Kommentar

Die deutsche Chinapolitik im Kontext der internationalen Beziehungen Exklusiv

22.09.2020

Dazu muss gesagt werden, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen in den letzten 14 Jahren nicht immer frei von Spannungen waren, sich aber im Großen und Ganzen weiterentwickeln. Mit keinem anderen europäischen Land hat China eine so enge und breite wirtschaftliche Verknüpfung. Führungspersönlichkeiten beider Länder treffen sich häufig und durch einen regelmäßigen Dialog vertieft sich das beiderseitige Verständnis. Auch wenn die herrschenden Eliten in Deutschland über einen deutlichen „Atlantikkomplex“ verfügen und der amerikanische Einfluss nicht zu unterschätzen ist, schätzt die überwiegende Mehrheit der praxisorientierte Wirtschaft China weiterhin als Markt und als Investitionsstandort. Von der Wirtschaftsstruktur her ergänzen sich beide Länder extrem gut und verfügen angesichts der guten Aussichten auf beiderseitigen Profit über einen hohen Kooperationsbedarf. Dafür wird zugleich eine stabile Entwicklungsumgebung benötigt, sodass beide Länder an der friedvollen Beilegung internationaler Konflikte interessiert sind und auf die Funktion internationaler Institutionen wie der WTO (Welthandelsorganisation) und der WHO (Weltgesundheitsorganisation) setzen, in deren Zentrum die Vereinten Nationen stehen. Trotz teils unterschiedlicher Interpretationen stehen sie zudem beide für wirtschaftliche Globalisierung und  Multilateralismus ein. Einige europäische Beobachter waren der Ansicht, nachdem China im Frühjahr 2019 von Deutschland und der Europäischen Union zum „Systemrivalen“ erklärt worden war, habe Deutschland seine eigene Schwäche empfindlich zu spüren bekommen und würde bei der Frage, ob man Beijing gemeinsam mit Washington öffentlich konfrontieren solle, sehr zögerlich und vorsichtig agieren. Das liege daran, dass Deutschland einerseits seine wirtschaftlichen Interessen wahren wolle, sich aber zugleich vor einem launischen und schwer einzuschätzenden Donald Trump schützen müsse. Dass Angela Merkel die Teilnahme an Trumps G7-Gipfel, auf dem er eine „Anti-China-Koalition“ aufstellen wollte, abgelehnt hat, zeigt zusammen mit weiteren Aussagen wichtiger europäischer Politiker, dass Deutschland und Europa in der scharfen Auseinandersetzung zwischen China und den USA eine klare “Seitenwahl“ möglichst vermeiden wollen.


Insgesamt zeigt sich, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen sich in einem Modus weiterentwickeln, der zwischen Rivalität und Kooperation schwankt. Dass Deutschland unter Einsatz großer Anstrengungen sowie durch angemessene und notwendige Auseinandersetzungen ein relativ stabiler Partner Chinas bleibt und dabei die Prinzipien wie gegenseitiger Respekt, die Besinnung auf Gemeinsamkeiten unter Zurückstellung von Differenzen sowie und gleichberechtigte Kooperation mit beiderseitigem Profit gewonnen werden, ist möglich und entspricht den Grundinteressen beider Länder. 


Der Autor ist ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland und ehemaliger Präsident des Instituts des Chinesischen Volkes für die Auswärtigen Angelegenheiten.


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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China, Deutschland, USA, Chinapolitik, Europa