70. Jahrestag der friedlichen Befreiung Tibets
Wie China das Dach der Welt reparierte Exklusiv
von Oliver Eschke
Tibet ist immer noch einer dieser wenigen mystischen Orte, von denen Menschen auf der ganzen Welt träumen. Gelegen auf einer Höhe von durchschnittlich 4.500 Metern thront das „Dach der Welt“ scheinbar über dem Rest des Globus. Dass das Hochplateau heute auch wirtschaftlich und gesellschaftlich so sehr floriert, ist eng verbunden mit der friedlichen Befreiung 1951 und der anschließenden Eingliederung in die Volksrepublik China als Autonomes Gebiet Tibet. Zum 70-jährigen Jubiläum dieses Ereignisses in diesem Jahr lohnt ein Blick zurück - und nach vorne.
Der 70. Jahrestag der friedlichen Befreiung Tibets fand am Donnerstag in Lhasa statt. (Xinhua/Sun Ruibo)
Als das Radio Peking im Januar 1950 verkündete, dass Tibet vom „britischen, imperialistischen Joch“ befreit werden müsse, war die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation auf dem Hochplateau, das in den Wirren der chinesischen Revolution kurzzeitig als eigener Staat existierte, noch überhaupt nicht mit heute vergleichbar. Nach der von der britischen Kolonialmacht angetriebenen Abspaltung im Jahr 1913 blieb Tibet, gefangen in seinem feudalen Unterdrückungssystem, entwicklungstechnisch auf der Stelle stehen: „Zu diesem System gehörten Sklaverei und Leibeigenschaft, Armut und Hunger des Volkes, eine Analphabetenrate von 95 Prozent […], das Fehlen jeglicher Medizin für das Volk, wodurch selbst harmlose Krankheiten zur tödlichen Bedrohung wurden“, beschreibt der deutsche China-Experte Wolfram Elsner in seinem im letzten Jahr veröffentlichten Buch Das chinesische Jahrhundert: Die neue Nummer eins ist anders.
Dieses ausbeuterische Regime endete mit dem 17-Punkte-Abkommen am 23. Mai 1951, in dem die Integration Tibets in die neu gegründete Volksrepublik China festgelegt wurde, wobei Tibet neben der regionalen und politischen Autonomie und Religionsfreiheit auch ein hoher Grad an kultureller Autonomie – so wird in den meisten Schulen beispielsweise auch heute noch auf Tibetisch unterrichtet – zugesichert wurde. Auf diese Weise gelang die Wiedervereinigung in China, zu dem Tibet spätestens seit der Yuan-Dynastie im 13. Jahrhundert fast durchgehend gehörte. 1965 wurde schließlich die Verwaltungseinheit des Autonomen Gebiets Tibet geschaffen und ein neues erfolgreiches Kapitel in Tibets Geschichte konnte langsam eingeläutet werden.
„Go West“-Kampagne der Kommunistischen Partei Chinas schafft auch in Tibet Wohlstand
Als Teil Westchinas profitierte Tibet maßgeblich von der seit 2000 intensiv verfolgten „Go West“-Strategie, mit der der damalige Staatspräsident Jiang Zemin nach erfolgreicher Erschließung der Ostküstenregion ähnliches im westlichen Landesteil erreichen wollte. Eine Zahl allein verdeutlicht das unerschütterliche Bekenntnis der Beijinger Zentralregierung zu Tibet: 1,63 Billionen Yuan (etwa 253 Milliarden US-Dollar). So viel wurden seit 1951 in das autonome Gebiet investiert. In dem kürzlich vom Presseamt des Staatsrates veröffentlichten Weißbuch Tibet seit 1951: Befreiung, Entwicklung und Wohlstand kann man sich detailliert über die wichtigsten Errungenschaften der letzten sieben Jahrzehnte informieren. So sind seit 1951 insgesamt 628.000 Menschen aus der Armut befreit worden – ein riesiger Anteil bei einer Gesamtbevölkerung von aktuell „nur“ circa 3,65 Millionen! Statt eines Ablebens mit nur 35,5 Jahren, wie es im Durchschnitt 1951 der Fall war, konnte sich der durchschnittliche Tibeter im Jahr 2019 schon auf ein 71,1 Jahre langes Leben freuen. Im vergangenen Jahr ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Landbewohner um 12,7 Prozent auf nun 14.598 Yuan (etwa 2.270 US-Dollar) gestiegen – ein zweistelliger Anstieg im 18. aufeinanderfolgenden Jahr. Auch bei den kürzlich aus der absoluten Armut befreiten Menschen übertrifft das jährliche Pro-Kopf-Einkommen schon die Marke von 10.000 Yuan (1.555 US-Dollar). Das kumulierte Bruttoinlandsprodukt in der Region betrug letztes Jahr 190,2 Milliarden Yuan - eine 321,5-fache Steigerung gegenüber 1951.
Neben diesen numerischen Belegen lohnt auch ein Blick in die Wirtschaftslandschaft, die sich schrittweise diversifiziert. Weg von der reinen Landschaft, hin zu mehr Industrie und Tourismus. Der Industriepark „Yuelin“ ist zum Beispiel ein wichtiges Schlüsselprojekt, mit dem die südchinesische Provinz Guangdong Tibets industrielle Entwicklung mit circa 181 Millionen Yuan unterstützt. Diese und zahlreiche andere Unterstützungsmaßnahmen zeigen Wirkung: Trotz der Pandemie erreichte die Wachstumsrate der tibetischen Industrieproduktion im vergangenen Jahr immer noch 9,6 Prozent. Und noch wichtiger, Tibet geht mit der Zeit: Der Umsatz des in der Zukunft immer wichtigeren Online-Einzelhandels überstieg im vergangenen Jahr im ganzen Autonomen Gebiet 20 Milliarden Yuan.
