Chinas Kulturerbe

Forscher bei der Arbeit in der Höhle Nr.100 der Mogao-Grotten

27.06.2022

von Lu Rucai


Forscher bei der Arbeit in der Höhle Nr.100 der Mogao-Grotten 

  

„Mit unserem Projekt Kulturerbe-Arche wollen wir möglichst viele Informationen über Chinas kulturelles Erbe bewahren. Dieses Ansinnen ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagt Professor Diao Changyu, ein Berater des Teams des Projekts „Kulturerbe-Arche“ der Universität Zhejiang. Diao und seine Kollegen sehen sich als „Fährmänner“, die es Chinas Kulturerbe ermöglichen, „die Wechselfälle der tausendjährigen Geschichte zu durchschiffen, um sicher an diesem Punkt der Zeit anzukommen und die Samen der chinesischen Zivilisation in die Welt zu tragen“, so sagt er. 

  

Zehn Jahre widmen sich Diao und sein Team nun schon ihrem Mammutprojekt. Mithilfe von 3D-Drucktechnologie reproduzieren sie alte Kulturdenkmäler und stellen diese aus. Ziel ist es, das kulturelle Erbe einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. 

  

Der Startschuss fällt in Dunhuang 

  

Die Arbeiten zur Digitalisierung des Kulturerbes reichen bis in die späten 1990er Jahre zurück, genauer gesagt in den Juli 1997. Zu jener Zeit besuchte Pan Yunhe, damals Präsident der Universität Zhejiang, die berühmten Mogao-Grotten in Dunhuang in der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas. Zusammen mit Fan Jinshi, der damaligen Präsidentin der Dunhuang-Akademie, begann Pan die Möglichkeiten der digitalen Datensammlung und der Restaurierung der Wandmalereien von Dunhuang zu erforschen. Hierfür wurde eigens ein interdisziplinäres Forschungsteam zusammengestellt.   

  

„Fan hat einmal gesagt, man könne die Alterung und das Verschwinden der Mogao-Grotten nur verzögern, nicht aber gänzlich aufhalten“, erinnert sich Li Min, die Teamleiterin des Projekts „Kulturerbe-Arche“. Von 2010 bis 2014 restaurierte ein Team der Universität Zhejiang, das sich aus Technologen und Archäologen zusammensetzt, die Höhle Nr. 220, die auf die frühe Tang-Dynastie (618-907) zurückgeht. Die Buddha-Statuen in dieser Höhle im Stil der frühen Tang-Dynastie sind außergewöhnlich gut erhalten und gelten deshalb als Standardstatuen für diese Zeit. „Die Höhle und ihre Verzierungen wurden anhand von 3D-Daten maßstabsgetreu rekonstruiert. Die Fresken wurden dabei mit Reispapier – einem hochwertigen Papier, das sich gut für die traditionelle chinesische Malerei und Kalligrafie eignet – auf die Grundschicht des Lehmputzes gesprüht. Dadurch wurden Farbe und Textur der Originalhöhle realitätsgetreu nachgebildet“, beschreibt Li das Vorgehen.    

  

Das Projekt „Kulturerbe-Arche“ wurde im Jahr 2012 unter der Schirmherrschaft des Forschungsinstituts für Kulturerbe der Universität Zhejiang ins Leben gerufen. Seither widmen sich seine Mitglieder nun schon über ein Jahrzehnt unermüdlich dem digitalen Schutz kultureller Denkmäler.  


Ein Blick auf die Höhle Nr. 12 der Yungang-Grotten 

  

Bis heute hat das Team insgesamt 133 Digitalisierungsprojekte gestemmt. Dafür legten die Experten rund 150.000 Kilometer im ganzen Land zurück, reisten in 24 Provinzen. Jedes Jahr verbrachten sie über 150 Tage damit, Daten zu sammeln. „Nicht nur Höhlen, sondern auch Fresken, Gräber und Tempel nehmen wir ins Visier“, sagt Li, die ihren Stolz über die Leistungen ihres Teams nicht verbergen kann. Sie verweist insbesondere auf die Höhlen Nr. 3 und Nr. 12 in Yungang in der zentralchinesischen Provinz Shanxi. „Bei der Nachbildung der Höhle Nr. 12 der Yungang-Grotten handelt es sich um die weltweit erste mit beweglichem 3D-Druck nachgebildete Grotte. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für die Yungang-Grotten hergestellt“, sagt sie. 

 

In besagter Höhle, die auch als „Musikhöhle“ bekannt ist, sind über der Nordwand des Vorraums Gemälde von himmlischen Musikern zu sehen. Sie halten Musikinstrumente der örtlichen ethnischen Gruppen in den Händen und geben den Stil und das Spiel der kaiserlichen Musikgruppen der Nördlichen Wei-Dynastie (386-534) lebendig wieder. Die hier gefundenen Daten sind äußerst wertvoll für die Erforschung der Geschichte der alten chinesischen Musik. Die rekonstruierte Höhle ist 8,5 Meter hoch, 12,2 Meter breit und 14,5 Meter lang. „Die Reproduktionsarbeiten haben mehr als drei Jahre in Anspruch genommen. Es ist nicht nur eine Weltpremiere, dass 3D-Drucktechnologie bei einem solchen Projekt zum Einsatz kam, sondern auch das erste Mal, dass ein Stück großes Kulturerbe zu einem mobilen Ausstellungstück umgewandelt wurde. All dies ermöglicht es den Yungang-Höhlen, sich einem größeren internationalen Publikum zu präsentieren“, sagt die Teamleiterin. 


