20. Jahrestag der Rückkehr nach China
Macao: Eine beiläufige Bilanz im Windschatten Hongkongs Exklusiv
Ein Ausdruck des langfristigen Vertrauens der Zentralregierung in die gute Entwicklung Macaos ist die Vorbereitung einer Wertpapierbörse. Diese soll die Schaffung eines Marktes für die Internationalisierung des Yuan befördern, besonders, um Geschäfts- und Finanzdienstleistungen für portugiesisch-sprachige Länder zu entwickeln. In diesem Fall gibt sich Macao als ein selbstbewusster, wenn auch „komplementärer" Wettbewerber: da sich Hongkong auf die traditionelle Finanzindustrie konzentriert, werde Macao eher innovative Finanzdienstleistungen entwickeln. Der Plan, in Macao einen Offshore-Yuan-Markt im NASDAQ-Stil zu schaffen, liegt Beijing zur Entscheidung vor.
Unter dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ praktizieren Hongkong und Macao nicht das sozialistische Regierungssystem und die sozialistische Politik der VR China, sondern Varianten des Kapitalismus. Dabei gewährleisten die jeweiligen Verfassungen (Basic Law) durch spezifische Bestimmungen die übergeordnete nationale Souveränität und Einheit des Gesamtverbandes. Vielen ausländischen Beobachtern fällt es schwer, ihre Vorstellungen vom Sozialismus mit den realen Entwicklungen in China zu vereinbaren.
Für Macao erläutert das Leng Tiexun, ein Forscher vom „One Country Two Systems Research Centre“ am Macao Polytechnic Institute (MPI),das seit 2008 wissenschaftliche Forschung zu „ein Land, zwei Systeme“ durchführt und publiziert: Durch die Gründung der Sonderverwaltungszonen von Hongkong und Macao bestehen in China unterschiedliche Rechtssysteme nebeneinander: eines davon ist das des Festlands und wurde in zivilrechtlicher Tradition mit sozialistischem Charakter verfasst, das andere betrifft Hongkong, mit der Common Law-Tradition und kapitalistischem Charakter, das dritte gilt in Macao, aus zivilrechtlicher Tradition mit kapitalistischem Charakter. Die neuen politischen Strukturen hatten die Elemente der bestehenden politischen Systeme in Macao und Hongkong beibehalten und sich gleichzeitig an die neuen Realitäten nach 1997 bzw. 1999 angepasst. Es folgt dem politischen Organisationsprinzip, „Macaos Menschen bestimmen über Macao“, mit einem hohen Maß an Autonomie. [ LENG Tiexun 2011: „On the Fundamental Characteristics of the ‚One Country, Two Systems‘ Policy“, Academic Journal of “One Country, Two Systems” Vol. I: 49-59 ]
Leng betont, „ein Land, zwei Systeme" sei eine integrierte Gesamtheit, die durch dieses gemeinsame Anliegen politischer Lern- und Entwicklungsprozesse angetrieben werde: Wie kann die Vielfalt der Lebensverhältnisse und Fähigkeiten in den Dienst der gesamten Gesellschaft gestellt werden?[ LENG Tiexun 2014: „As an integrated concept, ‚One Country, Two Systems‘ shall be viewed as a whole”. Academic Journal of “One Country, Two Systems” Vol IV: 50-59 ]. Die Wissenschaftler widmen sich den vielfältigen Lernprozessen, die mit der Vorgabe „ein Land, zwei Systeme“ verbunden sind. Ihre Ergebnisse sind nicht nur für die Politik Chinas interessant sondern auch für Europa. Denn es wird oft übersehen, daß „ein Land, zwei Systeme “ ein pluralistisches Konzept ist, das auch mit dem Grundgedanken des Föderalismus verglichen werden kann, den man in Europa besser kennt. Der Föderalismus in der Variante europäischer Nationalstaaten beruht auf vertraglichen Zusammenschlüssen der Gliederungen, z.B. Ländern, Städten oder Staaten. Die einzelnen Glieder verfügen über spezielle Eigenständigkeit, als Teile einer übergreifenden Gesamtheit. In China wird die Vielfalt der Provinzen und Autonomen Regionen durch die beiden Sonder-Verwaltungszonen Macao und Hongkong ausgeweitet. Ein besonderes Merkmal föderaler Strukturen ist, dass jede aufgrund des Zusammenspiels ihrer Vielfalt einzigartig ist - gerade aus dem Umgang mit ihrer besonderen Verschiedenheit können China und Europa viel voneinander lernen. Das kann in der Zukunft ein wichtiges gemeinsames Projekt für die Verständigung zwischen China und Deutschland werden.
Im Dezember 2019 geht für Macao ein Jahr der festlichen Besinnung aber auch der Herausforderungen zu Ende. Sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die lokalen Eliten können ihren ernsten Willen zur Verantwortung bekunden, indem sie die - auch von ihnen selbst verankerte - rechtlichen Tatsachen der chinesischen Souveränität vorbehaltlos anerkennen und konstruktiv gestalten. Viele der heutigen Kritiker haben die Notwendigkeit der Veränderung nicht als Chance begriffen, sie schlichtweg ignoriert oder sich geweigert, an einer Zukunft zu arbeiten, die das Beste beider Systeme zu verbinden hilft. Diese Haltung rächt sich jetzt. Denn unterschwellige Konflikte wurden aufgeschoben und dadurch zugespitzt, an die Jugend weitergegeben. Die Zukunft Hongkongs hängt ebenso wie die Macaos daran, dass die kommenden Generationen eine Chance bekommen, sich in Frieden zu entwickeln.
Der Autor ist habilitierter Philosoph und Sinologe. Er lebt und arbeitet zwischen Berlin und Hongkong. Zuletzt hat er die Bildungseinrichtung „Europäisches Zentrum für chinesisches Denken" mitbegründet. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.