Jahresrückblick: Chinas Diplomatie auf dem Weg zu mehr Engagement
Verbleibende Hürden
Es wäre nachlässig von mir, die Herausforderungen und Rückschläge in Chinas diplomatischen Beziehungen des vergangenen Jahres zu übergehen.
Da wären zum einen die chinesisch-japanischen Beziehungen. Wegen der Streitigkeiten über die Diaoyu-Inseln und der negativen Haltung der Bevölkerungen beider Länder zueinander sind sie praktisch zu einem Stillstand gekommen. Dennoch zeigten beide Seiten bei hochrangigen Treffen zwischen Xi und Japans Ministerpräsident Shinzo Abe während der Asien-Afrika-Konferenz im April in Jakarta und im November in Paris Zurückhaltung.
Am 1. November nahm Ministerpräsident Li Keqiang in Seoul an einem Dreiertreffen mit Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye und Abe teil, damit wurden die Verhandlungen über eine chinesisch-japanisch-nordkoreanische Freihandelszone nach dreijähriger Unterbrechung wieder aufgenommen. Es war ein wichtiger Schritt zur Förderung der regionalen Zusammenarbeit, dennoch müssen die chinesisch-japanischen Beziehungen für sich gesehen verbessert werden.
Zum anderen sind die Probleme im Südchinesischen Meer zu nennen. Die Geschwindigkeit, mit der China Inseln und Riffe errichtet hat, hat heftige Reaktionen in den ASEAN-Ländern und den USA ausgelöst. Zwischenzeitlich gab es in dieser Angelegenheit einen Schiedsspruch zugunsten der Philippinen, auch wenn China seine Legitimität niemals anerkannt hat. Die Regierung muss nun eine Antwort auf die Frage finden, wie sich die Situation stabilisieren und sich verhindern lässt, dass die Streitigkeiten die Beziehungen zwischen China und seinen Nachbarländern sowie zu den USA beschädigen.
Als dritter Punkt wäre das fehlende Vertrauen zwischen China und den USA zu nennen. Diese Beziehung stellt eine der größten Herausforderungen dar. Es ist unmöglich, die langandauernde Uneinigkeit bei Themen wie dem Südchinesischen Meer, der Cybersicherheit und den Menschenrechten grundlegend aus dem Weg zu räumen. Xi und Obama haben versprochen, Meinungsverschiedenheiten und sensible Themen konstruktiv anzugehen, da 2016 jedoch der Countdown für die US-Präsidentschaftswahlen läuft, ist die Beziehung voller unkalkulierbarer Variablen.
China muss außerdem eine klare Trennungslinie zwischen konventionellen und nicht konventionellen Sicherheitsbedrohungen ziehen und strategische und diplomatische Ressourcen entsprechend koordinieren. Als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt mit einer breit gestreuten Interessenspalette ist es schwierig für China, sich aus internationalen Streitigkeiten wie beispielsweise zwischen den USA und Russland herauszuhalten.
Chinas Mechanismen der strategischen Diplomatie und Entscheidungsfindung müssen daher transparent gestaltet werden, so dass es bei schwierigen Vorfällen – wie der Ermordung von vier Chinesen durch Terroristen – handlungsfähig ist. Das gleiche gilt für schwierige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.
Nicht zuletzt ist Chinas mangelnde Erfahrung darin, wie man am besten eine aktive, positive Rolle in der Weltordnungspolitik spielt und gleichzeitig versucht sie zu reformieren, noch allgegenwärtig. China spielte im 20. Jahrhundert eine kleine Rolle in der Weltordnungspolitik und befindet sich zurzeit erst in der Übergangsphase zur Position eines stimmberechtigten Interessenvertreters.
Die Initiativen "Ein Gürtel, eine Straße" und die AIIB bedeuten einen enormen Fortschritt für die Gestaltung eines klaren Wegs, auf dem China bei regionalen Integrations- und Infrastrukturbedürfnissen führend sein kann, außerdem gewinnt China mehr Einfluss in einigen internationalen Organisationen wie dem IWF. Dennoch muss seine politische Führung bei ihren Bemühungen um einen Ausgleich zwischen den chinesischen Interessen der Nicht-Intervention und der Übernahme zusätzlicher internationaler Verantwortung weiterhin sehr sorgfältig vorgehen.
Gleichzeitig sollte China sich in seiner Politik an die Verpflichtung erinnern, sich vor dem Chauvinismus großer Nationen und einem extremen Nationalismus zu hüten. Der G20-Gipfel wird 2016 in Hangzhou in der ostchinesischen Provinz Zhejiang stattfinden. Die Frage, ob China eine Vorreiterrolle für den neuen Trend der „inklusiven Entwicklung" und in der Weltordnungspolitik spielen kann, ist noch unbeantwortet. Wie dem auch sei, diese Veranstaltung wird ein wichtiger Meilenstein dafür sein, wie Chinas Diplomatie weiterhin gewährleisten kann, dass China eine klarere, lautere Stimme in globalen Angelegenheiten hat.
Redigiert von Mara Lee Durrell
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(Der Autor ist ein Kolumnist der Beijing Rundschau und Forscher bei der Pangoal Institution)