14. Fünfjahresplan: Zweigleisig und sicher in die Zukunft

21.10.2020

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Dieser bemerkenswerte Satz stammt aus einem Gedicht des großen deutsch-schweizerischen Schriftstellers Hermann Hesse, einem nachdenklich machenden Gedicht, das die Stufen des menschlichen Lebens behandelt. Und dieser berührende Satz kommt mir auch in den Sinn, wenn ich an meine Besuche in China seit 2010 zurückdenke. Der erste – dienstliche – Besuch führte mich in Hunans Hauptstadt Changsha, und es war in der Tat ein besonderer Zauber für mich, erstmals in eine neue, so facettenreiche, ja tief beeindruckende neue Kultur einzutauchen. Der anhaltende Zauber der Worte Hunan und Changsha in mir mag auch Anstoß gewesen sein, den Besuch von Staatspräsident Xi Jinping in diesem September in Changsha mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Und Chinas oberster Staatslenker verkündete dort am 17. September im Rahmen eines Symposiums vor kommunalen Vertretern sehr nachdenkenswerte Botschaften zum im Vorbereitungsstadium befindlichen 14. Fünfjahresplan der Volksrepublik. Seine zentrale Botschaft: „Unsere wichtigste Aufgabe ist es, dem Streben unserer Menschen nach einem glücklichen und erfüllten Leben gerecht zu werden.“ Daher ermutigte Präsident Xi alle Bereiche der Gesellschaft, sich mit Vorschlägen und Anregungen in die Beratungen über den Plan einzubringen.

Chinas Fünfjahrespläne sind sozusagen das Rückgrat der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes. Bereits alsbald nach Gründung der VR China war erstmals ein Fünfjahresplan aufgelegt worden, mit dem Ziel einer Erholung des Landes von den zurückliegenden schweren Zeiten und einer Umwandlung des Agrarstaates in einen modernen Industriestaat. Und in der jüngeren Epoche sind diese Pläne immer umfassender und anspruchsvoller geworden. Zielsetzungen umfassten nunmehr nicht allein wirtschaftliche Perspektiven, sondern auch Umweltziele wie die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen oder die Optimierung der Energienutzung oder auch Programme zur sozialen Sicherung, der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und dem Ausbau des Gesundheitswesens.

Und diese Fünfjahrespläne sind keine isoliert zu betrachtenden Projekte. Sie sind vielmehr als ein Gesamtwerk zu betrachten. Im deutschen Sprachgebrauch trifft man zuweilen die Redewendung an: Alle Rädchen müssen mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ineinandergreifen. Und dass eine solche Präzision den chinesischen Schöpfern der Fünfjahrespläne bisher gelungen ist, belegt die einzigartige und kontinuierliche wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der VR China.

Die vertiefte Erörterung des ab 2021 anstehenden 14. Fünfjahresplanes wird nunmehr fünften Plenarsitzung des 19. Zentralkomitees der KPCh erfolgen, die vom 26. bis zum 29. Oktober in Beijing stattfinden wird. Eine endgültige Verabschiedung des Dokumentes ist dann auf dem nächsten Nationalen Volkskongress im März kommenden Jahres vorgesehen.

Und aufgrund der genannten engen Verbundenheit der Pläne liegt es auf der Hand, dass der neue Fünfjahresplan eng mit dem bisherigen 13. Plan für die Jahre 2016 bis 2020 verlinkt sein wird. Zielsetzung des jüngsten Planes war es u.a., unausgewogene, nicht koordinierte und nicht nachhaltige Entwicklungen durch eine innovatives, grünes, offenes integratives (dh unternehmerisch arbeitsteiliges) Wachstum zu ersetzen, nicht zuletzt mit dem Ziel, eine Gesellschaft „mit bescheidenem Wohlstand“ zu errichten. Angestrebt wurde ein jährliches GDP-Wachstum von 6,5 %. Obwohl die COVID-19 Pandemie zu massiven Erschütterungen und Rückgängen in der Weltwirtschaft geführt hat, hat China diese Folgen mit großer Disziplin bewältigt und weist nach den Einbrüchen im 1. Quartal 2020 wieder ein gesundes Wachstum auf. Aufgrund der überplanmäßigen Wachstumsraten der vergangenen Jahre erscheint es sogar nicht ausgeschlossen, dass mit dem Ende des Jahres 2020 China für den 13. Fünfjahresplan eine durchschnittliche Wachstumsrate bilanzieren kann, von der alle anderen großen Industriestaaten nur träumen können.

Es ist also ein gutes Fundament, auf dem die Schöpfer des 14. Fünfjahresplans aufbauen können.

