Experte für Chinabild in deutschen Medien

Wie informiert man sich über China? Exklusiv

03.04.2023

Von Elke Lütke-Entrup

Wie kommt man zu einem ausgewogenen Bild über ein Land? Wichtig ist, sich kontinuierlich, vielfältig und umfassend zu informieren, eigene Erfahrungen mit dem Land zu sammeln und den Dialog mit den Menschen zu suchen. Zu diesem Schluss kommt Dr. Jonas Polfuß, promovierter Sinologe und Professor für Marketing der IU Internationalen Hochschule in Essen. Polfuß beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Chinabildern in deutschen Medien. Wie sich diese in den vergangenen Jahren verändert haben und wie man sich ein angemessenes Urteil über China verschafft, erzählt er im Interview mit China.org.cn.

China.org.cn: In welchen Medien informieren Sie sich selbst über China?

Prof. Jonas Polfuß: Da ich in diesem Bereich forsche, informiere ich mich besonders intensiv in deutschen und chinesischen Medien über das Land. Darüber hinaus interessiert es mich ebenfalls, wie z.B. in Ländern wie den USA oder Indien über China berichtet wird.

Wie hat sich Ihrer Forschung nach das Chinabild in deutschen Medien – sowohl im etablierten Journalismus als auch im Internet und auf Social Media-Plattformen – in den vergangenen Jahren gewandelt?

Seit den frühesten Berichten ist das deutsche Chinabild von Gegensätzen durchzogen. Es gab Wellen der Begeisterung sowie kritische bis ablehnende Perspektiven und Epochen. In den deutschen Medien der vergangenen Jahre lag phasenweise ein Fokus auf der chinesischen Wirtschaft, zuletzt sind wieder politische Themen in den Vordergrund gerückt. In Suchmaschinen wie Google informieren sich deutsche Nutzende viel über Alltagsthemen wie chinesisches Essen oder das chinesische Horoskop – wobei es oft stärker um die westliche Auslegung als um die Ursprünge in China geht. In den sozialen Medien werden Analysen und Einzelmeinungen reichweitenstarker Creators immer einflussreicher. Hier findet in der Regel vorab keine redaktionelle Überprüfung statt und nicht selten liegt der Schwerpunkt eher auf Emotionen als auf Fakten.

Was prägt die aktuelle Wahrnehmung Chinas in Deutschland?

In den Medien werden aktuell natürlich die chinesischen Beziehungen mit Russland und den USA viel diskutiert. Auch die Coronavirus-Pandemie prägt nach wie vor den deutschen Blick auf China. Insgesamt werden in der großen Öffentlichkeit vor allem (geo-)politische und wirtschaftliche Themen besprochen, kulturelle oder gesellschaftliche Aspekte höchstens am Rande betrachtet.  

Was ist für eine ausgewogene Berichterstattung über ein Land unabdingbar?

In meinen Augen ist es wichtig, in der Berichterstattung verschiedene Blickwinkel abzudecken. Um ausgewogen über ein bestimmtes Land berichten zu können, müssen Medien über entsprechende Expertise und Ressourcen – auch im jeweiligen Zielland – verfügen. Außerdem sollten vielfältige Ansichten aus dem In- und Ausland in die Berichterstattung einfließen.

Was können Chinainteressierte tun, um sich möglichst umsichtig über China zu informieren?

Da China in der deutschen Schulbildung meist ein Randthema bleibt, empfiehlt es sich, das Land im Selbststudium zu erkunden. Dafür gibt es umfassende Forschung und Literatur in deutscher oder englischer Sprache. Ich würde außerdem dazu raten, sowohl in unterschiedlichen Medien Deutschlands als auch in internationalen, das heißt nicht zuletzt chinesischen Medien, Informationen einzuholen. Wer sich umfassend eingelesen und informiert hat, kann sich schrittweise eine eigene Meinung bilden. Nicht nur als Sinologe lade ich dazu ein, ebenso den Dialog mit Chinesinnen und Chinesen zu suchen und einmal selbst China zu bereisen.

Wie wird sich das Chinabild in Deutschland angesichts des Medienwandels weiter verändern?

Kriselnde Traditionsmedien sowie weiter schrumpfende Budgets, Redaktionen und Sendezeiten für die Auslandsberichterstattungen werden nicht dazu führen, dass China hierzulande künftig in seiner ganzen Komplexität betrachtet wird. Onlinemedien setzen für mehr Klicks und Views oftmals noch stärker als Printmedien auf reißerische Schlagzeilen, was schwerlich zu einer ausgewogenen Berichterstattung beiträgt. Auch angesichts der weltpolitischen Lage vermute ich, dass sich bestimmte Tendenzen und gewisse Einseitigkeiten, die sich schon in den vergangenen Jahren gezeigt haben, weiter festigen werden.

Werden bei der künftigen Wahrnehmung eher Generations- als Kulturunterschiede die entscheidende Rolle spielen?

Durch die Verbreitung chinesischer Technologien und Medien, wie z.B. Kurzvideos auf TikTok, wächst auch in Deutschland zurzeit eine neue Generation heran, deren Alltag stärker als je zuvor durch Einflüsse aus China geprägt ist. Auch durch Technik- und Kulturimporte aus Ländern wie Südkorea und Japan steht Asien inzwischen für Coolness und Innovationskraft. In Untersuchungen meiner Unternehmensberatung China-Kommunikation haben wir herausgefunden, dass heutige Jugendliche China z.B. kaum noch als Billigproduzent ansehen, was in ihrer Elterngeneration üblich war und teilweise ist. Derartige Generationsunterschiede in deutschen Chinabildern dürften sich künftig ausweiten.

In den vergangenen Jahren sind zusätzliche China-Informationsdienste und Anbieter von Newslettern entstanden. Wie schätzen Sie die künftige Rolle und Entwicklung solcher Angebote ein?

Ich verfolge als Chinawissenschaftler seit mehr als 20 Jahren die deutschen Medien, die sich auf China konzentrieren. Viele dieser Angebote sind inzwischen reduziert oder ganz eingestellt worden, obwohl Chinas globale Bedeutung weiter zugenommen hat. Daher begrüße ich es, dass neue Medien und Formate hinzukommen, die sich mit dem Reich der Mitte auseinandersetzen und zu einem differenzierten Chinabild in Deutschland beitragen. Erfahrungsgemäß ist die langfristige Finanzierung von Nischenmedien dieser Art aber kein leichtes Unterfangen.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China,Medien,Sinologe,Chinabild