Kommentar

Die deutsche Chinapolitik im Kontext der internationalen Beziehungen Exklusiv

22.09.2020

von Mei Zhaorong, Beijing

 

Mei Zhaorong, ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland und ehemaliger Präsident des Instituts des Chinesischen Volkes für die Auswärtigen Angelegenheiten.


In diesem Jahr beging China feierlich das „75. Jubiläum des Sieges im Krieg gegen die japanische Aggression und im weltweiten Krieg gegen den Faschismus“. Vereint schwor das chinesische Volk, den Geist dieses Widerstandes weiterzutragen und unermüdlich nach dem gesetzten Ziel zu streben, bis zur Mitte des Jahrhunderts die große Wiederbelebung der Nation umzusetzen. Die gegenwärtige internationale Konstellation birgt dabei nach allgemeiner Ansicht sowohl Chancen als auch schier endlose Herausforderungen, sodass diese hehre Aufgabe nur erreicht werden kann, wenn die Chinesen in allen Bereichen große Anstrengungen unternehmen, um die Chancen zu ergreifen und allen Herausforderungen entgegenzutreten.


„Derzeit ereignen sich weltweit beispiellose Veränderungen, wie sie seit einem Jahrhundert nicht mehr zu beobachten waren“. Eine scharfsinnige Feststellung mit Konnotationen auf vielen Ebenen. Meiner Beobachtung nach besteht vor allem die Tendenz, dass sich die internationalen Machtverhältnisse vom West nach Ost verschieben. Dabei unterliegen die Beziehungen zwischen den Großmächten sowie die internationale Ordnung starken Veränderungen. Unter zahlreichen Faktoren ist dafür besonders ausschlaggebend, dass China mit dem Sozialismus chinesischer Prägung einen sehr erfolgreichen Weg eingeschlagen hat. Vor allem die kontinuierliche Politik der Reformen im Inneren und der Öffnung nach außen einerseits sowie die vereinte Anstrengung aller Nationalitäten des chinesischen Volks andererseits haben dazu beigetragen, dass die weltweit bevölkerungsreichste Nation, die einst arm, rückständig und immer wieder Drangsalierungen aus dem Ausland ausgesetzt war, ihren Weg von Selbständigkeit zu einer beispiellosen Entwicklung hin zu Reichtum und Stärke beschreiten konnte. Die wachsende Wirtschaft, der rasche Fortschritt in Wissenschaft und Technologie sowie der stetige Anstieg der allgemeinen Stärke Chinas haben eine große Anzahl von Entwicklungsländern ermutigt, sich China anzunähern. Zugleich fühlen sich einige westliche Länder zunehmend „beunruhigt“ und „bedroht“. Aus einem regelrechten „Krisenbewusstsein“ heraus haben sie verschiedenste Mittel ergriffen, um Chinas Aufstieg einzudämmen. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 2006 mit mir führte, und zwar zu einer Zeit, als die europäische Union das 6. Chinapapier bekannt gab. Der Altbundeskanzler sagte mir folgendes: Europa hat schon erkannt, dass China ein starker Konkurrent geworden sei. Die Amerikaner noch nicht. Sie müssen aber damit rechnen, sobald die USA in China ebenfalls einen starken Konkurrenten sehen, da werden sie China mit allen Mitteln so gnadenlos behandeln wie seinerzeit gegenüber Japan. Die Amerikaner werden China für alle ihre Probleme und Schwierigkeiten verantwortlich machen. Heute behandelt die Trump-Regierung China genau so, wie Schmidt es schon damals vorausgesehen hat.


Deutschland spielt in der europäischen Chinapolitik eine entscheidende Rolle; wie gestaltet sich also die aktuelle deutsche Chinapolitik? Am 27. Mai nutzte Kanzlerin Angela Merkel eine Videokonferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung, um die europäische Außen- und Sicherheitspolitik unter der deutschen Ratspräsidentschaft darzulegen. Dabei betonte sie vor allem drei Punkte: Zum Ersten müsse Europa zusammenrücken. Vereint könne man Europa als „solidarische, handlungsfähige und gestaltende Kraft“ weiterentwickeln und in der Krise wolle man die Rolle Europas als „Stabilitätsanker in der Welt“ stärken. Zum Zweiten seien die Beziehungen zu China ein außenpolitischer Schwerpunkt. Laut Merkel ginge es darum,  „dass wir Europäer erkennen müssen, mit welcher Entschlossenheit China einen führenden Platz in den existierenden Strukturen der internationalen Architektur beansprucht“. China sei aber auch ein Land,  „mit dem es tiefgreifende Unterschiede in Fragen der Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gibt“. Weiter erklärte sie: „dass uns sehr Grundsätzliches trennt, sollte jedoch kein Argument gegen Austausch, Dialog und Zusammenarbeit sein“, vielmehr sei ein „offener, kritisch-konstruktiver Dialog wichtiger denn je, um unsere europäischen Werte und Interessen zu behaupten“. Zum Dritten betonte die Bundeskanzlerin: „Der wichtigste Partner Europas sind die Vereinigten Staaten von Amerika“. Zwar gestalte sich die Kooperation mit den USA aktuell schwierig, doch das Bündnis mit den USA und der NATO sei und bleibe „ein zentraler, tragender Pfeiler unserer Außen- und Sicherheitspolitik“. „Diesen Pfeiler nicht nur zu erhalten, sondern ihn zu stärken, ist in unserem ureigenen nationalen und europäischen Interesse“, denn man sei aufeinander angewiesen. Nur so könne man seinen Anliegen in der Welt mit Nachdruck Geltung verschaffen. Merkel betonte, dass Europa Teil des „politischen Westens“ sei und sich und seine Werte nur dann in der Welt behaupten könne, wenn man als „verlässlicher Partner der westlichen Werte- und Interessengemeinschaft“ agiere.


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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China, Deutschland, USA, Chinapolitik, Europa