Digitale Transformation
Online-Shopping in China – ein Blick in eine andere Welt Exklusiv
Von Elke Lütke-Entrup
Das Online-Shopping Erlebnis ist in China ein ganz anderes als in Deutschland. Der chinesische Einzelhandelsmarkt ist – im Gegensatz zum deutschen – geprägt von mobilem Konsumverhalten, dem Wunsch nach Unterhaltung und einer omnipräsenten Infrastruktur für mobiles Bezahlen. China.org.cn, hat Herrn Dr. Hannes Jedeck, Geschäftsführer des Konfuzius-Instituts an der Universität Bonn befragt, warum dies so ist. Jedeck forscht unter anderem zum Thema digitale Transformation der chinesischen Kultur und Gesellschaft und deren Auswirkungen auf Konsumverhalten und Erwartungshaltungen chinesischer Konsumenten.
China.org.cn: Herr Dr. Jedeck, warum boomt der E-Commerce besonders in China so?
Hannes Jedeck: Der Bereich E-Commerce ist tatsächlich riesig in China. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2021 rund 51 Prozent des gesamten Umsatzes im Einzelhandel Online erzielt wird, Tendenz steigend. Das hat zum einen damit zu tun, dass in China eine „Mobile First“-Mentalität herrscht, das heißt, die Kunden greifen zunehmend oder ausschließlich auf ihr Smartphone zurück, wenn es um das Thema Einkaufen geht. Zum anderen schaffen es die Anbieter, attraktive Angebote und Formate zu entwickeln, die das digitale Einkaufen zum Erlebnis werden lassen. Hierzu gab es gerade einen spannenden Vortrag von Dr. Gerd Wolfram am Konfuzius-Institut Bonn.
In welchem E-Commerce Bereich ist China Innovationsführer?
Im Bereich E-Commerce ist es nicht unbedingt so, dass es bestimmte Technologien nicht auch schon in Deutschland gegeben hätte. China ist vor allem gut darin, die sogenannte Customer Journey und die Customer Experience, also die Erfahrungen des Kunden im gesamten Einkaufsprozess, auf innovative Weise an den Bedürfnissen des Kunden auszurichten. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Livestreaming, das sich in China großer Beliebtheit erfreut. Livestreams mit Influencern wären auch in Deutschland vor Jahren schon möglich gewesen. Allerdings schaffte es erst China, Livestreams so interaktiv und interessant zu gestalten, dass heute erfolgreiche und wichtige Meinungsführer Millionenumsätze auf den Livestream-Plattformen generieren.
Wie unterscheiden sich die Online-Shopping Plattformen in China von denen im Westen?
Die größte westliche Plattform für Online-Shopping ist unbestritten Amazon. Allerdings hat man dort den Eindruck, dass sich das Einkauferlebnis in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert hat. Es ist immer noch eine traditionelle Startseite, auf der man seine Waren aussucht, in einen Warenkorb legt, bezahlt und diese dann zugeschickt bekommt. In China werden Apps und Online-Plattformen ständig weiterentwickelt. Die App WeChat startete im Jahr 2011 als klassischer Messenger, doch schon in den ersten Jahren kamen Features wie die Sprachnachricht, WeChat Momente und Mobile Games hinzu. Heute kann man mit der Super-App WeChat seinen ganzen Alltag organisieren. Die App hat mit dem integrierten Online-Shop JD.com eine eigene Verkaufsplattform. Ich würde sagen, in China wird man – nicht zuletzt aufgrund der großen Konkurrenz – zu Innovation gezwungen, wenn man weiter am Markt bestehen will.
Eines Ihrer Forschungsgebiete ist der chinesische Konsum, Konsumverhalten und Erwartungshaltungen. Könnten Sie Charakteristika und Besonderheiten kurz darstellen?
In China steht der Aspekt der Customer Convenience, also des Kundenkomforts im Zentrum. Der gesamte Einkaufsprozess ist so gestaltet, dass er für den Kunden möglichst einfach und angenehm ist. Dazu zählen sowohl schnelle Lieferzeiten als auch umfassender Service. In den Großstädten wie Shanghai und Beijing ist für viele Produkte die Option der „Lieferung am gleichen Tag“ Standard. Wenn Chinesen auf der Suche nach Informationen sind, wollen sie sich nicht großartig anstrengen. Informationen sollen sofort verfügbar sein – und zwar in einer Form aufbereitet, die für sie unmittelbar verständlich und gewinnbringend ist. Dies gilt ebenso für die Suche nach dem richtigen Restaurant für den Abendbesuch mit der App Meituan (美团) wie für den Kauf von Lifestyle Produkten auf der Plattform Xiaohongshu RED (小红书). Bei RED bekommt der Kunde Empfehlungen von Produkten über die Posts und Stories anderer Nutzer, die er dann direkt mit einem Klick auf der RED Mall erwerben kann.
Könnte das chinesische Model des E-Commerce, also das Model einer Super-App, zu einer weltenweiten Mustervorlage werden?
Ich nehme an, Sie spielen auf die chinesische App WeChat an. Denn mit WeChat kann ich mir ein Taxi rufen, während der Fahrt einen Platz im Restaurant reservieren, dort Essen bestellen und alles anschließend kontaktlos und ohne Bargeld bezahlen. Und das, ohne die Infrastruktur der App verlassen zu müssen. Diese Art von digitaler Convenience haben wir in Deutschland nicht.
Welche Vorteile hätte das für Verbraucher?
Es hätte den Vorteil, dass viele Dinge einfacher werden würden. Der Kunde kann sehr viel Zeit und Nerven im Alltag sparen. Vieles wird angenehmer. Zudem hat der Kunde damit alle Daten auf einer Plattform, kann also zum Beispiel seine Ausgaben viel leichter nachvollziehen und steuern. Natürlich wird er damit gegenüber dem Betreiber der Plattform auch sehr transparent, was speziell in der deutschen Gesellschaft Fragen des Datenschutzes aufwerfen würde. Hier müssen wir immer wieder abwägen, welcher Seite wir den Vorzug geben wollen: Komfort oder Datenschutz.
Zur Person:
Dr. Hannes Jedeck, Geschäftsführer des Konfuzius-Instituts an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Gründer der „Initiative für den bundesweiten Aufbau von Chinakompetenz“ (IBAC).