COVID-19 und die Welt

Chinas Ansehen wächst, aber die eigentlichen Aufgaben liegen noch vor uns Exklusiv

17.02.2020

Es betrifft aber vor allem das weitgehend ungeplante Zusammenwirken vieler informeller Akteure: freiwillige Helfer, NGOs, karitative Einrichtungen, Industrieunternehmen, im Land und aus der ganzen Welt, unterstützen die Patienten und das Hilfspersonal in China, aus Klugheit und Menschlichkeit. Für sie steht das Konkrete im Vordergrund: die Grundlagen wieder herzustellen, durch die Normalität möglich wird, in einer Welt, in der, mit Friedrich dem Grossen (1712-1786), gesprochen, „ein jeder nach seiner Façon selig werden“ kann. Hier äußern sich auch Stimmen einfacher Bürger, die sich für Respekt, Fairness und Freundschaft mit China einsetzen.


Diese Normalität der Vielfalt besteht für die Politik weitgehend in der Aufgabe, den Ausgleich der Interessen zu befördern, durch Toleranz, Allianz und gemeinsame Ordnungsregeln. Was das konkret für Kulturen heißen kann, die nicht seit Jahrhunderten eng zusammenleben und gelernt haben, friedlich zu streiten, sehen wir an der dunklen Unterseite des Umgangs mit der COVID-19-Krise. Der Schritt von der Einsicht, „dass wir uns nicht verstehen“ in ein Handeln, bei dem die Arbeit für das Verstehen der Meinung und dem Urteil über den anderen vorausgeht, erfolgt nicht nur nicht. Er wird unter europäischen Politikern nicht einmal als notwendige Voraussetzung ernst genommen. Denn sie unterlassen seit über 30 Jahren jede entsprechende Maßnahme, diese Kompetenzen zu entwickeln.


An dieser Stelle kommt ein Skandal ins Spiel, den die am Sonntag beendetete Münchner Sicherheitskonferenz gut illustriert: während ein Großteil der Menschheit die Gesundheits-Arbeiten in China unterstützt, zementieren führende Politiker altes Denken in Blöcken. Sie kehren die Aufgabe eine weltweite Friedensordnung zu gestalten in eine ideologische Systemfrage um, sei es aus Überzeugung, aus Zynismus oder aus Gewohnheit. Die Welt zerfällt dabei aber tatsächlich in zwei ganz andersartige Lager: diejenigen, die hohe Werte im Munde führen, weil sie sich bereits im Besitz des Guten wissen und jene, die sich an die harte Arbeit machen, das Leben möglichst gut zu gestalten. Das hat nichts mit Kulturen oder Ideologien zu tun, wohl aber mit der fundamentalen Kultur menschlicher Würde und gesundem Leben.


Bei Fragen der Sicherheit, wie sie gerade in München diskutiert werden, geht es nicht um die Entscheidung für oder gegen eine Strategie der Konfrontation Chinas durch westliche Bündnisse. Man tut weiter so als sei Multilateralismus eine innere Angelegenheit des Westens. Dieses Denken ist selbst ein Virus, das Instabilität und Misstrauen sät, die für die Geisteskrankheiten des vergangenen Jahrhunderts verantwortlich sind. Damals glaubte man, die Menschheit in gute und schlechte Rassen, gerechte und Schurken-Staaten einteilen zu können. Heute verstehen wir die Welt als einen Organismus, den die Menschen als virulente Kultur bevölkern. Wir können nur zusammen gewinnen, sonst wird das Bio-Ökosystem sich unserer entledigen.


Man kann nicht China als „böse“ verdammen und es gleichzeitig für seine Effizienz und Effektivität beim Umgang mit COVID-19 preisen. Denn beide Aspekte, Staat und Gesundheitshandeln hängen mit einander zusammen. Es gibt nur eine Vernunft. Die reale Welt sieht so aus, dass alle Gesellschaften, Systeme und Regimes eine aus ethischer Sicht gemischte Bilanz vorzuweisen haben. Heute kommt es darauf an, das Richtige zu tun, damit die Menschen in globaler Gesundheit leben können. Deutschen fällt es schwer, das Motto „好钢要用在刀刃上 (guten Stahl zu Schwertern schmieden)“ positiv zu verstehen: aus dem was man hat, im Rahmen des Möglichen das Beste zu machen. Was hier wie eine banale Technik verstanden werden mag, ist dort ein umfassender Grundsatz, der das Gute mit dem Möglichen auf immer neue Weise verbindet, indem es nicht als dogmatisches Prinzip, sondern zum Beispiel als medizin-ethisches Argument eingesetzt wird.


In unserer Informations- und Daten- getriebenen Welt kommt der Kommunikation und der veröffentlichen Meinung eine Schlüsselposition zu. Sie offenbart die Dringlichkeit, über die Denkweise des industriellen Materialismus hinaus zu wachsen, indem nicht das quantitativ zählbare „Mehr und Schneller“ sondern das qualitativ zählende „Besser“ in den Mittelpunkt rückt: Kommunikation muss mit Verantwortung und Kompetenz verknüpft sein, sonst richtet sie Schaden an und stiftet keinen Mehrwert, verhindert gutes Zusammenleben anstatt produktive Zusammenarbeit zu ermöglichen. Im Bereich unklarer Gesundheitsrisiken steht hier besonders viel auf dem Spiel. Chinas Botschafter Li Song für Abrüstungsfragen bei der UN in Genf fand die richtigen Worte: „wir brauchen Fakten, keine Panikmache; Wissen, keine Gerüchte; Solidarität, keine Stigmatisierung.“ Die Chance etwas zu lernen ist groß. Besonders wichtig wäre es, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sobald die Krise überwunden scheint.


Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologe. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken" mitbegründet. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: COVID-19,Virus,Diskriminierung,Governance-System