Und schon wieder Neujahr
Ein Besuch beim tibetischen Losar-Fest im Lama-Tempel in Beijing Exklusiv
von Oliver Eschke, Beijing
Silvester ist schon lange vorbei und auch das chinesische Frühlingsfest fand am 5. Februar seinen Abschluss. Warum also wurde im Lama-Tempel in Beijing an diesem Wochenende erneut das Jahr des Hasen eingeläutet? Die Antwort ist ganz einfach: Der 21. Februar markiert das neue Jahr nach dem tibetischen Kalender.
War der Samstag noch grau, kalt und leicht verregnet, konnte man sich am Sonntagnachmittag über einen klaren blauen Himmel freuen, der die perfekten äußerlichen Bedingungen schuf, , um die Zeremonien zur Feier des bevorstehenden neuen Jahres des tibetischen Kalenders zu bestaunen. Fünf Tage lang halten die Feierlichkeiten im Yonghe-Tempel (wörtlich: „Palast des Friedens und der Harmonie“, meist aber eher als Lama-Tempel bekannt) seit dem 17. Februar an, bis am Dienstag das neue Jahr begrüßt wird. Was genau hat es mit diesem Losar-Fest auf sich?
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
„Losar“ ist schlicht das tibetische Wort für „Neujahr“ und gleichzeitig das wichtigste Fest dieser ethnischen Minderheit in China. Es wird nicht nur in der westchinesischen Autonomen Region Tibet gefeiert, sondern auch an anderen Orten in China mit vielen Menschen aus der tibetischen Volksgruppe, z.B. in Sichuan oder Qinghai, aber auch in Beijing. Da nicht wie beim chinesischen Neujahr der Mondkalender genutzt wird, sondern der tibetische Sonnen-Mond-Kalender („lunarsolar“), finden das Frühlingsfest und das Losarfest häufig – aber nicht immer – zu leicht unterschiedlichen Zeiten statt. Wie der chinesische Mondkalender kennen auch die Tibeter zwölf verschiedene Tierkreiszeichen („Lothak“), sodass am 21. Februar ebenfalls das Jahr des Hasen eingeläutet wird. Auch werden danach 15 Tage lang wie beim chinesischen Frühlingsfest verschiedene Rituale befolgt. Der tibetische Kalender steht übrigens seit 2011 in China als immaterielles Kulturerbe der nationalen Ebene unter Denkmalschutz.
Große Feierlichkeiten im Lama-Tempel
Chinas Hauptstadt ist zwar weit entfernt von Tibet, jedoch gilt der erwähnte Yonghe-Tempel als einer der bedeutendsten lamaistischen Tempel außerhalb der westchinesischen autonomen Region. Jedes Jahr strömen bereits an den Tagen vor dem Losar-Fest, eine Phase, die als „Gutar“ bezeichnet wird, Massen in die gut restaurierten Tempelanlagen, um die spektakulären Aufführungen der Mönche zu bestaunen.
Wer sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen wollte, musste allerdings früh genug da sein: Aufgrund des immensen Interesses waren die Tempelanlagen schon am Vormittag komplett überfüllt, sodass zeitweise ein Einlassstopp herrschte. Wer trotzdem wartete, wurde jedoch belohnt: Auf einer Bühne kurz hinter dem Haupteingang und weit vor der „Halle des Unendlichen Glücks“ („Wanfuge“) mit der bekannten 18 Meter hohen Buddha-Statue führten die Mönche in bunten und einzigartigen Kostümen eine etwa zwanzigminütige Show auf, in der sie verschiedene sog. Cham-Tänze vorführten. Damit werden die von Gesang begleiteten Maskentänze zu ritueller tibetischer Musik bezeichnet. Die Lamas tragen dabei markante Masken verschiedener Tiere (Ochsen, Hirsche etc.), mythischer Figuren oder Gottheiten und leisten sich einen symbolischen Kampf mit Dämonen, um diese und alles andere Böse im neuen Jahr zu vertreiben. Im Vorfeld bereiten sich die Mönche Tage lang akribisch auf ihre jeweilige „Rolle“ vor. Dass die Masken durchaus furchteinflößend daherkommen, ist gewollt, denn es gilt: Je furchteinflößender sie aussehen, um so effektiver können sie böse Geister vertreiben.
Alles in allem kann man nach diesem Tag festhalten, dass ein Besuch im Lama-Tempel zum Losar-Fest auch jenen die Chance gibt, eine gute Vorstellung von Chinas Reichtum an ethnischen Minderheiten mit ihren jeweiligen besonderen kulturellen Festen zu erhalten, die in Beijing oder den benachbarten Großstädten leben.Wie unter anderem der chinesische Staatsrat bereits im Jahr 2000 betont hatte, stellt die Kultur Tibets dabei die „glänzende Perle in der Schatzkammer der chinesischen Kultur und der Weltkultur“ dar. Folglich scheut die Zentralregierung keine Anstrengungen, um dem Schutz dieser einzigartigen Kultur mit ihrer Spiritualität und Sprache höchste Priorität einzuräumen. Auch aus sozioökonomischer und verkehrstechnischer Perspektive hat das autonom verwaltete Tibet seit 1959 beachtliche Fortschritte erzielt, sodass es heutzutage auch ein beliebtes Reiseziel für chinesische und ausländische Touristen ist.
Jeder Besucher kann daher nach diesem Tag im Lama-Tempel zweifellos sagen, dass er oder sie China dadurch noch ein bisschen besser kennengelernt hat.