Deutschland im Weltsicherheitsrat jeweils gleich abgestimmt haben. Wir haben in der Frage des Irak-Krieges enge Kontakte gehabt, sind zu gleichen Überlegungen gekommen, sind beide entschlossen, gegen den Terror zu kämpfen mit allen rechtstaatlichen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, halten aber den Krieg nicht für ein geeignetes Mittel. Und im Augenblick blicken die Deutschen voller Hoffnung auf China, weil sie die Erwartung haben, oder doch mindestens eben die Hoffnung, dass China dabei helfen könnte, dass Korea, das aus zwei Staaten besteht, eine Halbinsel ohne Atomwaffen sein und bleiben wird. Und da ist die Stimme Chinas unverzichtbar. Ich glaube, dass Deutschland und China viele gemeinsame Interessen zu vertreten haben. Ich glaube auch, dass es Unterschiede gibt. Die spricht man dann aus. Das gehört zu einer wirklichen Freundschaft. (CRI/China.org.cn, 13. September 20) |