100. Jahrestag der Gründung der KP Chinas

Chinas Botschafter in Deutschland, Wu Ken, im Interview mit der Zeitung „junge Welt“

20.06.2021

Der aktuelle Fünfjahresplan umfasst den Zeitraum 2021 bis 2025. Was ist sein wichtigster Inhalt?


Wir bemühen uns, mit dem aktuellen 14. Fünfjahresplan ein neues Entwicklungssystem, den offenen dualen Kreislauf, aufzubauen. Das Konzept zielt, kurz gesagt, darauf ab, in- und ausländische Märkte wechselseitig zu dynamisieren, wobei der Inlandsmarkt als Hauptstütze fungiert. Angebot und Nachfrage, Produktion, Verteilung, Zirkulation und Konsum sollen umfassend verbessert werden. Zudem wollen wir die technische Innovation, besonders die digitale Entwicklung, fördern. Hinsichtlich der Klimaziele soll der CO2-Höchstwert 2030 und CO2-Neutralität 2060 erreicht sein, das Konzept der grünen Entwicklung konkretisiert werden.


Unser Staatspräsident Xi Jinping hat bei vielen Gelegenheiten bekräftigt, dass China entschlossen ist, den Weg der Öffnung unbeirrt fortsetzen wird. Die Entwicklungskonzepte Chinas und Deutschlands weisen eine große Schnittmenge auf, Perspektiven der Zusammenarbeit sind entsprechend breit gefächert. Kürzlich haben unser Ministerpräsident Li Keqiang und Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam die 6. Regierungskonsultationen abgehalten. Beide Seiten sind sich einig, die Zusammenarbeit in Bereichen wie Handel, Investitionen, Autobau, Hightech, neue Energie, digitale Wirtschaft, Gesundheits- und Bildungswesen zu vertiefen.



Vielen Menschen erscheint es als Widerspruch, dass eine Arbeiterpartei Milliardäre in ihre Reihen aufnimmt. Welche Rolle spielt diese Personengruppe in der KP, und besteht nicht die Gefahr, dass sie entscheidenden Einfluss auf deren politischen Kurs nimmt? Anders gefragt: Wird so nicht der Klassenkampf in die Partei hineingetragen?


Seit Beginn der Reform und Öffnung hat China bemerkenswerte Entwicklungserfolge erzielt. Nicht nur, indem wir fast 800 Millionen Chinesen aus der extremen Armut geholt haben, sondern auch, indem wir es einem Teil der Bevölkerung ermöglichten, zuerst reich zu werden und zum gemeinsamen Wohlstand beizutragen. Im heutigen China wird politische Fortschrittlich- oder Rückschrittlichkeit keineswegs danach beurteilt, ob und wieviel man besitzt. Für uns ist entscheidend, ob man die Theorien, Linien und Programme der Partei in Denken und Handeln ausführt, wie man sein Eigentum erworben hat, wie man es verwendet und welchen Beitrag man zur sozialistischen Sache leistet. Fortschrittliche Chinesen aus allen sozialen Schichten in die Partei aufzunehmen, stärkt unsere eigenen Reihen und wird zum Wohlergehen der Bürger und zum nationalen Wiederaufleben beitragen. Arbeiter, Bauern, Soldaten und Intellektuelle waren und bleiben jedoch stets Fundament und Rückgrat unserer Partei.




Bei der Bekämpfung der Coronapandemie erwies sich in China die Überlegenheit staatlicher Planung und gesellschaftlicher Kontrolle über die Ökonomie. Welche Rolle spielte die KP bei den Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung – an zentraler Stelle in Beijing und an der Basis, in den Städten und Provinzen?


Hinsichtlich Geschwindigkeit, Umfang und Schwere ist die Coronapandemie der größte Notfall der öffentlichen Gesundheitsfürsorge seit der Gründung der Volksrepublik. Die KP Chinas hat von Anfang an die Lebenssicherheit und Gesundheit der Bürger an erste Stelle gesetzt. Mit großem politischen Engagement und Mut haben wir unverzüglich denkbar strengste Eindämmungs- und Präventionsmaßnahmen ergriffen, und zwar unter zentralisierter und einheitlicher Leitung. Die Parteikomitees und Regierungen aller Ebenen handeln in Übereinstimmung mit dem Zentralkomitee und dem Staatsrat.


Unsere Parteimitglieder spielen in der Pandemiebekämpfung eine Schlüsselrolle. Sie müssen wissen: 80 Prozent des Medizin- und Pflegepersonals, das Wuhan landesweit unterstützte, kamen aus den Reihen der Partei. Ich würde sagen: Dass China als erstes Land die Pandemie wirksam bekämpfen und eine wirtschaftliche Erholung erreichen konnte, verdanken wir der Führung der Partei und deren Unterstützung durch die gesamte Nation.




