Otto Braun – ein Deutscher in Mitten der chinesischen Revolution |
Ein kleiner Tempel mit weißen Wänden und schwarzen Dachziegeln steht in der sengenden Sonne in einem grünen Reisfeld. Weder Frösche noch Zikaden sind in der stillen, ruhigen Landschaft zu hören. Der Tempel liegt in Ruijin, mehr als 400 Kilometer entfernt von Nanchang, der Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Jiangxi. Ruijin war in den 1930er Jahren die Hauptstadt des ersten von der Kommunistischen Partei (KP) Chinas gegründeten Staates. Anwohner erzählen, der Tempel sei mehrfach zerstört und wiederaufgebaut worden. Vor über 70 Jahren wurde er als "das einsame Haus" bezeichnet, da sich keine anderen Gebäude in seiner Nähe befanden. In seinem Werk "Der Lange Marsch" beschreibt der amerikanische Schriftsteller Harrison E. Salisbury den Tempel als trostlos. Während der Wirren der 1930er lebte dort ein Mann namens Otto Braun. Braun war ein deutscher Militärberater, der von der Komintern, dem sowjetischen Organ zuständig für Kommunistische Parteien in anderen Ländern, nach China abgestellt worden war. Otto Braun war nach dem Ersten Weltkrieg Agitator und Straßenkämpfer gewesen. Außerdem hatte er in der Sowjetunion an der Frunse-Militärakademie studiert. Brauns chinesischer Name war Li De, von dem er annahm, dass er "Li der Deutsche" bedeutet. Im Rahmen der Feiern zum 70. Jahrestag des Sieges nach dem Langen Marsch, wurde Otto Braun von einer Beijinger Zeitung in Zusammenarbeit mit der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften als einer der 50 einflussreichsten Ausländer der modernen chinesischen Geschichte gewählt. Heute heißt der kleine Tempel Fuzhu und ist dem Gott des Glücks geweiht. Im Hauptraum des Tempels hängt eine Tafel von der Decke, auf der die Worte "Die Götter werden dir helfen, alle deine Wünsche zu erfüllen" stehen. Unter der Tafel befindet sich eine Nische mit kleinen Statuen der fünf Getreidegötter – Reis, zwei Sorten Hirse, Weizen und Bohnen. In einer Ecke des Raumes stapeln sich gelbe Tische und Stühle, die den Tempel ein wenig wie ein Restaurant wirken lassen. Der Tempelwächter sitzt auf einem Bambusstuhl an der Türschwelle und döst vor sich hin. Eine Bauernfrau mit ihrem fünf Jahre alten Sohn rastet ebenfalls in dem Tempel. Sie haben noch nie von Li De oder Otto Braun gehört. Es gibt immer noch Meinungsverschiedenheiten darüber, wo der deutsche Militärberater genau gelebt hat. Einige Experten für die Geschichte der KP sind der Ansicht, dass Braun nicht in dem kleinen Tempel sondern in einem extra für ihn errichteten Haus 100 Meter südöstlich des Tempels lebte. Aber es gibt keine Spuren von dem Haus. In dem Dorf Guanshan, etwa einen halben Kilometer von dem Tempel entfernt, lebt der 84 Jahre alte Yang Shixiang. Yang erzählt, er sei, als er 13 Jahre alt war, oft bei Brauns Wohnung gewesen, um mit den Helfern des Deutschen zu spielen. Yang erinnert sich an einen rothaarigen und rotbärtigen, kräftig gebauten Ausländer. Braun ritt immer auf einem braunen Pferd und in Begleitung seiner Leibwächter, wenn er sein Haus verließ oder dorthin zurückkehrte. "Wir hatten nie Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Auch durften wir seine Räume nicht betreten", erzählte Yang. "Deng Xiaoping war anders. Ich habe oft Zigarettenpackungen aufgesammelt, die in Dengs Raum auf den Boden gefallen waren. Wenn Deng mich dabei sah, nannte er mich einen ungezogenen Jungen." Das eigentümliche politische Leben innerhalb der KP, die der Komintern nahezu uneingeschränkt folgte, bedeutete, dass Otto Braun große Autorität im Bereich der