Der Elektro-Experte Exklusiv

13.05.2016
 

Und wie sieht der langjährige Begleiter der chinesischen Elektroszene die Entwick-lung des Genres in den letzten Jahren? „Ich glaube, man sollte nicht den Fehler machen, sich nur auf Beijing zu konzentrieren. Elektronische Musik ist in China eine ganz junge Kultur. Das heißt, man kann nicht erwarten, dass sich aus dem Nichts Dinge entwicklen. Es ist normal, dass nach einer ersten Euphorie über die Begegnung mit etwas Neuem dann auch andere Prozesse ergeben müssen, die zu einer eigenständigen Form führen können. Im Bereich DJ-Kultur gibt es schon seit den 90er-Jahren eine sehr konstante Entwicklung, wobei wir hier natürlich von einer Nischenkultur sprechen. In Beijing wird es zunehmend schwierig, geeignete Venues zu bespielen, viele mussten in den vergangen Jahren schliessen, was allerdings auf alle Musikbereiche zutrifft, die nicht Mainstream sind. In Shanghai sieht die Situation etwas anders aus, weil das Publikum größer und williger ist, auch in diesem Bereich Geld auszugeben. Dort ist man in der DJ-Kultur weiter, viele internationale Acts machen auf ihren Asien-Tourneen in Shanghai Station, weil es dort die passenden Venues gibt. In Beijing ist es hart, den Künstlern adäquate Honorare anzubieten. Allerdings ist es interessant, dass sich in Städten wie Chengdu oder Chongqing gerade neue Sachen ergeben. Dort entstehen Clubs, die vielleicht ein bisschen kleiner sind, aber auch ein bisschen mehr Freiraum haben und ihre lokalen Kräfte besser bündeln können. Ich glaube, dass das eine sehr interessante Entwicklung ist. Ich bin gespannt, was sich da noch entwickelt und man sollte nicht immer auf die großen Zwei schauen, es gibt eben auch Potenziale an in ganz anderen Orten. Im Bereich der experimentellen Musikkultur ist Beijing nach wie vor am stärksten, doch mit dem Wegfall von Venues wie XP, Zajia Lab und anderen ist ein musikalischer und sozialer Einschnitt passiert. In der sozialen Struktur der Musikszene sehe ich zudem ein weiteres Problem, da es sich innerhalb von den bestehenden Zirkeln um immer dieselben Protagonisten dreht. Die Szene veraltert und junge Talente werden weder gepusht noch integriert“.

 

Und welche chinesischen Acts würde der Elektroexperte Schneider musikbegeister-ten und interessierten Deutschen empfehlen? „Ich sehe Potenzial in Leuten wie iimmune, die aus dem Postrock kommen, elektronische Musik für sich entdeckt haben um ihre musikalische Grammatik erweitern, was zu sehr eigenständigen Ergebnissen führt, die so gut sind, dass man sie unbedingt hören sollte. Sie können Einfluss gewinnen, indem sie andere Ohren erreichen, das dauert aber noch eine Weile und ist nur durch Netzwerke mit allen Möglichkeiten und Venues in China möglich. Darüber hinaus ist Shao (formerly known as Dead J) extrem wichtig. Shao ist der erste chinesische Künstler, der auf dem Tresor-Label veröffentlicht hat, dies geht auf meine Verbindung zum Tresor-Projekt in China und Sinotronics Berlin zurück, dort ist Dimitri Hegemann auf Shao aufmerksam geworden. Duck Fight Goose sind des weiteren zu nennen, offiziell eine Math-Rockband, aber mittlerweile so elektronisch, dass ich sie als ganz wichtigen Teil der elektronischen Musikszene sehe, vor allem durch den Bandleader Han Han, der ja auch ein interessantes mit seinem Soloprojekt GOOOOOSE neue Wege geht. Wichtig sind die Pioniere FM3 (Buddhamachine), sowie Soviet Pop, Hong Qile (Brainwave Label), Meng Qi (der einzigartige elektronische Musikinstrument baut - www.mengqimusic.com), White+ (Zhang Shouwang und Wang Xu) plus FAR/∞ (Liu Yiwei) und JFI (Zhang Jianfu), gemeinsam mit iimmune der vielleicht wichtigste und eigenständigste elektronische Musiker Chinas sowie als weibliche Vertreter NARA, die Grand Dame der elektronischen Musikszene Chinas und die junge Beijinger Produzentin Menghan, die in den letzten beiden Jahren einen ganz neuen Sound entwickelt hat. In Shanghai wäre neben Han Han MHP (Ma HaiPing) zu nennen, der als DJ und Producer hauptsächlich im Bereich Techno arbeitet und darüberhinaus sehr facettenreich produziert hat. Wichtigste Newcomer sind Stolen aus Chengdu, die Rock und Elektronik auf eine sehr einzigartige Art und Weise zusammenbringen und die das Potenzial haben, ein größeres Publikum zu erreichen und alleine dadurch elektronische Musikkultur auf eine chinesische Art und Weise zu entwickeln und zu promoten. Es gibt viel zu entdecken und ich kann hier nur einen kleinen Ausschnitt wiedergeben. Ich bin zudem kein Hellseher und kann nur sagen: Das braucht Zeit.

Schlagworte: Designer,Consultant,Markus M Schneider ,China, MMS ,Beijing,elektronische Musik

      1   2   3   4  


Diesen Artikel DruckenMerkenSendenFeedback

Ihr Kommentar

Beitrag
Ihr Name
Anonym
Kommentare (0)