Wie muss man sich die Arbeit vor Ort vorstellen?


Unsere Partei wird von ihren Mitgliedern getragen. In jedem Wohnviertel existieren Basisgruppen, entsprechende Organisationen gibt es auch in Fabriken und anderen Betrieben. Jedes Mitglied gehört einer Basisgruppe an, sie spielen landesweit eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Parteiarbeit. Man kommt regelmäßig zusammen, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu diskutieren. Jedes Mitglied kann in seinem Bereich eine konstruktive Rolle spielen.


Neben den Einsätzen in Krankenhäusern war die tägliche Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs eine wichtige Aufgabe der Genossen, ebenso die Kontrolle der Hygiene- und Quarantäneauflagen.




Binnen kürzester Zeit wurde in Wuhan ein Krankenhauskomplex buchstäblich aus dem Boden gestampft. Wie konnte das gelingen?


Das kann man sich hier in Europa überhaupt nicht vorstellen. Unsere Zentralregierung hat kurzfristig 40.000 Bauarbeiter mobilisiert und tausende Baumaschinen heranschaffen lassen. Man hat in Wuhan innerhalb von jeweils zehn bzw. zwölf Tagen zwei große Krankenhäuser - Huoshenshan und Leishenshan - mit insgesamt 2.600 Betten gebaut. Zudem wurden in Wuhan 16 Fangcang-Kliniken (provosorische Mobilkrankenhäuser) mit mehr als 14.000-Betten errichtet und in Betrieb genommen. In kürzester Zeit wurden gleichzeitig also fast 17.000 Behandlungsplätze für die Erkrankten geschaffen, das hat die Situation natürlich ungemein verbessert.


Der Bau der Krankenhäuser wurde nicht nur von der Zentralregierung in Beijing finanziert, sondern auch von der Provinzregierung bzw. von der Stadtregierung in Wuhan. Spenden haben auch eine große Rolle gespielt, landesweit haben die Menschen sehr viel Geld zur Unterstützung dieser Maßnahmen gegeben.




Wenn Sie auf die hundertjährige Geschichte zurückblicken, worin würden Sie den größten Erfolg der chinesischen KP sehen?


Rückblickend hat die KP Chinas in den vergangenen einhundert Jahren das chinesische Volk zur nationalen Befreiung und Unabhängigkeit sowie zur Errichtung des Neuen Chinas geführt. Sie hat die Reform und Öffnung um- und fortgesetzt und einen zu Chinas Gegebenheiten passenden sozialistischen Entwicklungsweg eingeschlagen. Unter Führung der KP ist es unserem Land zudem erstmals in seiner 5.000jährigen Geschichte gelungen, die absolute Armut abzuschütteln. Das UN-Ziel zur Armutsüberwindung wurde zehn Jahre vor Ablauf der Frist erreicht. China hat einen historischen Entwicklungssprung verwirklicht. Wir haben uns erhoben, erlangen Wohlstand und befinden uns nun auf dem Weg zur Stärke.


In diesem Prozess haben wir verschiedene historische Entwicklungsstadien durchlaufen. Doch unsere Partei hat dabei stets am Marxismus als Leitfaden festgehalten und die Praxis als einzige Messlatte der Wahrheit angelegt. Weitere Konstanten waren die Befreiung des Denkens und die Suche nach der Wahrheit in den Tatsachen. Das Volk stand stets im Mittelpunkt. Unser Ziel ist es nach wie vor, das Leben der Menschen zu verbessern. Wir wollen die Kraft aller 1,4 Milliarden Chinesen bündeln, um die chinesische Nation wiederaufleben zu lassen. Auch der Vorschlag von Präsident Xi Jinping zum Aufbau einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit rückt die Interessen aller Menschen weltweit in den Vordergrund.




Der Sozialismus in China wird in großen Zeiträumen gedacht. Die gegenwärtige Entwicklungsphase wird offiziell als „Beginn des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus" definiert. Wie gelingt es der Partei, die Menschen für ein gesellschaftliches Ziel zu begeistern, dessen Erreichung die meisten nicht erleben werden?


