Filmfest

Florian Gallenberger: Als Regisseur fährt man immer in unterschiedliche Fernen Exklusiv

15.11.2016

China.org.cn: Manche Leute in Deutschland sagen, dass die Darbietungen in Ihrem Film für die damaligen Opfer in Chile wie ein zweites Trauma sind. Was sagen Sie dazu?

Gallenberger: Das glaube ich nicht. Man muss berücksichtigen, dass es verschiedene Opfergruppen gibt. Es gibt natürlich chilenische politische Gefangene, die in der Colonia gefoltert wurden. Einige davon sind umgekommen, sind tot. Andere haben diese Folter überlebt. Ich habe mit diesen Opfern gesprochen. Die haben mir von dem erzählt, was passiert ist und das hat mir bei der Recherche des Themas sehr geholfen. Dann gibt es noch eine andere Sektengruppe. Das sind die Kinder, die in der Colonia geboren wurden, die missbraucht und schrecklich behandelt wurden, die niemals die Entscheidungen getroffen haben, da mitzumachen, sondern in dieses Leben hineingeboren wurden. Und dann gibt es die Angehörigen der Menschen, die in der Colonia getötet worden. Das ist die dritte Opfergruppe. Ich habe mit allen Gruppen gesprochen. Und natürlich hat jede Gruppe ein anderes Verhältnis für diesen Film. Aber wir haben den Film in Chile und in Deutschland gezeigt. Und alle drei Gruppen haben sich sehr für den Film bedankt. Die jungen Sektenmitglieder haben selbst beim Dreh mitgeholfen und uns als Experten erklärt, wie das Leben dort war, so dass wir das auch im Film richtig zeigen konnten. Sie sagten, dass der Film für sie wie eine Befreiung ist, dass sie diese schreckliche Geschichte immer in sich getragen haben und sie jetzt auf der Leinwand sehen. Und diese Distanz zur Leinwand ist ihre neue Freiheit. Ich bin bis heute mit ihnen befreundet. Einer ist gerade nach Berlin gezogen und einer kommt im Februar nächstes Jahr nach Berlin. Sie sind sehr glücklich über den Film. Die Folteropfer, die bei den Vorführungen waren, erleben diesen Schmerz noch einmal. Ich erinnere mich an einen Mann, der in der Colonia gefoltert wurde und nach dem Film unglaublich geweint hat. Aber er sagte: „Endlich! Endlich wird diese Geschichte erzählt.“ Ich glaube nicht, dass der Film die Opfer nochmal traumatisiert. Diejenigen, die ein Problem mit dem Film haben, das sind die Täter, also die alte Generation in der Colonia, die Paul Schäfer geholfen haben, all das zu tun. Sie wollen nicht, dass der Film gezeigt wird, denn so werden natürlich ihre Schuld und ihre Beteiligung an der ganzen Sache zu Tage gebracht. Das wollen sie nicht sehen und das sind diejenigen, die gegen den Film sind.

China.org.cn: Die Filme John Rabe und Colonia haben fast die gleiche Struktur. Zwei deutsche Protagonisten reisten ins Ausland, schafften dort etwas und kehrten dann zurück nach Deutschland. Ist das eine beliebte Struktur oder nur ein Zufall?

Gallenberger: Die Frage ist, ob es überhaupt einen Zufall gibt. Es geht um die deutschen Figuren im Ausland, deren Geschichten auf wahren geschichtlichen Ereignissen beruhen. Es geht um Vergangenheit und es gibt viele Parallelen. Ich glaube das spricht dafür, dass man sich als Mensch für gewisse Dinge interessiert. Die Filme sind auf der einen Seite sehr unterschiedlich, haben aber natürlich auch ähnliche Merkmale. Das liegt wahrscheinlich an meinen Interessen und meiner Affinität dafür.

China.org.cn: Warum drehen Sie gerne Filme über Geschichten im Ausland?

Gallenberger: Ich glaube, es gibt verschiedenen Weisen auf eine Sache zu schauen. Man kann Insider oder Outsider sein. Normalerweise denkt man, dass sich die Insider besser auskennen. Aber wenn man von außen auf etwas schaut, sieht man viele Dinge, die der Insider nicht mehr sieht, weil er an alles gewöhnt ist. Von daher ist der Blick des Außenstehenden auch ein wertvoller Blick, weil er vieles wahrnimmt, was jene in der Situation gar nicht mehr wahrnehmen. Ich finde es interessant, denn den Blick des Außenseiters kann man nicht erarbeiten, wenn man an etwas gewöhnt ist, das kriegt man niemals wieder los. Wenn man Insider ist, kriegt man niemals wieder den Blick des Outsiders. Aber als Outsider, kann ich irgendwann den Blick des Insiders annehmen. Deswegen habe ich so lange recherchiert. Am Anfang als Fremder findet man viele Sache interessant. Dann mit der Recherche fängt man an, Insider zu werden. Und dann hat man beide Fähigkeiten.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Filmfest,Colonia Dignidad,Florian Gallenberger ,German Films ,Goethe-Institut