Autorenbegegnung

Martin Walser: Solange ich schreiben kann, ist das Älterwerden eine interessante Erfahrung Exklusiv

23.09.2016

China.org.cn: Sie haben die Rede „Über Deutschland reden“ (1988) gerade vor der deutschen Einheit gehalten. Das ist bereits 28 Jahre her. Wie betrachten Sie heute das von der Geschichte hinterlassene „Deutschland-Problem“?

Martin Walser: Da gab es noch die Teilung. In München gab es diese Serie, jedes Jahr hat ein Intellektueller über Deutschland gesprochen. Ich war 1988 dran, gerade vor der Vereinigung. Da habe ich klar zu machen versucht, dass sowohl die Linken wie die Rechten aus der Tatsache der deutschen Teilung die falschen Schlüsse ziehen, nämlich die Rechten haben gesagt, dass die Teilung ein Provisorium ist, das werde schon irgendwann aufhören. Die Linken haben gesagt, die Teilung sei gut, weil sie Deutschland von allen Großmachtambitionen geheilt habe. Ich habe gesagt, ich kann mich an die deutsche Teilung nicht gewöhnen. Und ich habe aufgeführt, dass es absurd ist, wenn die Leute von Leipzig nicht in Stuttgart ins Theater gehen können. Das hat mir viel Feindschaft eingetragen. Man hat es für Nationalismus gehalten, dass ich die Teilung nicht ertragen habe.

Zum Glück ist die Geschichte so gelaufen, wie ich es gewünscht habe. Es war erstaunlich, dass die Linken selbst nach der geglückten Vereinigung in der Zeitung geschrieben haben, die Leute in der DDR wollten doch nur zur D-Mark und nicht zur Freiheit. Die haben das nicht begriffen, dass sich da 17 Millionen Menschen befreit haben, und haben dann noch die Motive der Menschen aus DDR kritisiert. Es ist jedenfalls geglückt. Theo Waigel, der damalige Finanzminister, hat inzwischen in einem Artikel festgestellt, dass die Zahl der Selbstmorde im Gebiet der ehemaligen DDR um 150 Prozent zurückgegangen ist. Viel weniger Selbstmorde als damals. Das sagt etwas.

China.org.cn: Bundeskanzlerin Merkel hat mit ihrer Flüchtlingspolitik über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Die Probleme, die die Flüchtlingskrise mitgebracht hat, haben allerdings dazu geführt, dass die Unterstützung Merkels ein Rekordtief erreicht hat. Nach den Terrorattacken im Juli sollen zwei Drittel der Deutschen laut Tagesspiegel gegen ihre Flüchtlingspolitik gewesen sein. Merkel hat auch neulich bei der Pressekonferenz am 19. September Fehler im Umgang mit der Flüchtlingskrise eingeräumt. Wie beurteilen Sie die Flüchtlingspolitik von Merkel?

Martin Walser: Ich sehe für mich keine andere Möglichkeit, als Angela Merkel weiterhin zu vertrauen.

China.org.cn: Die AfD hat einen stürmischen Siegeszug in der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern durchgesetzt. Wie betrachten Sie den Erfolg der AfD?

Martin Walser: Es gibt in jeder Bevölkerung einen nennenswerten Teil, der nicht im Stande ist oder es nicht will, die Entwicklung, die jetzt fällig und notwendig ist, mitzuerleben und mitzugestalten. Das sind aktiv konservative Menschen, die muss es geben, die müssen leben dürfen. Dass sie sich dann so formieren wie in dieser Partei und mit diesem Erfolg, das ist ein deutsches Problem. Damit werden wir fertig werden. In zehn Jahren gibt es die AfD nicht mehr. Wir haben schon ein paar Mal solche Parteien gehabt, da kennt man heute die Namen schon nicht mehr.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Martin Walser,Ein sterbender Mann,Mo Yan