Aufbau einer multilateralen Weltordnung
Chinas Außenminister wirbt um gemeinsame Verantwortung Exklusiv
Immer wieder bettet der chinesische Chefdiplomat Kritik in eine schlichtende Sprache ein. Obwohl 40 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen den USA und der VR China eine durchwachsene Bilanz aus „Wind und Regen“ ergeben, gäbe es keine Alternative als „die chinesisch-amerikanischen Beziehungen auf der Grundlage von Koordination, Zusammenarbeit und Stabilität gemeinsam zu fördern“. Aus dieser Position der realen Stärke Chinas und den eng verflochtenen Beziehungen zwischen den Mächten rückt die aktuelle Regierung der USA in die Rolle eines renitenten Spielers, der von seinem geduldigen Kontrahenten an vernünftiges Benehmen gemahnt wird.
Die nordamerikanische Affäre um die Finanzchefin des Huawei-Konzerns, Meng Wanzhou, nutzt der Außenminister, um die grundsätzlichen Voraussetzungen einer multilateralen Ordnung auszubuchstabieren. Ohne die USA zu nennen, warnte Wang vor Versuchen, das Recht für politische Kämpfe zu missbrauchen. „Wir hoffen, dass alle Parteien sich an die Regeln halten, Vorurteile aufgeben und gemeinsam ein faires und wettbewerbsfähiges Marktumfeld für Unternehmen aus allen Ländern schaffen können“. Für China stehen die Erfahrungen des brutal egoistischen Umgangs mit internationalen Konventionen zu Zeiten der „Ungleichen Verträge“ am Ende der Kaiserzeit lebendig im Raum. Heute beherrscht China diese Regeln selbst und hat verstanden, dass bloß einseitige Vorteile niemandem auf Dauer nützen können.
Dieser Auftritt von Minister Wang beleuchtet einen weiteren Aspekt der Arbeitsteilung der chinesischen Führung in diesen Tagen: nachdem Ministerpräsident Li Keqiang am Dienstagdie inneren ökonomischen Grundlagen der Strategie der Wertschöpfung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinaspräsentiert hatte, folgt nun die Präsentation der Stellung Chinas nach außen. Wie es die Aufgabe der Wurzeln ist, einen Baum zu verankern, ihn zu ernähren und wachsen zu lassen, so bildet sich durch den Stamm die gesamte Gestalt, indem die dynamischen Prozesse im Innern, mit Rinde und Borke, zugleich mit der Umwelt im lebendigen Austausch stehen und sie schützend abgrenzen. Dies ist die Aufgabe der Außenpolitik, als Bestandteil eines abgestimmten gesamtpolitischen Zusammenwirkens der staatlichen Organe. Die Krone, mit Verzweigungen, Blattwerk und Wipfeln macht die Gestalt vollständig. Dem damit verbundenen Stoffwechsel eine Richtung zu geben, ist entsprechend die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, die in ihrer Breite der Volkskongress und in ihrer Ausrichtung die Staats- und Parteiführung verkörpern soll.
Auf dem Gebiet der Diplomatie hat China in den vergangenen 70 Jahren einen weiten Weg zurückgelegt. Der Außenminister beschreibt das Szenario mit dem Zitat des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, dass China immer näher an das Zentrum der Weltbühne gerückt sei. Der Außenminister zeichnet die aktuelle Politik in ihren globalen, historischen und zukünftigen Entwicklungszusammenhängen. Seit der Etablierung des souveränen Staates unter Bedingungen von Krieg und Chaos hat China in wachsendem Maße zur Stabilisierung der Weltlage beigetragen und unterstützt nunmehr aktiv multilaterale Win-win-Szenarien. Chinas Innen- und Außenpolitik sind auf eine Weise verwoben, die der Welt trotz mancher Risiken größere Stabilität geben kann. Gleichwohl gibt sich die Regierung nüchtern, im Bewusstsein, hierbei sowohl von der eigenen Bevölkerung als auch von internationalen Allianzen abhängig zu sein. Die Diplomatie tritt als Umgangsform der Weltgemeinschaft aus dem Schatten der Konfrontation von Machtpositionen und wird zu einem Navigationsinstrument. Aus Ideologie kann eine kommunikationsbasierte Sozial-Technologie werden, die Verantwortung für Frieden und Fortschritt über Grenzen hinweg teilt. Bei aller realpolitischen Nüchternheit: die Vorstellung einer kompetent, weitsichtig und lernend orchestrierten Entwicklung zündet ein kleines Licht der Hoffnung an.
Ob und wie europäische Regierungen Chinas interessanten Wandel durch vier Jahrzehnte würdigen können, ist nicht zu sehen. Auch ist nicht bekannt, ob die deutsche Bundesregierung beabsichtigt, die Weltöffentlichkeit an ihren politischen Überlegungen teilhaben zu lassen, indem sie Regierungserklärungen oder Pressekonferenzen in Echtzeit zum Beispiel ins Englische oder Chinesische überträgt. Auch hier können Europas Demokratien Impulse für Weltoffenheit gewinnen. Kleine Schritte sind die Voraussetzung, auf großen Wegen voranzukommen.
Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologe. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken“ mitbegründet. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.