Eine Chefsache im gemeinsamen Interesse
Rückblick auf die chinesisch-deutschen Beziehungen 2021 Exklusiv
Foto: VCG
von Jiang Feng*
Die chinesisch-deutschen Beziehungen zeichneten sich im Jahr 2021 durch eine ausgeprägte Intensivität und hohe Komplexität aus. Während sich Deutschland von der Ära-Merkel verabschiedet, die für politische Stabilität gestanden hatte, sind zeitgleich auch die chinesisch-deutschen Beziehungen in die Post-Merkel-Ära eingetreten. Viele Analysten gehen davon aus, dass dies den Eintritt in eine ungewisse Zeit bedeutet. So könnte das Jahr der Bundestagswahl in der Tat einen entscheidenden Wendepunkt für die Beziehungen zwischen China und Deutschland darstellen. Vor diesem Hintergrund gewann das Telefonat zwischen dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz am 21. Dezember eine ganz besondere symbolische Bedeutung, die weit über das Erledigen eines protokollarischen Rituals hinausgeht. Die beiden führenden Persönlichkeiten haben dabei die Vertiefung der bilateralen Beziehungen und ihre gemeinsame große internationale Verantwortung betont. Präsident Xi wies auf die gute Tradition der hochrangigen Führung hin, die die Entwicklung des Verhältnisses zwischen China und Deutschland stets auf Kurs hält. Das Jahresende steht nun vor der Tür und das Telefongespräch läutet eine neue Zeit der chinesisch-deutschen Beziehungen ein, in der sie aber weiterhin auf beiden Seiten als Chefsache betrachtet werden sollten.
Für Xi seien die chinesisch-deutschen Beziehungen führend im Verhältnis zwischen Europa und China und von Vitalität, Ausdauer, Widerstandsfähigkeit und Potenzial geprägt. Scholz erinnerte sich in dem Gespräch an seine persönlichen Begegnungen mit Xi in den vergangenen Jahren und versprach, sich für die „Vertiefung der bilateralen Partnerschaft und der Wirtschaftsbeziehungen" sowie die Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und China einzusetzen, wie der Regierungssprecher mitteilte. Der Bundeskanzler habe unter anderem die drei Säulen für eine Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen hervorgehoben, und zwar die guten Handels- und Investitionsbeziehungen, die enge Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der Corona-Pandemie sowie den engen Austausch über regionale Themen wie Afghanistan und die iranische Atomfrage, berichteten die chinesischen Medien.
Die bilateralen Beziehungen sind Chefsache für beide Länder auf der höchsten Ebene und in dieser Hinsicht kann auf große Leistungen pragmatischer und strategischer Zusammenarbeit in der Vergangenheit zurückgeblickt werden. Auch für die Weiterentwicklung der Beziehungen besteht noch großes Potential in der Zukunft, weshalb sich beide Seiten darüber austauschen werden, auf welchen Feldern man noch enger zusammenarbeiten möchte. Dass sich die Staats- bzw. Regierungschefs von zwei Ländern in diesem Jahr gleich zehn Mal per Video oder Telefon unmittelbar miteinander ausgetauscht haben, wie es bei China und Deutschland der Fall war, kommt in den internationalen Beziehungen für gewöhnlich selten vor. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein eindeutiger Beweis dafür, dass die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit eine hohe Priorität im Regierungsgeschäft genießt - sowohl für Beijing als auch für Berlin. Dafür gibt es auch reichlich Gründe in vielerlei Hinsicht.
Das Chinabild in Deutschland ist so komplex geworden wie nie zuvor
Es sind nicht nur die Staatsmänner beider Länder, sondern auch die Vertreter der verschiedenen Ressorts beider Seiten, die im Rahmen der Regierungskonsultation miteinander verhandelt haben, die in diesem Jahr schon zum 6. Mal stattfand. Wegen der Pandemie wurde die Konferenz diesmal im Online-Format durchgeführt. 25 Minister unterhielten sich dabei über die Zusammenarbeit in ihren jeweiligen Fachbereichen und unterzeichneten Absichtserklärungen zu Themen wie Umwelt- und Klimapolitik sowie Wissenschaftskooperation, zu Gesundheit, Entwicklungszusammenarbeit und Lebensmittelsicherheit und zu Verkehr sowie Arbeit und Soziales. Die umfangreiche Beteiligung verschiedener Ressorts beider Länder hat gezeigt, dass die Beziehungen zwischen China und Deutschland seit langem nicht nur eine außenpolitische Angelegenheit sind, sondern mittlerweile auch eine hohe Priorität in unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Bildung haben. Die immer weiter zunehmende Vielfalt der bilateralen Beziehungen hat jedoch auch „komplizierte“ Folgen. Einerseits müssen sich die Verantwortlichen sowohl in China als auch in Deutschland intensiver miteinander abstimmen. Seit zehn Jahren organisieren die beiden Regierungen zu diesem Zweck routinemäßig umfangreiche Austauschformate. Die Chinapolitik bzw. die Deutschlandpolitik ist so zur ressortübergreifenden Politik geworden – ein Prozess, den manche als „Innenpolitisierung“ bezeichnen. Eigentlich sollte man sich über diesen vielfältigen Austausch jedoch freuen, da dies für ertragsreiche und intensive Beziehungen steht. Andererseits wird im Berliner Politjargon „Innenpolitisierung“ der Chinapolitik gleichgesetzt mit eher negativen Attributen wie „kompliziert“ oder „problematisch“. Das Chinabild sei in Deutschland so komplex geworden wie nie zuvor, meinen derzeit viele Experten, die sich mit den bilateralen Beziehungen befassen.