Teammitglieder beim Sammeln von Bilddaten antiker Gebäude 

  

Technische Hürden nehmen 

  

Li besitzt einen Doktortitel vom Institut für Computerwissenschaften der Universität Zhejiang. Ursprünglich wurde das Projekt vom Forschungsteam dieses Instituts geleitet. Ziel war es, unter Anwendung von digitaler Technologie Informationen über Elemente des Kulturerbes zu sammeln und diese zu bewahren. Nach Gründung der Fakultät für Kunst und Archäologie an der Universität im Jahr 2019 schlossen sich Studierende und Forscher anderer Fächer dem Projekt an, was neue Möglichkeiten für überregionale Ausstellungen von unbeweglichen Kulturerbe-Denkmälern durch den Einsatz von 3D-Drucktechnologie eröffnete. „Kunst plus Wissenschaft und Technologie“ lautet das Motto – ein Modell, dem das Institut große Aufmerksamkeit schenkt.  

    

Das 15-köpfige Team ist noch einmal in Arbeitsgruppen für Archäologie, kreative Gestaltung und IT unterteilt. Zu den Kernaufgaben des Expertenteams zählen Datenerfassung, die Erstellung von 3D-Modellen, 3D-Druck, Installation und Ausstellung. „Der schwierigste Teil ist das Sammeln und Bearbeiten der Daten“, sagt Teamleiterin Li. 

  

„Aufgrund der komplexen Beschaffenheit und Struktur der Höhlen verwenden wir zur Datenerfassung 3D-Laserscanning-Technologie in Kombination mit Photogrammetrie. Um die Farben nicht zu beschädigen, darf die Beleuchtung während der Datenerfassung nicht zu stark sein. Die Herausforderung besteht darin, die ursprünglichen Farben trotz der geringen Beleuchtung fehlerfrei zu erfassen“, sagt Li. Vor diesem Hintergrund entwickelte das Team eine spezielle Technologie zur Farbkalibrierung. So gelang es, Farben auf Höhlenoberflächen auch unter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen genau zu reproduzieren. 

  

In den letzten Jahren hat das Team immer wieder technologische Durchbrüche erzielt. So etwa die High-Fidelity-Datenerfassungshardware der fünften Generation für Wandmalerei und Kalligraphie, die das Team in China unabhängig entwickelt hat, sie ist weltweit führend. Gleiches gilt für einen dreidimensionalen photometrischen Scanner, der Datenerfassungen mit hoher Reflexion durchführt. 


Digitale Ergebnisse der Rekonstruktion einer Buddha-Statue in der Höhle Nr.13 der Yungang-Grotten 

  

Die kollektive Erinnerung weitergeben 

Aus Lis Sicht liegt die Bedeutung ihrer Arbeit darin, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Schutz des kulturellen Erbes zu schärfen, den Respekt vor den historischen Errungenschaften zu erhöhen und die ausgezeichnete traditionelle chinesische Kultur weiterzuführen und zu verbreiten. Damit dies gelingt, setzt ihr Team nicht nur auf spezielle Förderproramme in Grund- und Mittelschulen in China, sondern dehnt die Zusammenarbeit über spezielle Kurse und Programme auch auf führende ausländische Universitäten aus. Dazu gehören ein Virtual-Reality-Programm für die Pyramiden in Ägypten mit der Harvard University, ein Projekt zum digitalen Schutz und zur Förderung der Wandmalereien gefährdeter Tempel in der Provinz Shanxi mit dem University College of London und eine digitale Untersuchung örtlicher Tempel in Kooperation mit dem nepalesischen Amt für Kulturgüter. 

  

„Die digitale Erforschung von Kulturdenkmälern begann im Ausland schon viel früher als in China. Aber größtenteils konzentrierte man sich dort auf den Bereich der beweglichen Kulturdenkmäler, während nur sehr wenige Anstrengungen unternommen wurden, auch unbewegliche Kulturdenkmäler digital zu erforschen“, merkt Professor Diao an. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Länder, die in Sachen Kulturgüterschutz eine Vorreiterrolle spielten, nicht so viele unbewegliche Kulturgüter hätten, wie man sie in China vorfinde, so Diao. In China sei dagegen eine Vielzahl von Höhlen, Holzgebäuden, Tempeln und Fresken erhalten geblieben. „All dies sind äußerst wertvolle Kulturschätze der Menschheit.“ 

  

Li Min sagt zum Abschluss: „Manchmal erscheint uns der Schutz des Kulturerbes wegen seines Seltenheitswerts und seiner Unzugänglichkeit als anspruchsvolle und geheimnisvolle Kunst. Gewöhnliche Leute mögen der Meinung sein, das Kulturerbe sei von ihnen meilenweit entfernt. Doch letztlich sind dies die Früchte der Weisheit unserer Vorfahren. Von daher geht das Kulturerbe jeden etwas an.“ Lis Team macht sich die Digitaltechnik zunutze, um Informationen über das Kulturerbe vollständig, systematisch und wissenschaftlich aufzuzeichnen. Das Ergebnis der akribischen Arbeit ist ein digitales Archiv von unschätzbarem Wert. Letzten Endes geht es bei ihrem Projekt also auch um den Schutz des Gedächtnisses der chinesischen Gesellschaft als Ganzes. Und hierzu trägt das Archiv einen wichtigen Teil bei.  

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Quelle: China Heute

Schlagworte: Mammutprojekt,3D,Drucktechnologie,Kulturdenkmäler