Asiatische Zivilisationen

Verständigung für die Zukunft: Mit Begegnung und Austausch setzt Beijing auf die Nachhaltigkeit der Seidenstraßeninitiative in Asien Exklusiv

14.05.2019

Von Ole Döring, Berlin 

 

In Beijing wird am Mittwoch eine internationale Konferenz über den Dialog asiatischer Zivilisationen eröffnet. Diese Konferenz umfasst ein breites kulturelles Angebot. Dazu gehören, neben einer großen Vielfalt an Fachdiskussionen, eine Filmwoche, Folklore und Kunst, Geschichte und Tourismus sowie kulinarische Feste an mehreren Standorten über China verteilt. Der „asiatische Kulturkarneval“ erwartet 30.000 Gäste. Bei allen Veranstaltungen stehen die Begegnung und das Kennenlernen im Mittelpunkt. Das allgemeine Interesse scheint im Vorfeld groß: Nach Angaben der Organisatoren haben sich knapp 3000 chinesische und ausländische Journalisten registriert. 2000 Delegierte aus 47 Ländern werden von mehr als 3700 Helfern unterstützt, um diese Woche für alle Teilnehmer zu einem Erfolg zu machen.

 

Das Leitmotiv dieser Veranstaltungen ist, durch geteilte Erlebnisse in diesem bunten Miteinander die Grundlagen gegenseitigen Verstehens unter Menschen in Asien zu stärken. Schwerpunkte des gemeinsamen Nachdenkens werden in sieben Foren gesetzt. Sie behandeln die Modelle politischer Regelungssysteme in Asien; die Stabilität der Vielfalt asiatischer Zivilisationen; Kultur, Tourismus und Begegnung; die besondere Verantwortung der Jugend für die Entwicklung des kulturellen Erbes; die weltweite Bedeutung Asiens als kulturelle Ressource und Wege, voneinander für die Zukunft der Menschheit zu lernen. 

 

Die Vereinten Nationen unterstützen das Ereignis, indem die UNESCO mit dem chinesischen Bildungsministerium in diesem Rahmen ein Forum zum „Schutz der Vielfalt asiatischer Zivilisationen“ organisiert. Dabei geht es um die Geschichte und das geistige Erbe des Austauschs und Zusammenlebens der Menschen in Asien. Auf dieser Grundlage wird diskutiert, wie gemeinsame Perspektiven aus der Wiederbelebung der kulturellen Vielfalt der asiatischen Zivilisationen befördert werden können.  

 

Auch wenn neben der akademischen Debatte vor allem gemeinsame sinnliche Erfahrungen und Unterhaltung geboten werden, folgt die Organisation einem großen Plan mit erklärtem diplomatischem Konzept. Xu Lin, Minister und Leiter des Presseamtes des chinesischen Staatsrates, möchte der übertriebenen Redeweise von kulturell bedingten Konfrontationen oder sogar Zusammenstößen zwischen Ost und West Aufklärung entgegensetzen und durch dieses Programm zur Verständigung beitragen. Damit entsprechen die Organisatoren dem Wunsch von Staatspräsident Xi Jinping, der seit fünf Jahren ein derartiges Ereignis angeregt hat. Er selbst wird das Ereignis mit einer Rede eröffnen. In der Konzeption wird zwischen Zivilisation (文明) und Kultur (文化) unterschieden. Zivilisationen sind in ihrer Entwicklung sichtbarer Ausdruck kultureller Spezialisierung, sie wirken als unterscheidbare kollektive Akteure in einem übergeordneten Raum zusammen, der die allgemeinen Regeln und die Grundausrichtung des Miteinander vorstellt. Kultur ist hier Ausdruck der Arbeit an dem, was Menschsein bedeutet. Wenn es um die Zukunft geht, hält Kultur Szenarien für Lernen und Entwicklung der Zivilisationen offen.