Aber ungeachtet der soliden Ausgangslage: Die Herausforderungen, denen sich die Schöpfer des neuen Planes zu stellen haben, sind enorm und verlangen nach besonderer Kreativität. Da ist zum einen die Pandemielage, deren Auswirkungen den meisten Volkswirtschaften weltweit massive Schäden zugefügt sowie zu einer globalen Rezession geführt haben und deren Ende noch nicht abzusehen ist. Und zu diesem Virus tritt noch ein politisches Virus, von den USA in die Welt gesetzt und mit großer Intensität gepflegt. Dieses Virus verfügt über zwei Komponenten. Zum einen betreiben die USA eine Politik des Protektionismus, Isolationalismus und Antimultilateralismus, andererseits betreiben sie eine Politik der massiven Einflussnahme auf andere Staaten mit dem Ziel einer anti-chinesischen Verschwörung und der Störung von deren Handelsbeziehungen zu China.

Der Schlüssel zur Sicherung der Weiterentwicklung Chinas gegen diese äußeren, nicht von der chinesischen Staatsführung steuerbaren äußeren Risiken liegt auf der Hand: Die eigene Stärke Chinas so auszubauen, dass das Land immun gegen Gefährdungen von außen wird, sei es die globale Entwicklung der Pandemie, sei es die Tücke der US-Politik.

Und Staats- und Parteichef Xi Jinping hat diesem Schlüssel einen Namen gegeben, bereits auf einem Treffen des Politbüros im vergangenen Mai und anschließend bei verschiedenen Gelegenheiten, u.a. bei einem Symposium mit Wirtschaftsführern Ende Juli in Beijing: Er sprach von einem Prinzip der „doppelten Zirkulation“, also einem zweigleisigen Weg der weiteren Entwicklung Chinas.

Die erste Säule dieser Entwicklung ist der Binnenmarkt Chinas. Hier wird es weniger um zahlenmäßig quantifizierbare Wachstumsraten gehen als vielmehr um qualitatives Wachstum. D.h. China wird weiter den Weg der High-Tech-Umwandlung beschreiten müssen, die High-End-Fertigung vorantreiben und gerade in diesen Bereichen die Autonomie von internationalen Lieferketten stärken müssen. In engem Zusammenhang hiermit wird eine Konzentration auf die zukunftsorientierten Schlüsselindustrien stehen (z.B. Chips- und Halbleiterfertigung, Software, Bau von Präzisionsmaschinen, Feinchemikalien, fortgeschrittene Robotik, Neue Materialien oder Luft- und Raumfahrttechnologie). Dies alles dürfte flankiert werden durch eine substanzielle Weiterentwicklung des Forschungs- und Entwicklungsbereichs etwa durch eine Anhebung des Anteils am GDP. Einhergehen dürfte dies mit einer Stimulierung des Binnenkonsums. Die Vorzeichen hierfür stehen sehr gut. Die erfolgreiche Politik der Vergangenheit hat dazu geführt, dass die Zahl der Angehörigen einer gutsituierten Mittelklasse in China bereits weit die 400-Millionen-Grenze überschritten hat, und diese Mittelklasse ist konsumfreudig. Zum Ausbau des Binnenmarktes dürften auch weitere Elemente gehören wie das weitere Wachstum des Dienstleistungssektors, die Weiterentwicklung von sozialen Sicherungssystemen und des Bildungssystems sowie Investitionen in Infrastrukturprojekte. In Kürze: Der Binnenkreislauf von Produktion, Verteilung und Verbrauch dürfte mit einem weiteren Zuwachs an Vitalität versehen werden.

Und diese Fokussierung dürfte mit Sicherheit keine Abkehr von der durch China beharrlich und mit langem Atem verfolgten Politik des Multilateralismus und der Öffnung bedeuten. Dies zeigen erst jüngst die neuen Öffnungsmaßnahmen für Investitionen im Fertigungsbereich, auch die Öffnungsmaßnahmen im Dienstleistungssektor. Dementsprechend ist die zweite Säule des zweigleisigen Weges das Voranschreiten auf dem Wege des Globalismus‘, einem Weg, der sich in der weltwirtschaftlichen Entwicklung nicht aufhalten lassen wird. Und die Stärkung des chinesischen Binnenmarktes wird gerade auch ausländischen Investoren zusätzliche neue Chancen geben, etwa bei der Bedarfsdeckung steigenden chinesischen Konsumverhaltens oder bei dem Ausbau von Infrastrukturprojekten.

Zu dem Aspekt Globalisierung ist endlich noch an die Belt&Road-Initiative zu denken: Manche Anrainerstaaten, ebenfalls durch pandemie-bedingte wirtschaftliche Einbrüche betroffen, werden den Kontakt zu China im Rahmen von gemeinsamen Infrastrukturprojekten noch weiter vertiefen und ausbauen.

Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass China den aktuellen großen Herausforderungen mit Kraft und Besonnenheit im Rahmen eines sehr durchdachten 14. Fünfjahresplanes begegnen und auch ein sehr positives Zeichen für die Weltwirtschaft insgesamt setzen wird.

Dr. Michael Borchmann

Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten

Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.

Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China


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Quelle: CRI

Schlagworte: China,Fünfjahrespläne,Entwicklung