Kommentar
NVK: Aufbruch aus Corona mit Augenmaß, Kraft und Entschlossenheit Exklusiv
Von Dr. Michael Borchmann
„Die COVID-19-Epidemie ist ein Gefährdungsfall der öffentlichen Gesundheit, wie ihn die Volksrepublik China hinsichtlich der Geschwindigkeit seiner Verbreitung, der Breite seines Infektionsumfanges und der Schwierigkeit seiner Prävention und Kontrolle in derartiger Höchststufe seit ihrer Gründung noch nie erlebt hat. … Im Augenblick ist die Epidemie noch nicht beendet und die Entwicklungsaufgaben sind außergewöhnlich hart.“ Diese Worte standen am Beginn des Arbeitsberichtes der chinesischen Regierung, den Ministerpräsident Li Keqiang zum Auftakt der 3. Sitzung des 13. Nationalen Volkskongresses am 22. Mai dieses Jahr vor den aus ganz China angereisten Abgeordneten in der Großen Halle des Volkes in Beijing erstattete. Er sprach damit den über der Welt liegenden Schatten der Pandemie an, der allerorten eine hohe Zahl von Opfern fordert, der allerorten das öffentliche und wirtschaftliche Leben nahezu zum Stillstand gebracht hat. Auch China hatte darauf verzichten müssen, die jährlich traditionell zu Beginn des Monats März durchgeführte Sitzung zum üblichen Zeitpunkt durchzuführen. Aber: Dass es nunmehr – unter Beachtung verantwortungsbewusster Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Infektionen der Teilnehmer – möglich war, zu der Tagung einzuladen, zeigt zugleich: Der entschlossene Kampf der Partei- und Staatsführung zur Eindämmung der Pandemie verbunden mit der großen Disziplin der chinesischen Bevölkerung haben zu erkennbaren Erfolgen bei der Bekämpfung des Virus‘ geführt – im Hinblick auf die weltweit bestehende Gefährdungslage zwar sicherlich lediglich zu Teilerfolgen, weshalb Ministerpräsident Li Keqiang ausdrücklich hervorhob, dass die „Epidemie noch nicht beendet“ sei. Jedoch kommt man nicht umhin, auch diese Teilerfolge als ausgesprochen respektabel zu bezeichnen.
Und auch Chinas Wirtschaft war erheblich von den erforderlichen Einschränkungen betroffen. Im ersten Quartal war die wirtschaftliche Wertschöpfung um 6,8 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Aber die Tagung des NVK fand nicht gewissermaßen „im luftleeren Raum“ statt. In ihrem Vorfeld war es zu klaren Signalen des Neustarts der Wirtschaft gekommen. So hatten zu Beginn der Tagung etwa 91 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Chinas den Betrieb nach den durch COVID-19 verursachten Unterbrechungen wieder aufgenommen, wie amtliche Daten belegen. In der verarbeitenden Industrie und Bauindustrie waren es sogar 93 Prozent, während es im Hotel- und Gaststättengewerbe etwa 87 Prozent waren, wie das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) auf einer Pressekonferenz berichtete. Und Chinas Verkehrsminister teilte mit, dass in 99,7 Prozent der bestehenden Bauprojekte im Verkehrssektor die Arbeit wieder aufgenommen worden sei und das Ministerium auch Anstrengungen unternehme, die Verfahren zur Genehmigung neuer Projekte zu straffen. Dementsprechend konstatierte Peter Reynolds, Partner und Chef von Oliver Wyman China: „Wir haben eine relativ schnelle Erholung im verarbeitenden Gewerbe gesehen, einen v-förmigen Kurs. Mehr als 90 Prozent der Fabriken sind wieder in Betrieb und arbeiten den Rückstau ab, der aufgrund der Schließungen über das chinesische Neujahrsfest aufgelaufen ist”. Und die US-Wirtschaftszeitung „The Wall Street Journal“ berichtete, China habe trotz der weltweiten Pandemie alle überrascht. Der Statistik des Chinesischen Hauptzollamts zufolge sei das Exportvolumen im April im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,5 Prozent gestiegen, nachdem es im März um 6,6 Prozent gesunken war.
Diese ermutigenden Signale, verbunden mit einer erfolgreichen und den Zielsetzungen entsprechenden Bilanz des Jahres, ließen den chinesischen Ministerpräsidenten mit gutem Recht seine Zuversicht äußern, die umfassende Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand mit Ende des laufenden Jahres zu erreichen. Für weltweite Presseorgane war allerdings nicht diese ambitionierte Zielsetzung schlagzeilenträchtig, sondern der Umstand, dass Chinas Regierungschef erstmals seit vielen Jahren keine zahlenmäßige Wachstumsprognose mitteilte – im Hinblick auf die fragile Lage mehr als nachvollziehbar: „Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die weltweite Epidemie und die Lage der Wirtschaft und des Handels sehr große Unwägbarkeiten in sich bergen“, sagte der Ministerpräsident.
Aber zugleich wurden doch erforderliche Maßnahmen angekündigt, um der Wirtschaft notwendige Impulse zum Wachstum zu geben. Dies gilt etwa für steuerliche Entlastungsmaßnahmen sowie allgemein für Maßnahmen zur Förderung des Binnenkonsums. Andererseits auch Maßnahmen zur Förderung der Außenwirtschaft: Angesichts des veränderten äußeren Umfeldes gelte es, die Öffnung nach außen unbeirrt zu erweitern, die Produktions- und Versorgungsketten zu stabilisieren und durch die Öffnung nach außen die Reform und Entwicklung zu fördern. Die Seidenstraßeninitiative solle mit hoher Qualität gemeinsam umgesetzt werden. China will sich also weiter öffnen und weiter für Multilateralismus einstehen. Es will das multilaterale Handelssystem aufrechterhalten, Abkommen für umfassende Wirtschaftspartnerschaften vorantreiben und Teilabkommen zwischen China und den USA umsetzen.