Die Übersetzerin der Reise in den Westen
Brückenbauer sind unentbehrlich für die Verbreitung der chinesischen Literatur Exklusiv
Auf der 68. Frankfurter Buchmesse präsentiert der Reclam Verlag zum ersten Mal eine deutsche Gesamtübersetzung von dem chinesischen Roman Die Reise in den Westen.
China.org.cn: Wie sehen Sie die Rezeption der chinesischen Literatur in Deutschland?
Eva Lüdi Kong: Im Allgemeinen ist die Rezeption der chinesischen Literatur im deutschsprachigen Raum noch sehr uneinheitlich. Die chinesische Literatur ist noch nicht systematisch in den deutschen Literaturbestand aufgenommen. Chinesische Werke werden meist einzeln und von verschiedenen Verlagen publiziert. Aber die Lage verbessert sich allmählich. Inzwischen wird chinesische Literatur auch von großen deutschen Literaturverlagen geschätzt. Dies zeigt sich auch bei dieser Übersetzung der Reise in den Westen: der Reclam Verlag ist ein renommierter großer Verlag für Klassiker der Weltliteratur.
China.org.cn: Was ist der Hauptgrund für dieses Phänomen?
Eva Lüdi Kong: Ich denke, das hat vor allem mit der Chinarezeption allgemein zu tun. Außerdem gibt es noch nicht lange genügend gute Übersetzer aus dem Chinesischen. Auch ausgezeichnete Sinologen schreiben nicht immer ein ausgezeichnetes literarisches Deutsch. Es gab auch schon den Begriff „Sinologen-Deutsch“, für Stilblüten, die auf chinesische Formulierungen zurückgehen.
China.org.cn: China bemüht sich derzeit darum, die chinesische Kultur weltweit zu verbreiten. Wie sollte Ihrer Meinung nach die chinesische Literatur „nach außen gehen“?
Eva Lüdi Kong: Bei der Verbreitung der chinesischen Literatur ist es wesentlich, eine für die Zielgruppe akzeptierbare Methode zu finden. Da sind Brückenbauer unentbehrlich. Beispielsweise Chinesen, die viele Jahre in Deutschland gelebt haben, oder Deutsche mit langjähriger Chinaerfahrung. Wenn solche Vermittler fehlen, kommt es leicht zu einem einseitigen Unterfangen —die eine Seite versucht sichmit allen Mitteln anzubieten, während die Gegenseite die Art und Weise nicht akzeptieren kann.
China.org.cn: Wo leben Sie jetzt? Was ist Ihr nächster Übersetzungsplan?
Eva Lüdi Kong: In den vergangenen 25 Jahren habe ich in Hangzhou gelebt und bin gerade vor kurzem in die Schweiz zurückgekehrt. In China war ich vor allem als Übersetzerin und Dozentin tätig. In der Schweiz werde ich auch Kurse zum traditionellen chinesischen Denken, also Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus anbieten. Zurzeit bin ich an der Übersetzung des Buchs Philosophie der chinesischen Kunst, von Prof. Zhu Zhirong der East China Normal University.
Über die Übersetzerin:
Eva Lüdi Kong, 1968 in Biel geboren, Studium der Sinologie in Zürich, Kunststudium an der China Academy of Art (BA) und Nachdiplomstudium der Klassischen Chinesischen Literatur an der Zhejiang University (MA) in Hangzhou, China. Lebte 1990-2016 vorwiegend in China, unter anderem als Dozentin an der Zhejiang University und an der China Academy of Art in Hangzhou. Heute tätig als freischaffende Übersetzerin, Dolmetscherin und Kulturvermittlerin.
Über den Roman:
Die Reise in den Westen (Xiyouji) aus dem 16. Jahrhundert (Ming-Dynastie) ist einer der viergroßen klassischen RomaneChinas. Er behandelt das Prinzip des Reisens, verbunden mit chinesischen Volkssagen, Legenden und Themen des BuddhismusundDaoismusund erzählt im Speziellen von der Reise eines Mönches nach Indien, von wo er Buddhas Heilige Schriften nach Chinabringen soll. Als Autor wurde bis anhin Wu Cheng’en genannt, doch ist diese Zuschreibung in der neueren Literaturtheorie höchst umstritten.