Chinas Neue Seidenstraße
Eine Globalisierung und eine Sache des Vertrauens Exklusiv
Solche Beispiele illustrieren, wie leicht es ist, Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße unter falsche Begriffe zu bringen. Diese kulturelle Gewohnheit, einen Gürtel und einen Weg zu denken, ist kein großes Problem, aber ein bedeutsames. Es erhält erst Gewicht, wenn es zu spät gelöst wird. Wir haben es über Jahrzehnte versäumt, derartige Gespräche zu führen und dabei zu lernen einander zu verstehen und zu bereichern. Heute, da wir uns überall begegnen, auf den Märkten, in der Forschung, als Reisende, im Internet - brauchen wir einen gemeinsamen geistigen Horizont. Die Arbeit an einer „Neuen Seidenstraße“ kann diesen heranbilden.
Europa verharrt jedoch in der Haltung der Steuerung und Kontrolle von Entwicklungen, die aus dem alten Maß geraten sind. Kolonialismus und die Dominanz der transatlantischen Ausrichtung vergehen zusehends. Wie können wir uns neu orientieren, in dieser Welt außerhalb der Komfortzone, die der Kalte Krieg für Westeuropa eingerichtet hatte?
Afrika und Eurasien bilden ein kontinentales Dreieck. Europa folgt seinem Impuls, die Frontlinie eines nur noch geistig konstruierten Eisernen Vorhangs zu verschieben: immer weiter nach Osten. In diese Verdrängungs-Utopie mischt sich ein schlechtes Gewissen, mit einem immer weniger verschämten Rassismus und Chauvinismus. Der richtet sich zwar nicht so offen gegen Chinesen wie gegen Afrikaner und Muslime, denn Armut gilt verbreitet als der schlimmste Makel. Aber er ist hartnäckig.
In Europa hat sich ein ideologischer Rassismus aufgestellt, in dem traditionelle Vorbehalte gegen China als eine „Kultur ohne Gott“, als „kommunistischer Zwangsstaat“ und als „skrupelloser Wirtschaftsriese" zusammenwirken. Wohl hat Deutschland sich intensiv mit seiner Geschichte des südlichen Kolonialismus auseinandergesetzt, die östliche Variante der uralten Furcht vor den „Horden der Khans“ ist dagegen kaum reflektiert. Zwar geben viele Menschen zu, dass der momentane Wohlstand Europas auch mit dem verbrecherischen Wirtschaftsmodell des Kolonialismus oder seiner aktuellen Fassung, dem Neoliberalismus zusammen hängt.
Bei der notwendigen Arbeit an der Idee gerechterer Zustände und ihrer Umsetzung will man sich nicht ausgerechnet China anvertrauen. Warum eigentlich nicht?
Kulturelles Desinteresse und fehlende Auseinandersetzung mit China begünstigen in Europa zusammen mit einem als selbstverständlich erlebten Wohlstand eine intellektuelle und politische Fantasielosigkeit, ebenso eine Haltung des Erwartens und der Ansprüche. Führende Politiker beklagen, China versuche ein hegemoniales Modell internationaler Kooperation durchzusetzen. Diese Vorwürfe erweisen sich als selbst-erfüllende Prophetie: Europa beansprucht die Hegemonie des Tischherrn - ist noch immer nicht darauf eingestellt, China auf Augenhöhe zu begegnen und verlegt sich auf Trotz, sobald es Mühe macht. Wenn es heißt, dass aktuell 89 Prozent aller Vorteile der Seidenstraße bei chinesischen Firmen ankommen, dann spricht das für rationale Politik und gegen Europas Weisheit. Europa hat sich dem offenen Prozess schlicht verweigert.
Eine wichtige Rolle spielen außerdem die von den Verteidigern der alten Weltordnung geschürten Verschwörungstheorien: Chinas Einfluss im Westen, auf die informellen und internen Schaltstellen von Wissen und Macht, nimmt stetig zu. Warum soll aber, was unter transatlantischen Freunden seit langem ein Gebot realpolitischer Klugheit ist, besonders bedrohlich sein, weil es nun auch China versteht? Normalisierung auf Augenhöhe ist willkommen, auch wenn einem die Dinge die man selbst tut im Spiegel nicht gefallen. Es ist vielleicht eine gute Nachricht, dass unter seinem neuen Direktor der größte Chinesischen Thinktank in Deutschland, das Merics, nun zunächst den Aufbau von Chinakompetenz in Europa bewirken will. Denn es lohnt sich zu wissen von wem man spricht und was man erreichen will, ehe man das Tischtuch zerschneidet.
Vertrauen wir auf die Kraft und Klugheit unserer Kinder, öffnen wir ihnen die Wege, die uns mit der Zukunft verbinden! Dieses heitere Zutrauen dient weitaus vernünftiger einer Selbsterfüllenden Prophezeiung zum Guten Gedeihen der Neuen Seidenstraße als Unwissen und Feindseligkeit der Vergangenheit.
Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologie. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken“ mitbegründet.