Durch seine herrlichen Landschaften ist Tibet als Tourismusziel natürlich prädestiniert. Aufgrund des kontinuierlichen Infrastrukturausbaus kommt dieser Vorteil auch immer mehr zur Geltung. Während es im Jahr 2004 in Tibet 1,2 Millionen Touristen gab, waren es im Jahr 2018 bereits über 33 Millionen. Die Tourismusbranche ist mit knapp 300.000 Beschäftigten nun der Hauptarbeitgeber in Tibet. Um präventiv zu verhindern, dass die einzigartigen historischen architektonischen Wahrzeichen unter den plötzlichen Massen an Reisenden leiden, hat die Regierung rechtzeitig Vorkehrungen getroffen. Im weltberühmten Potala-Palast ist die tägliche Zahl der Besucher beispielsweise auf 5000 beschränkt. Trotz der immer höheren Anzahl an Touristen stellt China zudem sicher, dass auch die traditionelle Kultur erhalten bleibt, so zum Beispiel die tibetische Oper, die 2009 von der UNESCO sogar in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde. „Die tibetische Oper hat eine in der Geschichtebeispiellose Förderung erhalten, von der politischen bis zur finanziellen Unterstützung“, informierte Sangye Dongdri, Wissenschaftler am Institut für Kunst der Nationalitäten des Autonomen Gebiets Tibet. Unvollständigen Statistiken zufolge gibt es in Tibet über 150 Volksensembles für die tibetische Oper, die ebenfalls seit 2009 jeweils einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 20.000 Yuan erhalten. Diese und andere gesellschaftliche Erfolge finden auch Lob im Ausland, wie zuletzt auf dem internationalen Symposium „Fortschritte und Entwicklung der Menschenrechte in den 70 Jahren seit der friedlichen Befreiung Tibets“ in Chongqing, auf dem Experten aus Russland und Nepal die Erfolge der Kommunistischen Partei Chinas in dem Gebiet priesen.
Mobilität und Anschluss: Hochgeschwindigkeitsbahn und Flughäfen
Mit der Milliarden-schweren Unterstützung aus Beijing (und aus anderen Stadt- und Provinzregierungen) wurden insbesondere auch große Infrastrukturprojekte angestoßen – eine essentielle Maßnahme nicht zuletzt für den Tourismus. Das Dach der Welt - lange als abgeschiedener, fast unerreichbarer Ort im Himalaya wahrgenommen – ist nun immer besser an das landesweite Verkehrsnetz angeschlossen und dadurch leichter zu erreichen. Seit 2006 existiert zum Beispiel die täglich verkehrende Zugverbindung Beijing-Lhasa. Hinzu kommen die noch im Bau befindliche Sichuan-Tibet-Autostraße oder die Qinghai-Tibet-Bahn. Zwischen 2002 und 2012 wurde die Gesamtlänge der asphaltierten Fernverkehrsstraßen in nur zehn Jahren fast verdoppelt: von circa 36.000 auf dann 65.200 Kilometer.
Zu den jüngsten Meilenstein zählen aber zuallererst natürlich die erste Hochgeschwindigkeitsbahn, die seit Ende Juni 2021 Lhasa mit dem über 403 Kilometer entfernten Nyingchi verbindet, und der höchste gelegene zivile Flughafen der Welt (dieser Rekord des Flughafens Bamda wurde 2013 von dem Flughafen Daocheng Yading in der Nachbarprovinz Sichuan gebrochen).
Der Hauptstadtflughafen Lhasa Gonggar bekommt dieses Jahr nach dreijähriger Bauzeit einen dritten Terminal, wodurch jährlich 9 Millionen Passagiere empfangen werden können. Seit der Eröffnung der ersten Flugverbindung in Tibet 1965 hat sich die Zahl der Fluglinien mittlerweile auf 67 gesteigert. Allein in der Zeit des 13. Fünfjahresplans waren es mehr als in den 50 Jahren zuvor! Bildlich gesprochen kann man sagen: Mussten sich die Einwohner Tibets früher noch waghalsig auf einer brüchigen Holztreppe von ihrem „Dach“ herunterbewegen, stehen ihnen nun gleich mehrere moderne „Rolltreppen“ zur Verfügung!
Fazit
„Der meist hysterische und aggressive Politikansatz des Westens zu Tibet jedenfalls hat mir realer kultureller Emanzipation und realer Modernisierung und Wohlstandssteigerung Tibets anscheinend wenig zu tun“, schreibt der bereits erwähnte Elsner über die Entwicklung in den letzten Jahren. Wie sehr er damit Recht hat, sollte jedem klar sein, der sich die beeindruckenden Zahlen und persönlichen Geschichten aus Tibet ansieht und anhört. Das zitierte Weißbuch des Staatsrates resümiert, dass mittlerweile „ein ganz neues sozialistisches Tibet Gestalt angenommen" habe. Es ist ein offeneres, reicheres und glücklicheres Tibet. Deshalb bleibt einem zum Schluss nur zu sagen: Glückwünsch zum Jahrestag, auf die nächsten 70 Jahre, Tibet!
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