Kommentar

Die deutsche Chinapolitik im Kontext der internationalen Beziehungen Exklusiv

22.09.2020

Analysiert man diese Aussagen und den Rest von Merkels Rede, so erkennt man drei Charakteristika ihres außenpolitischen Kurses: 1. Deutschland möchte seine Ratspräsidentschaft nutzen, um etwas zu bewegen. Vor allem möchte man den inneren Widersprüchen entgegenwirken, welche die Zukunft Europas bedrohen und man möchte die innere Kohäsion stärken, um den Einfluss nach außen zu stärken und die Mitgliedstaaten von Alleingängen abzuhalten. Der aktuelle Schwerpunkt ist jedoch, die Corona-Krise und das weitere Abrutschen der Wirtschaft während dieser zu meistern. Zu diesem Zweck hat Deutschland seine ablehnende Haltung gegenüber den „Eurobonds“ überdacht und gemeinsam mit Frankreich einen Aufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro durchgebracht. Davon sind 390 Milliarden als Zuschüsse vorgesehen, die vor allem den südeuropäischen Ländern zugutekommen sollen. Zugleich hat Deutschland eine Einigung für die nächste Phase des EU-Haushaltes angestoßen. Das alles sind wichtige Schritte zu Stabilisierung Europas, die den Unstimmigkeiten zwischen Nord- und Südeuropa entgegenwirken, insbesondere der Unzufriedenheit der südeuropäischen Länder gegenüber Deutschland. Allerdings sind die inneren Probleme Europas vielgestaltig und lassen sich nicht kurzfristig lösen. Auch mit den genannten Haushalts- und Aufbaumaßnahmen werden noch Probleme zu bewältigen sein, bis sich eine wirkliche Wirkung zeigt.


2. Die europäisch-chinesischen Beziehungen wurden als Schwerpunkt der deutschen und europäischen Außenpolitik des nächsten Halbjahres festgelegt. Die konkrete Absicht ist, eine Reihe von Problemen anzugehen, die im Dialog zwischen Deutschland und China immer wieder auftauchen. Dazu gehört, auf China bei den Verhandlungen um das EU-China Investitionsabkommen Druck auszuüben und China zu zwingen, seinen Markt weiter zu öffnen sowie im Klima- und Umweltschutz weitere Pflichten zu übernehmen. Gleichzeitig soll durch eine Anpassung der Afrikapolitik eine trilaterale Kooperation mit Afrika und China angestrebt, sowie der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Pandemie mit der Zusammenarbeit mit China vorangebracht werden.


3. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit den drei wichtigsten Elementen der Chinapolitik Merkels. 1) Wertediplomatie: China soll anhand der westlichen Interpretationen von Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit bewertet und verändert werden. Dazu werden die westlichen Werte der Aufklärung zu „Universellen Werten“ erhoben und Ländern mit ganz anderer Kultur und Geschichte aufgezwungen, die sonst als „undemokratisch“ gebrandmarkt werden. 2) Gewinnmaximierung: Deutschland möchte zum einen den riesigen chinesischen Markt und die hohe Rentabilität des chinesischen Kapitalmarkts für konkrete wirtschaftliche Profite nutzen, zum anderen aber auch die technologische Aufholbemühungen Chinas gegenüber den westlichen Industrienationen bremsen. Als Deutschland klar wurde, wie weitreichend die Pläne der Strategie „Made in China 2025“ sind, wurde nicht nur der Technologietransfer strikt reduziert, die angestrebene Koppelung zwischen Made in China 2025 und der deutschen Industrie 4.0 wurde abgebrochen und es wurden rechtliche Maßnahmen ergriffen, um chinesische Investitionen in und Fusionen mit deutschen Technologiekonzernen und wichtigen Infrastrukturprojekten zu beschränken. So soll verhindert werden, dass  der „Schüler“ den „Meister“ übertrifft. Der ehemalige Botschafter Deutschlands in China verkündete öffentlich, dass Deutschland und China sich dann optimal ergänzen würden, wenn Deutschland im High-Tech-Sektor führend bliebe und China sich weiterhin auf einem mittleren Niveau befände. 3) Gewohnheitsdenken gegenüber den USA: Deutschland ist der Ansicht, die USA seien ideologisch und politisch von gleicher Natur wie Deutschland und man dürfe nie vergessen, dass diese Deutschland mithilfe des Marshallplans wieder aufgebaut haben. Man meint, Europa sei weiterhin auf den „Schutz“ der USA angewiesen und gemeinsam könne man Russland und China bezwingen. Daher fühlt man sich gezwungen, meist auf der gleichen Linie mit den USA aufzutreten, insbesondere in Fragen der Geo- und Sicherheitspolitik. Auch wenn Trump Deutschland in Punkten wie Handelszölle, Rüstungsausgaben und der Gaspipeline „Nord Stream 2“ rücksichtslos unterdrückt und der amerikanische Austritt aus diversen internationalen Organisationen und Abkommen den deutschen Interessen und Werten zuwiderläuft, drückt Deutschland zwar offiziell seine Unzufriedenheit aus, sucht aber weder die direkte Konfrontation noch ergreift Gegenmaßnahmen.


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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China, Deutschland, USA, Chinapolitik, Europa