Kommentar
China stabilisiert den Kurs der Selbststärkung durch Lernen Exklusiv
Ole Döring, Berlin
Das 4. Plenum des 19. ZK bestätigt die Leitlinien für Modernisierung und bessere Regierungsführung.
Das mit großer Ungeduld erwartete 4. Plenum des 19. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas wurde vom 28. bis 31. Oktober 2019 in Beijing abgehalten. Die 371 Teilnehmer diskutierten unter der Leitung des Politbüros einen Arbeitsbericht, den der Generalsekretär und Staatspräsident Xi Jinping vorgelegt hatte.
Angesichts immenser innerer und äußerer Herausforderungen der chinesischen Politik fällt es der Öffentlichkeit schwer, abzuwarten, bis sich die Verantwortlichen intern verständigt, grundlegende Maßnahmen vereinbart und nächste Schritte abgestimmt haben. Dieser Prozess hatte aufgrund der Fülle anstehender Aufgaben mit 20 Monaten länger seit dem 3. Plenum gedauert als gewohnt. Das wurde im Abschlussbericht mit einer „komplizierten Lage mit wachsenden Risiken im In- und Ausland" begründet.
Es geht allerdings um entsprechend viel. Das MagazinThe Diplomat zitiert Tang Renwu von der School of Governance der Beijinger Pädagogischen Universität: „Der Zweck dieser Zusammenkunft ist es, die Regierungsführung durch die Partei langfristig abzusichern. Das Land muss mit einem gut komponierten System regiert werden, das nicht aufgrund eines Wechsels an der Staatsspitze verändert werden kann."
Herausgekommen ist ein Gesamtpaket, das eine optimistische Mischung aus Stolz, Ernst, vorsichtiger Selbstkritik und Aufbruchsstimmung verbreitet. Chinas Entwicklung beruht auf großen Ambitionen und kluger Vorsicht. Anders als in den führenden Ländern Europas und Amerikas, in denen Haushalte und Planungsvorgaben in der Regel eine kurze Laufzeit von vier oder fünf Jahren haben, bearbeitet das ZK hier die Fundamente wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung für Generationen. Das Ziel der Modernisierung des chinesisch-sozialistischen Systems und der verbesserten Regierungsfähigkeit soll bis 2035 implementiert und bis 2049 „vollkommen erfüllt" sein.China Daily meldet Unterstützung dieses Kurses durch führende Wissenschaftler wie Alan Barrell von der britischen Cambridge Innovation Academy: „Die Botschaft sollte den Westen ermutigen – China verhält sich zurückhaltend und das immer mit diesem langfristigen Blick, während andernorts Handelskriege betrieben werden."
Zugleich ist diese Perspektive aber auch mit dem Eingeständnis bestehender Probleme verbunden. Noch immer gilt es, die Grundlagen zu justieren. Angesichts beachtlicher Erfolge sonnt sich die Führung nicht im Glanz des Erreichten, sondern widmet sich nüchtern der Arbeit am inneren und äußeren Aufbau. Hier ist Ehrlichkeit besonders wichtig, denn es geht um Vertrauen. In einer Rede, die jüngst im Parteimagazin Qiushi veröffentlicht wurde, warnte Xi Jinping vor Uneinigkeit und schwacher Führung. „Von der Antike bis zur Gegenwart, wann immer eine große Macht zusammenbrach oder verfiel, war ein gemeinsamer Grund der Verlust der zentralen Autorität".
Dementsprechend könne China sich nur selbst schlagen. Dieser Appell an die Verantwortung unterstreicht, was bei der Modernisierung und Verbesserung der Koordination und Effektivität der Partei auf dem Spiel steht: Einigkeit, Disziplin und Klarheit über die Grundrichtung. Vom Innenbereich der „Familie" darf kein Streit ausgehen. Es ist klug, sich zuerst um die eigene Stärke zu kümmern, wenn man etwas gestalten will. Die größten Gefahren bestehen in innerer Schwäche. Tian Feilong, ein Rechtsprofessor an der Universität für Luft- und Raumfahrt in Beijing erklärt zu New York Times: „Das System ist immer noch nicht stark genug für diesen Kampf gegen alle Arten von äußeren Kräften, weil es weiterhin viele Löcher hat."
Das rechte Maß zu halten, zwischen Stärke und Anpassung, Wachstum und Konsolidierung, Sicherheit und Öffnung, ist ein Balanceakt. Diesen vollführt das ZK, indem es den „Sozialismus chinesischer Prägung als ein wissenschaftliches Sozialsystem" organisiert: als ein Lernprojekt, das immer weiter partizipative Elemente aufnimmt, sich aber von durchgreifenden Experimenten verabschiedet hat. Ein wichtiger Schritt ist die öffentliche Konsultation zu Missständen und zu Gesetzesinitiativen, wie bei der Vorlage des chinesischen Volkskongresses zum Verbot von „Missbrauch der Forschung und Missbrauch von Menschen", eingebracht am 9. März 2019 durch Bai Chunli, NVK-Abgeordneter und Präsident der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Hier beginnt der Staat, die Bürger zu Rückmeldungen zu ermutigen, so dass Governance-System und -Kapazitäten modernisiert werden können. Die Ankündigung, diese Modernisierung mit einer „Verjüngung der Nation" zu verbinden, erscheint ganz folgerichtig, wenn es im Ernst um die Zukunft geht.
Dieser politische Unternehmergeist unterscheidet sich von ideologischem Dogmatismus einerseits und vom realpolitischen Pragmatismus andererseits. Der Staat betont seine dienende Rolle. Die kontinuierliche Verbesserung der nationalen Governance bleibt das Hauptziel der Reform- und Entwicklungspolitik. Formulierungen wie „Grundprinzipien des Marxismus und Chinas konkrete Praxis miteinander kombinieren", erscheinen dem deutschen Leser zunächst abstrakt und sperrig, denn in Deutschland hat man in den vergangen 40 Jahren kaum Erfahrungen mit einer übergreifenden und verbindenden politischen Botschaft gemacht, die von den Verantwortlichen glaubwürdig umgesetzt worden wäre. Der „Kanzler der Vereinigung" Helmut Kohl hatte Ostdeutschland „blühende Landschaften" versprochen - heute wenden sich viele der Betroffenen enttäuscht populistischer Propaganda von Parteien wie der AfD zu oder wandern in andere Länder aus. China hat viele Beispiele gelingender Praxis, wie die Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz und kann Lernprozesse aus misslungen Projekten vermitteln, wie aus dem am Modell Großbritanniens orientierten liberalen Umgang mit potentiell missbräuchlicher Forschung. Solche Erfahrungen könnten noch aktiver nach Europa vermittelt werden, um die Voraussetzungen für Verständigung zu vertiefen.