Mit diesem gedanklichen Rahmen wird die kulturelle Grundlage der stetig fortgeschriebenen und angepassten Strategie der Selbststärkung von China aus auf die Region Asien erweitert. Vizeaußenminister Kong Xuanyou erläuterte auf einer Pressekonferenz: „Die historische Seidenstraßeninitiative war nicht nur für den Gütertransport da, sondern auch eine wichtige Arterie für den Kulturaustausch. Sie erstreckte sich über die Zivilisationen Ägyptens, Babylons und Indiens, und beherbergte buddhistische, christliche und islamische Gläubige“. Weitergedacht ergibt sich aus diesem Hinweis ein besonderes europäisches Interesse: Denn Eurasien erlaubt, trotz sichtbarer zivilisatorischer Übergangsregionen, weder geografisch noch kulturell scharfe Abgrenzungen. Die Einbeziehung Europas liegt in der natürlichen Logik der Entwicklung Asiens. Diese Dynamik kann aus oder unabhängig von hegemonialen Interessen gestaltet werden – je nachdem wie gut es gelingt, aus der Verständigung Vertrauen und Zusammenarbeit zu gewinnen.  

 

Die Organisatoren dieser Kulturwoche setzen den Akzent auf den Wunsch nach einer neuen Zukunft und die Sehnsucht nach einer tieferen Zusammengehörigkeit Asiens als sie durch bloße wirtschaftliche und politische Interessen gestiftet werden könnte. Die Herausforderung besteht in der Balance kluger Führung und breiter Beteiligung. Der Dialog ist ein Verfahren zum Einstieg in eine Verständigungspolitik. China geht unter dem Dach seiner Seidenstraßeninitiative anders vor als die deutsche Politik der Völkerverständigung unter Willy Brandt und Egon Bahr in den 1960er Jahren. Diese wollte zur Zeit des Kalten Krieges die Verhärtungen der ideologischen Blöcke mit einem „Wandel durch Annäherung“ auflösen. Dazu bedurfte es aufgrund der deutschen Kriegsverbrechen vor allem der Aussöhnung mit Osteuropa. Es ging um Frieden und Vertrauen auf allen Ebenen. Asien und die Welt sind heute, 50 Jahre später, trotz vieler Probleme in diesen Fragen weiter. China betont Narrative der Zukunft, die es gemeinsam zu erarbeiten gilt. Auf dem Weg dahin können, so das Versprechen, Widerstände in den Köpfen und Herzen nach und nach zu einer gemeinsamen Sache umgeformt werden.  

 

Im Unterschied zur Entspannungspolitik Europas setzt das Konzept der „asiatischen Zivilisationen“ weniger auf die Aufarbeitung von Fehlern der Vergangenheit als auf Geschichten und Potentiale, die sich heute vorausschauend aufnehmen lassen. Die europäische Verständigung stand im Zeichen der Ostpolitik und der Versöhnung Europas; die chinesische Westpolitik geht durch Asien in die ganze Welt. Die Legitimation dieses Weges soll aus der Gemeinsamkeit des asiatischen Erfahrungsraumes über die Zeiten hinweg wachsen können, nicht aus ideologischer oder religiöser Identifikation, sondern sich durch die Schaffung von Frieden, Wohlstand und produktivem Miteinander bewähren.  

 

Auf eine Frage des Hong Kong Economic Herald  nach dem erhofften Ergebnis des Kulturdialoges antwortete Xu Lin: „Worauf sich die Konferenz letztlich verständigen wird, ist Sache der Teilnehmer. Ich bin sicher, dass sie dazu beiträgt, das Zivilisations-Verständnis der Beteiligten umzuformen und in konkrete Aktivitäten auf der Grundlage von Gleichheit, Integration, Austausch und Zusammenarbeit zu übertragen.“  

 

Die Konferenz über den Dialog asiatischer Zivilisationen  kann in diesem Sinne Aufschluss darüber geben, wie gerechtfertigt das Vertrauen in Vernunft und Aufklärung durch Kulturmanagement ist. 

 

Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologe. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken“ mitbegründet. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Begegnung,Austausch,Asien,Zivilisation,Seidenstraßeninitiative,