Coronavirus in Europa
Warum hat man nicht frühzeitig von China gelernt? Exklusiv
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts) und der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (Mitte) und Präsident des Robert Koch-Instituts Lothar H. Wieler auf einer Pressekonferenz vom 11. März 2020 (Foto von Xinhua)
All dies macht deutlich: Das bisherige Geschehen war geprägt von einem Hin und Her, einer nicht zu verkennenden Unsicherheit von Akteuren unterschiedlicher staatlicher Ebenen. Vor diesem Hintergrund war dann am 12. März von der Bundeskanzlerin selbst nach einem Treffen mit den Länderchefs ein klarer Appell zu hören: Sie rief nach dem Treffen zu einem Verzicht auf alle nicht notwendigen Veranstaltungen mit weniger als 1000 Teilnehmern auf. „Das ist ein Aufruf an alle“, sagte Merkel. Als weitere Option nannte Merkel die vorübergehenden Schließungen von Schulen und Kindergärten in besonders betroffenen Bundesländern, etwa durch Vorziehen der Osterferien. Entschieden werden soll das in den Ländern selbst. Schließungen kämen demnach dort infrage, wo es bereits viele Infizierte gebe. Sie betonte allgemein, oberstes Ziel sei es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Nur so könne eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden. Ein bemerkenswerter Satz, macht es doch deutlich, wie wenig belastbar oder gar „blauäugig“ die Beschwichtigungen ihres Gesundheitsministers noch im Januar und Februar waren, das deutsche Gesundheitssystem sei bestens aufgestellt und auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wie wenig belastbar und wie „blauäugig“, machte denn auch die bereits eingangs zitierte TV-Gesprächsrunde deutlich. Hier hatte die Ärztliche Leiterin des Charité-Zentrums für Anästhesiologie und Intensivmedizin folgende besorgniserregende Fakten genannt: 500.000 Krankenhausbetten gibt es, 28.000 davon sind Intensivbetten. Von diesen haben 25.000 Beatmungsgeräte. Im Schnitt sind 80 Prozent der Geräte im Normalbetrieb belegt, 5 Prozent der Covid-19-Patienten brauchen eine Beatmungstherapie. 17.000 Pflegekräfte fehlen. Mit anderen Worten: Einen kurzfristigen massiven Anstieg der Erkrankungen kann das deutsche Gesundheitssystem nicht verkraften. Die Bedrohung – die in Italien Realität geworden ist – ist, dass zu viele Menschen in zu kurzer Zeit krank werden. Man müsste Menschen mangels ausreichender Versorgung sterben lassen!
Fakt ist, dass sich nunmehr die Ereignisse weltweit überschlagen. In den USA spricht ein Präsidentschaftsbewerber davon, dass man gegen das Virus in den Krieg ziehe und die Armee einsetzen müsse. Frankreichs Staatspräsident bemüht zur Begründung der massiven Einschränkungen und Verbote ebenfalls die Formel, dass sich sein Land im Krieg befinde. Rigorose Einschränkungen finden sich allerorts in Europa, Grenzen auch unter den EU-Ländern werden geschlossen, Verkehrsverbindungen drastisch eingeschränkt. Auch in Deutschland haben die Regierungen von Bund und Ländern nunmehr ein Maßnahmenpaket vereinbart, das massive Einschnitte in den Alltag aller Bürger enthält. Geschlossen werden etwa Einzelhandelsgeschäfte (außer solchen des Grundbedarfs), Bars, Klubs, Kultur- und Sporteinrichtungen oder Spielplätze. Urlaubsreisen sind in den kommenden Wochen praktisch gar nicht mehr möglich. Der Besuch von Speisegaststätten wird zeitlich limitiert. Besuchsmöglichkeiten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen werden beschränkt. Zusammenkünfte unterschiedlichster Art werden verboten, sei es gesellschaftlicher, kultureller oder religiöser Art. Dazu kommen die ohnehin von den Ländern bereits angeordnete Schul- und Kitaschließungen – und die Kontrollen an den Grenzen.
Während China auf dem Wege ist, die Corona-Bedrohung mehr und mehr in den Griff zu bekommen, zeigt man sich in Europa aufgrund der „Plötzlichkeit“ und Massivität der Bedrohung überrascht, ja, sogar hektisch. Dabei hätte man bei einem frühzeitigen Blick auf die Entwicklung in China lernen können, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Überzeugt haben mich die Worte, mit denen ein deutscher Expat in China in einem Interview die Entwicklung in Beijing geschildert hat. Sie habe sich in Beijing immer sicher gefühlt. Die Regierung habe die richtigen Maßnahmen getroffen. Alle hätten sich diszipliniert daran gehalten, seien auch zuhause geblieben. Der Erfolg gebe China Recht. Nur so sei die Krise zu bewältigen.
* Der Autor, Dr. jur. Michael Borchmann, ist Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D. und Senior Adviser der China International Investment Promotion Agency (CIIPA). Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.