Xi Jinping zu Besuch bei Nachbar Wladimir Putin: China setzt seinen Weg der Stabilisierung Asiens fort

07.06.2019

von Ole Döring

 

Mit dem Vertrag von Nerchinsk im Jahre 1689 begann die Weltherrschaft der westlichen Diplomatie. Dieses Regelwerk des internationalen Anstands prägte die moderne Weltordnung und unterstützte als „Soft-Power“-Instrumentarium maßgeblich den weltweiten Erfolg der Kolonialmächte. Die Erfindung von Verträgen zwischen souveränen Staaten verdrängte das vorher in der Region bestimmende „Tributsystem“. Die Sprache des Dokuments war Lateinisch. 

 

Seitdem sind 330 Jahre vergangen. Beinahe alles hat sich gewandelt. Latein wurde kurz durch Französisch und Deutsch, dann durch Englisch und Chinesisch abgelöst. Das Erbe römischen Rechtsdenkens ist nunmehr nahezu aufgebraucht. Russland pokert nicht mehr mit Westeuropa gegen China, wie noch im „Großen Spiel“ vor 150 Jahren, sondern findet in China einen starken Alliierten. Die koloniale Welt europäischer Machart liegt in den letzten Zügen. Davon könnten alle profitieren, wenn sie ihren Teil der Arbeit leisten würden.

 

China und Russland haben die Wirren der Jahrhunderte 19 und 20 auf ihren eigenen Wegen als große Mächte überstanden. Ihre Beziehungen und Grenzen werden heute von der Suche nach Orientierung und Mitverantwortung in der globalisierten Welt bestimmt, seit 2014 im Bewusstsein weit reichender gemeinsamer Interessen. Russland sieht sich getrieben, zwischen inneren europäisch-asiatischen Widersprüchen, während China Asien mit wachsendem Selbstbewusstsein im Zuge seiner „Seidenstraßen“-Initiative in Richtung Europa erschließt. 

 

Die gemeinsamen Grenzen zwischen China und Russland durchmessen heute einen Großteil Eurasiens -- hinzu kommen die gewaltigen Flächenländer Kasachstan und Mongolei, die beide Mächte sowohl auf Abstand halten als auch miteinander verbinden. Besonders Kasachstan kann dabei zu einem wichtigen Relais der Entwicklung Eurasiens werden.

Vor 70 Jahren nahmen China und die Sowjetunion diplomatische Beziehungen auf. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Beginn der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik, scheint 1979, 30 Jahre später weder ein „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) eingetreten noch ein „Kampf der Kulturen“ (Huntington) in seine heiße Phase gekommen zu sein, wie gestrige Politologen orakelten. Stattdessen vertritt China außenpolitisch unter Xi den Anspruch, eine langfristig angelegte Realpolitik zu entfalten, die an einer allseitigen Gewinnerwartung ausgerichtet ist. 


Um die menschliche Dimension dieser Politik als zuverlässig und erprobt vorzuführen, erklärt Xi Jinping soeben in einem TASS-Interview: „Seit 2013 sind Präsident Putin und ich beinahe 30 Mal bilateral und multilateral zusammengekommen, haben telefoniert und einander viele Male geschrieben. Ich pflege engere Kontakte mit Präsident Putin als mit allen anderen ausländischen Kollegen. Ich schätze unsere tiefe Freundschaft sehr“.

 

Xi sagte, beide Länder würden die Zusammenarbeit unter anderem in den Bereichen Energie, Verkehr, Luftfahrt, Landwirtschaft und Raumfahrt schrittweise ausbauen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handel seien dabei eine wichtige Säule „für die gemeinsame Entwicklung und Wiederbelebung Chinas und Russlands“. Auch der Bildungsbereich wächst an Bedeutung. China nimmt eine immer wichtigere Rolle in der russischen Wirtschaft ein und steigerte seine Exporte zum nördlichen Nachbarn deutlich. Das Handelsvolumen wuchs 2018 um 27,1 Prozent. Russland ist mittlerweile außerdem Chinas größter Energielieferant.

 

Damit und mit der intensivierten militärischen Zusammenarbeit sichert China die Region im eigenen Interesse. Europa und die USA halten sich strategisch zurück und nutzen die Gelegenheit dieser Entwicklungsdynamik nicht, um Eurasien in die Wertschöpfung einzuschalten und die besondere Kraft europäischer Gesellschaften ins Spiel zu bringen. Während China wirtschaftlich profitiert und in der Region zwischen Ost-, Zentral- und Nordasien bis hinauf an die Arktis Stabilität gewinnt, zahlt sich für Putins Russland ein starkes Gegengewicht zur transatlantischen Dominanz aus: zum Beispiel für Russlands Interessen in Zentralasien oder bei den Vereinten Nationen. So wappnet sich die nordöstliche Region Eurasiens gegen die Allianz aus westeuropäischer Planlosigkeit und der Trumphaftigkeit der USA.

Dies wird auch in den USA registriert. So meint Foreign Policy: „Beijing und Moskau haben Wege gefunden, gemeinsam ihre unterschiedlichen Interessen zu vertreten, auch weil beide Länder sich einig sind, dass es ihr vorrangiges Ziel ist, die politische Stabilität aufrechtzuerhalten. Keine Seite wünscht sich eine drastische Veränderung. So haben sie genügend Anreize zusammen zu arbeiten.“ Andererseits mangelt es dort auch in Kommentaren angesehener Zeitungen an Verständnis für die rationale Substanz der Sino-Russischen Strategie, wenn anlässlich des Xi-Besuches in der New York Times herablassend von „Panda-Diplomatie“ geredet wird. Damit lässt man Sprachbilder aus längst vergangenen Zeiten des Kalten Krieges aufleben, wie ein Artikel im Deutschen Tagesspiegel verdeutlicht.

 

Die Übergabe von Pandas ist eine ebenso subtile wie symbolträchtige Geste - nicht der Freundschaft sondern des Vertrauensvorschusses: diese seltenen und heiklen Tiere sind heute von größtem Wert und verlangen erhebliche Anstrengungen der Pflege. Pandas sind Einzelgänger, die einander am liebsten in Ruhe lassen. Sie sind eine Verpflichtung. Entsprechend achtsam und kompetent wollen sie behandelt werden, ganz wie China heute: mit Respekt. 

 

Für ein weitsichtiges Westeuropa wäre die an Win-Win-Win-Potentialen ausgerichtete Realpolitik gegenüber Russland von besonderer strategischer Bedeutung. Sie ist experimentell, lernfähig, pragmatisch und folgt keinem starren diplomatischen Modell. Damit lässt sie Raum für einen vernünftigen Interessenausgleich in einer eurasischen Gesamtkonstellation. 

 

Alles steht und fällt damit, ob es gelingt, die entstehende neue Ordnung zu legitimieren und Vertrauen zu rechtfertigen: indem alle Menschen und Völker angemessen in Würde am Wohlstand teilhaben können.

 

Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologe. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken“ mitbegründet. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.


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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China Russland Besuch, Seidenstraßen