militärischen Führung genoss und enormes Prestige besaß. Selbst Zhu De, einer der Gründer der Roten Armee in China und ein erfahrener Kommandeur, besuchte Brauns Heim anfänglich beinahe täglich, um ihn um Rat zu fragen. Trotz der schwierigen Bedingungen in Ruijin scheute das Zentralkomitee der KP Chinas keine Mühe, um für Braun zu sorgen. Ruijin war zu dieser Zeit von den Truppen Chiang Kai-sheks, dem damaligen chinesischen Machthaber belagert. Braun wurde mit Sekretärinnen, Übersetzern, Leibwächtern und hervorragenden Ärzten und Führern versorgt. Die von ihm geliebten Zigarren und Kaffee wurden aus großen Städten wie Shanghai und Guangzhou herangeschafft. "Li De bekam nur die nahrhaftesten und leckersten Gerichte. Er aß jeden Tag Ente", sagte Yang. Laut Liu Liang, einem lokalen Experten für die Geschichte der KP Chinas, stritten sich Mao Zedong und Braun bei jedem von Maos fünf Besuchen, da Braun Maos Ideen über den Guerillakrieg verabscheute. Mao wurde später entmachtet und sein Einfluss beschränkt. Nach Angaben von Wu Xiuquan, dem Dolmetscher von Otto Braun, sprach Braun weder ein Wort Chinesisch, noch besaß er irgendwelche Hintergrundinformationen über China. Anstatt die realen Gegebenheiten zu analysieren, wandte er schlicht Konzepte der Militärakademie an. Die Ergebnisse seiner törichten Leitung waren katastrophal: schwere Verluste an Menschenleben und kommunistischem Territorium während des fünften Feldzuges von Chiang Kai-shek. Im Juli 1934 wurden die zentralen Verbände der KP nach Shazhouba am Berg Yunyan verlegt. Noch heute können Touristen im Dorf Yabei am Berg Yunyan ein zweistöckiges Haus im Jiangxi-Stil besichtigen. Eine Tafel an der gelben Ziegelwand berichtet, dass Otto Braun von Juli bis Oktober 1934 hier lebte. Mit ihm gemeinsam lebten zwei führende Köpfe der KP dort: Zhu De und Wang Jiaxiang. Die drei Männer begannen den Langen Marsch von hier aus. Braun war der einzige Ausländer in der Roten Armee, der den Langen Marsch von Anfang bis Ende mitmachte. "Ursprünglich war es Braun, der die Idee der Evakuierung hatte, die später als der Lange Marsch bezeichnet wurde. Dies war eine weise Entscheidung, die in Erinnerung bleiben sollte. Chinesische Historiker sind sich in diesem Punkt einig", sagte Ling Buji, ein Experte für die Geschichte der KP Chinas. Auch Brauns letzter Wohnort in China wurde als "einsames Haus" bezeichnet. Im Januar 1935 wurde in Zunyi, in der südwestchinesischen Provinz Guizhou, ein Treffen abgehalten. Auf diesem Treffen traf die KP Chinas zum ersten Mal seit ihrer Gründung eine unabhängige Entscheidung über die Zukunft der Revolution in China. Das Zunyi-Treffen war frei von Interventionen der Komintern und wird als bedeutender Wendepunkt in der Geschichte der KP Chinas gewertet. Es war das erste Mal, dass die KP Chinas eine unabhängige strategische Entscheidung über den Verlauf der chinesischen Revolution traf. Braun wurde seines militärischen Kommandos enthoben, und die Führung des Neuen China mit Mao in ihrem Zentrum begann Gestalt anzunehmen, erklärte Shi Zhongquan, ein Parteihistoriker in Beijing. Braun kehrte 1939 in die Sowjetunion zurück. Nach dem Krieg verbrachte er ein friedvolles Leben in Ostdeutschland, wo er 1974 im Alter von 73 Jahren starb. Liu Liang erzählte, dass er seit 2000 über ein Dutzend Journalisten und Wissenschaftler aus den USA, Kanada, Israel und anderen Ländern empfangen hat, die sich alle für Otto Braun interessierten, und alles bis hin zu seinem Alltag und seinem Aussehen, wenn er die Nerven verlor, wissen wollten. (China.org.cn, Xinhua, 16. September 2006) |