Sechste Runde der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen findet per Video statt. (Foto vom 28. April 2021, Xinhua)
Seit Jahren geben sich in Deutschland viele Akteure, vor allem Think Tanks, große Mühe, um der gewachsenen Komplexität der Beziehungen zu China konzeptionell Ausdruck zu verleihen. Dafür steht beispielsweise der Paradigmenwechsel von „Wandel durch Handel“ oder „Wandel durch Austausch“ zur dreidimensionalen Definition der deutschen Chinapolitik, die in der Volksrepublik einen „Partner, Konkurrenten und Rivalen“ sieht. Dass dieser Paradigmenwechsel in der Chinapolitik auch in dem Koalitionsabkommen der neuen Ampel-Regierung explizit erwähnt wird, könnte sich als eine Zäsur erweisen. China wurde und wird im wahrsten Sinne des Wortes als Bezugssystem für Deutschland wahrgenommen, mit einer Politik des Wandels sollte Chinas System nach den Idealen „des Westens“ geändert werden und mit der „Politik des Rivalen“ möchte man ausdrücken, dass man selbst nicht in die Richtung „mehr China“ verändert werden möchte. Das politische System steht stets im Blickfeld und der Gedanke dominiert, den anderen dazu zu bringen, sich zu assimilieren, während man sich selbst nicht verändert. Diese Wahrnehmung entspricht dem Konzept des Nullsummenspiels, bei dem es immer einen Sieger und einen Verlierer gibt. Und selbstverständlich möchte man in einem solchen Spiel immer selbst der Gewinner sein. Und das Ganze wird mit dem politischen Slogan „Politik der Werte“ flankiert.
Experten aus China stehen diesem Paradigmenwechsel der deutschen Chinapolitik jedoch sehr verwirrt und unbeteiligt gegenüber. Sie bemühen sich kopfzerbrechend darum, eine Antwort auf die Fragen zu finden: Warum pflegt man in Deutschland ein Chinabild ohne China, und eine Chinakompetenz ohne China? Einem Chinabild, das mit dem realen China wenig zu tun hat, fehlt die Grundlage und Chinakompetenz ohne China wäre ein Held wie Don Quijote, also ein Kämpfer ohne reales Ziel.
In diesem Jahr war die politisch-mediale Wahrnehmung von China in Deutschland in der Tat nach wie vor negativ geprägt, was auch in der Bundestagswahl deutlich zum Ausdruck kam. Der ausscheidende Außenminister Heiko Maas (SPD) äußerte beispielsweise die Meinung, dass diese Rivalität zwischen China und Deutschland in der dreiteiligen Struktur immer mehr an Gewicht gewinnen werde, was mit der Meinung der amtierenden Außenministerin Annalena Baerbock zweifelsfrei übereinstimmt. Die Co-Vorsitzende der Grünen hat sich im Wahlkampf wiederholt für eine härtere Gangart gegenüber China ausgesprochen. Über den chinesisch-deutschen Beziehungen ziehen deshalb dicke Wolken auf. Im Chor stehen diejenigen, die jede sachliche Meinungsäußerung über China, erst recht positive, als von China beeinflusste Stimmen, attackieren. Man hat fast den Eindruck, als ob die deutschen „Think Tanks“ nicht länger Denk-„Fabriken“ sind, sondern der englischen Bedeutung des Wortes „tanks“ entsprechend wahrlich zu Denk-„Panzern“ geworden sind. Ein vernünftiger Meinungsaustausch steht so nicht mehr zur Debatte, stattdessen wird alles nur noch schwarz oder weiß gesehen.