Genau betrachtet, ist das eigentlich der Vorteil unseres politischen Systems: Eine Generation arbeitet aus eigenem Antrieb für die sozialistische Sache, ungeachtet der Frage, ob sie das Endergebnis ihrer Anstrengungen noch erleben wird. Die Arbeit unserer Partei ist ganz auf diese Zielsetzung ausgerichtet. Das entspricht auch der kulturellen Tradition, man denkt bei uns sehr langfristig. Das ist ein großer Unterschied zwischen dem chinesischen und dem europäischen System. In Europa lebt man vor allem im Hier und Jetzt, das gilt für einzelne Politiker wie für Parteien. Wie es in fünf Jahren, in einer anderen Wahlperiode aussehen wird, ist von nur geringem Interesse.




Auf eine kurze Formel gebracht: Wie sieht Chinas Weg zum Sozialismus aus, und was sind die nächsten Schritte dorthin?


China folgt dem sozialistischen Weg chinesischer Prägung, ein Weg, den das chinesische Volk unter Führung der KP nach langen und mühsamen Erkundungen geebnet hat. Er ist das Ergebnis der Verbindung der universellen Wahrheit des Marxismus mit den spezifischen Realitäten Chinas. Und es ist der einzig richtige Weg für Chinas Entwicklung. Er ist praxiserprobt, und wir werden ihm unbeirrt folgen.


Geführt vom Zentralkomitee der Partei mit Xi Jinping an der Spitze ist der Sozialismus chinesischer Prägung in eine neue Ära eingetreten. Hauptaufgaben sind nun die Verwirklichung der sozialistischen Modernisierung und des chinesischen Traums vom Wiederaufleben der Nation. Hierfür haben wir uns zwei Jahrhundertziele gesteckt: zum einen bis zum 100. Geburtstag der KP den Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand umfassend zu vollenden, zum anderen bis zum hundertsten Jubiläum der Volksrepublik den Aufbau eines großen, modernen, sozialistischen Landes umfassend zu vollenden. Gegenwärtig stehen wir diese beiden Ziele betreffend an einer historischen Wegmarke und treten mutig einen neuen Marsch an.


In der Zeit von 2020 bis 2035 soll China die sozialistische Modernisierung im wesentlichen verwirklichen und sein Pro-Kopf-BIP auf das Niveau einer mittleren Industrienation steigern. Von 2035 bis zur Jahrhundertmitte dann soll China zu einem modernen und mächtigen sozialistischen Land heranreifen, das reich, stark, demokratisch, kulturell fortschrittlich, harmonisch und schön ist. Lassen wir uns gemeinsam Zeugen der Verwirklichung des chinesischen Traums werden!




Worin sieht die KP die größte Bedrohung für den Weltfrieden und worin besteht ihre Strategie, diesen zu bewahren und China vor Angriffen zu schützen?


Die Frage, was für eine Welt wir aufbauen, und wie wir sie aufbauen wollen, ist ein ewiges Thema für die menschliche Gesellschaft. Gegenwärtig greifen ein Jahrhundertwandel und eine globale Pandemie ineinander. Das internationale Umfeld gestaltet sich komplex und wirklich sehr schwierig. Es kommt häufig zu Machtpolitik und Unilateralismus. Instabilität und Unsicherheit nehmen zu. Frieden und Entwicklung bleiben jedoch das Thema der Zeit und der gemeinsame Wunsch der Menschheit.


Um das internationale System mit den Vereinten Nationen als Herzstück und die völkerrechtsbasierte internationale Ordnung besser zu schützen, setzt sich China für den Aufbau einer Welt des dauerhaften Friedens durch Dialog und Konsultation ein. Durch gemeinsames Gestalten und Profitieren wollen wir eine grundsätzlich sichere Welt schaffen. Wir plädieren für gemeinsame Entwicklung, eine offene globale Wirtschaft durch Win-Win-Kooperation und wünschen uns eine offene und inklusive Welt, die geprägt ist von Austausch und gegenseitiger Wertschätzung. Über die Jahre hat China aktiv und mit praktischen Maßnahmen den Aufbau neuartiger internationaler Beziehungen und einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit vorangetrieben. Wir setzen auf Kooperation statt Konfrontation und haben über 100 Länderpartnerschaften in aller Welt geschlossen sowie auch die Seidenstraßeninitiative intensiv vorangebracht. Wir beteiligen uns an der Lösung wichtiger internationaler und regionaler Fragen und stellen die größte Anzahl von Blauhelmen unter den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats. Mit großem Engagement fördern wir kulturellen Austausch und Dialog und setzen konsequent auf ein grünes Entwicklungskonzept. Mit alledem leistet unser Land fortlaufend neue Beiträge für Frieden und Entwicklung der Welt.


Die Fragen stellte Stefan Huth.

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Quelle: Chinesische Botschaft in Deutschland

Schlagworte: China,Botschafter,Deutschland,Interview