Deutsch als Fremdsprache in China
Experten sehen Mangel an qualifizierten Lehrkräften Exklusiv
von Ren Bin, Shanghai
Auf dem Campus der Tongji-Universität, die vor 111 Jahren vom deutschen Arzt Erich Paulun gegründet wurde, befindet sich eine deutsche Bibliothek. Mit einer Fläche von 3000 Quadratmeter ist sie die größte ihrer Art in Asien. Seit der Einweihung Anfang 2016 werden hier zahlreiche Veranstaltungen über Deutschland und die deutsche Sprache abgehalten. Selbst diejenigen, die sich nur kurz hier aufhalten, hören immer wieder Gespräche, die auf Deutsch geführt werden.
Gruppenfoto der Teilnehmer der DaF-Konferenz 2018 bei der Eröffnung.
Genau in dieser Bibliothek fand kurz vor dem chinesischen Nationalfeiertag die DaF-Konferenz 2018 statt. Trotz des damals immer noch schwülen Wetters in Shanghai nahmen Lehrerinnen und Lehrer aus Deutschabteilungen zahlreicher Hochschulen aus ganz China und Experten für Deutsch als Fremdsprache (DaF) sowie Germanistik aus Deutschland auf Einladung des Goethe-Instituts China an der Konferenz teil. Vorträge, Workshops und Diskussionen, alles war auf Deutsch.
Im Reich der Mitte nimmt das Interesse am Deutschlernen seit einigen Jahren ständig zu, zumindest quantitativ. 1990 habe es in der Volksrepublik nur 19 Deutschfakultäten gegeben, in diesem Jahr schon 117, berichtete Zhao Jin, Dekanin der Tongji-Universität in ihrem Impulsvortrag. Inzwischen habe sich auch die Zahl der Hochschulen, die studienbegleitende DaF-Kurse anbieten, mehr als verzweifacht. Zur Jahrtausendwende hätten zunächst nur einzelne Mittelschulen in China Deutsch als zweite Fremdsprache eingeführt. Derzeit lerne man an 47 Schulen Deutsch als erste und an 82 Schulen als zweite Fremdsprache. Eine steigende Tendenz, fuhr die Professorin fort. Germanistiklinguist Ulrich Ammon sieht sogar großen Entwicklungsbedarf. Im Vortrag verglich der bereits in Ruhestand getretene Professor, der extra aus Deutschland nach Shanghai angereist war, die Zahl Deutschkönner in China – angesichts der Gesamtbevölkerung – mit einem Tropfen im Ozean. Proportional gesehen hätten nur 0,085 Promille der Chinesen die Sprache gelernt, während es in den USA das 7,6-fache sei und in Russland sogar das 126,2-fache.
Ob sich das Deutschlernen, vor allem in den Germanistikabteilungen in Chinas Hochschulen, auch qualitativ gut entwickelt hat, dahinter muss man allerdings ein Fragezeichen setzen. Ein Gegenbeispiel nannte Jia Wenjian, Vorsitzender des Anleitungskomitees für Germanistik des Bildungsministeriums und zugleich Vizerektor der Fremdsprachenuniversität Beijing, in seiner Rede. Das Ministerium habe 490 Moocs (Massen-Onlinekurse) ausgezeichnet, auf die keine einzige Veranstaltung aus dem Bereich der Germanistik komme. Auch Zhao gab zu „in der Tat stellt das Germanistikstudium in China im Kern ein Sprachstudium dar“, welches durch andere Komponenten mit Einführungscharakter ergänzt werde.
Absolventen der Germanistikfakultäten stellen in China die Hauptquelle der neuen Hochschul- sowie Schullehrer für das Fach Deutsch dar. Beim Berufseinstieg haben sie oft weder didaktische Kenntnisse noch praktische Erfahrungen. Laut dem Ergebnis einer landesweiten Umfrage aus dem Jahr 2003 verfügen 62 Prozent der befragten Lehrer nicht über einen didaktischen Hintergrund. Und die Situation bleibt unverändert: Es gibt bis heute noch keine chinesische Institution, die Deutschlehrer ausbildet und die Einrichtung eines Aufbaustudiums des Faches DaF hängt noch immer in der Luft.
Umgekehrt ist der Beruf des Lehrers mit absolutem Abstand die am meisten ausgeübte Tätigkeit für Germanistik-Absolventen in China. Die deutschen Unternehmen im Ausland, insbesondere die großen Konzerne, würden die Deutschkenntnisse oft kaum als Zusatzqualifikation anerkennen, wie Ammon in seiner Präsentation zeigt. Jedoch lernen nur wenige Leute Deutsch, um Goethes Gedichte zu lesen, wie Ammon sagt, sondern vor allem, um einer Berufstätigkeit nachzugehen. Im berufsbezogenen Kontext scheine die Förderung der Lehrerausbildung umso wichtiger zu sein.