Die Übersetzerin der Reise in den Westen
Brückenbauer sind unentbehrlich für die Verbreitung der chinesischen Literatur Exklusiv
Eva Lüdi Kong signiert ein Buch für einen deutschen Leser. (Foto von Wang Huiyu)
China.org.cn: Was war die größte Schwierigkeit beim Übersetzen?
Eva Lüdi Kong: Im Roman gibt es viele buddhistische und daoistische Inhalte. Wenn man sich ein klares Bild darüber machen will, muss man tief in die Thematik eingehen und die eigentliche Bedeutung dieser Inhalte verstehen lernen. Etwa daoistische Termini wie „Metallherr“, „Holzmutter“, „Kleinkind“ oder „Jungfrau“, die aus der Inneren Alchemie (neidan) stammen. Die wörtliche Übersetzung dieser Begriffe ist sehr einfach, doch das ist nicht meine Art zu übersetzen. Ich bin der Meinung, dass man vor der Übersetzung über diese Fragen Klarheit gewinnen muss, denn sonst kann man den Lesern die echte Bedeutung nicht vermitteln. Daher habe ich mir viel Zeit genommen, solchen Themen auf den Grund zu gehen, viele Bücher gelesen und mich auch an Fachleute aus den Akademien für Buddhismus und Daoismus gewendet.
China.org.cn: Was ist Ihrer Meinung nach für die deutschen Leser am schwersten zu verstehen? Wie sind Sie bei der Übersetzung damit umgegangen?
Eva Lüdi Kong: Vermutlich sind es auch hier die buddhistischen und daoistischen Inhalte, weil diese für die meisten deutschen Leser doch noch eher fremd sind. Wie zum Beispiel der Begriff „innere Vervollkommnung“ (xiuxing). Dieser für chinesische Leser zum Allgemeinvokabular gehörende Begriff ist für deutsche Leser weniger direkt zugänglich. Trotzdem habe ich nichts weggelassen und keine Inhalte geändert. Um den Lesern beim Verstehen zu helfen, habe ich ausführliche Anmerkungen beigefügt. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass der Stil der Übersetzung dem des Originals so nahe wie möglich kommen sollte, einschließlich des Sprachflusses und der Reimform der Gedichte. Zur Stilbildung habe ich viele klassische Werke der deutschen Literatur gelesen, wobei besonders auch Goethe sehr hilfreich war.
China.org.cn: Bevorzugen Sie die klassische oder die moderne chinesische Literatur?
Eva Lüdi Kong: Ich mag die klassische chinesische Literatur sehr, weil darin eine umfassende Weltanschauung zum Ausdruck kommt. Sowohl im Laozi (auch Tao Te King oder Daodejing), als auch in den konfuzianischen Werken Maß und Mitte (Zhongyong) oder Das Große Lernen (Daxue) findet man diese Denkweise. Heute fühlen sich viele Menschen orientierungslos und ohne Wurzeln. Von den klassischen chinesischen Gedanken habe ich vieles gelernt, das mir auch im Alltagsleben sehr hilfreich ist. Dazu gehört auch der Buddhismus, der sich mit dem menschlichen Geist und der Psyche beschäftigt. Heutzutage werden psychologische Probleme ja gerade auch in China immer bedeutsamer. Die Reise in den Westen kann auch aus dieser Perspektive gelesen werden. Die Reise der fünf Pilgernden kann als ein seelischer Weg eines einzigen Menschen betrachtet werden, als ein Prozess des allmählichen Ablegens aller negativen Dinge im Herzen, hin zur inneren Freiheit. Aus diesem Blickwinkel ist das Werk von sehr realitätsnaher Bedeutung.