Zwischen Beijing und Washington

Chinas Botschafter a.D. in Deutschland: EU wird sich nicht vollständig auf die Seite der USA stellen Exklusiv

14.08.2020

von Wang Ran, Beijing

 
Derzeit ereignen sich weltweit beispiellose Veränderungen, wie sie seit einem Jahrhundert nicht mehr zu beobachten waren. Durch die COVID-19-Pandemie werden sie noch erheblich verschärft. Einige der Fragen, die sich viele nun stellen, lauten: Wie werden sich die Beziehungen zwischen China und der EU während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft entwickeln? Welche Rolle werden Europa und Deutschland spielen, wenn die USA weiterhin Streitigkeiten schüren und versuchen, Chinas Entwicklung einzudämmen?


Shi Mingde, Chinas ehemaliger Botschafter in Deutschland und neuer Vorsitzender der Gesellschaft für die Chinesisch-Deutsche Freundschaft (GCDF), gab China.org.cn kürzlich ein exklusives Interview. Darin forderte er angesichts der aktuellen internationalen Situation, dass der Wert und die Position Europas und Deutschlands in Chinas außenpolitischer Strategie verstärkt berücksichtigt werden sollten. Es sei von großer Bedeutung, die Stabilität der bilateralen Beziehungen aufrechtzuerhalten.

 

Shi Mingde war von August 2012 bis April 2019 Chinas Botschafter in Deutschland und ist jetzt als Vorsitzender der Gesellschaft für die Chinesisch-Deutsche Freundschaft tätig.


Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft: Ein wichtiges Zeitfenster für die Entwicklung der chinesisch-europäischen Beziehungen


Shi stellte fest, dass die Bundesrepublik in den letzten Jahren wie ein Stabilitätsanker die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und der EU maßgeblich geprägt habe. Unter allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) habe Deutschland den engsten Kontakt zu China. Die Tiefe der Zusammenarbeit, die die beiden Länder pragmatisch in verschiedensten Bereichen umgesetzt haben, hat ein unvergleichbares Niveau erreicht. Auch Dialoge und Austausch finden auf der höchsten Ebene statt.


Bundeskanzlerin Angela Merkel hat China seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2005 bereits zwölf Mal besucht. Während der sechseinhalb Jahre langen Amtszeit von Shi als chinesischer Botschafter in Deutschland besuchten Chinas Staatspräsident Xi Jinping Deutschland zweimal und Ministerpräsident Li Keqiang viermal. Merkel kam im selben Zeitraum sechs Mal nach China. Innerhalb der EU ist Deutschland für China nicht nur der größte Handelspartner und Investor, sondern auch das größte Land für Technologietransfer. Im Jahr 2019 entfiel knapp ein Drittel des gesamten Handelsvolumens der EU mit China auf Deutschland. Das entsprach dem Gesamtwert von Chinas Handel mit Frankreich, Großbritannien und Italien.


„Zeitgleich ist auch der persönliche und kulturelle Austausch zwischen China und Deutschland immer intensiver geworden“, sagte Shi. Die Zahl der Städtepartnerschaften zwischen beiden Ländern erreicht mittlerweile 99. Der Personenaustausch ist von einigen hundert Menschen pro Jahr zur Zeit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf nun zwei Millionen pro Jahr gewachsen. Die Zahl der deutschen Studierenden in China ist im selben Zeitraum von drei auf etwa 10.000, die Zahl der chinesischen in Deutschland von zehn auf mehr als 50.000 angestiegen. Diese Tendenz wird auch dadurch unterstützt, dass zwischen den Universitäten und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen beider Länder mehr als 500 Kooperationsabkommen bestehen.


Angesichts der Auswirkungen der Pandemie hätten sich China und Deutschland auch zusammengetan, um das Virus zu bekämpfen, erörterte der Ex-Botschafter in Deutschland. Präsident Xi und Ministerpräsident Li hätten währenddessen viele Telefon- und Videogespräche mit Kanzlerin Merkel geführt. Die beiden Länder hätten sich gegenseitig medizinische Ressourcen zur Verfügung gestellt, ihre Erfahrungen in der Behandlung von COVID-19 zeitnah ausgetauscht und die Epidemie in ihrem jeweils eigenen Land zügig unter Kontrolle gebracht. Dadurch habe die Produktion und Geschäftstätigkeit schnell wiederaufgenommen werden können. Überdies sei mithilfe des speziell dafür eingerichteten „Fast Track“ auch der Personenaustausch zwischen den beiden Ländern zu einem gewissen Grad wieder ermöglicht worden, führte er aus.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: EU,USA,Deutschland,China-Politik,Ratspräsidentschaft