Gasexporte
Die USA sind der größte Gewinner im weltweiten Energiechaos
Da die Europäische Union ihre Abhängigkeit von russischem Gas dringend reduzieren will, hält sie Ausschau nach anderen Gaslieferanten. Vor allem die USA mit ihrem Flüssigerdgas (LNG) werden somit aktuell zum größten Nutznießer der Krise. Allein im ersten Halbjahr haben sie schon mehr LNG-Gas nach Europa geliefert als im ganzen letzten Jahr.
Archivbild von der Nord Stream Pipeline 1 (Xinhua/AFP)
Angesichts der Befürchtung, dass der Gasfluss aus Russland durch die Nord Stream 1-Pipeline auf unbestimmte Zeit unterbrochen wird, werde die EU im Vorfeld des kommenden Winters die Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) aus alternativen Quellen erhöhen müssen. Dies mache die USA zum größten Gewinner der Russland-Ukraine-Krise, kommentierten Experten am Samstag.
Nach Abschluss der dreitägigen Wartungsarbeiten sollte ursprünglich am Samstagmorgen wieder Gas durch die Nord Stream 1-Pipeline fließen. Die Pipeline ist eine Schlüsselader für russische Gaslieferungen nach Europa und hatte im vergangenen Jahr etwa 35 Prozent der gesamten europäischen Gasimporte aus Russland abgedeckt.
Nachdem jedoch ein Ölleck in der Verdichterstation Portovaya entdeckt worden war, erklärte der Betreiber Gazprom, dass die Pipeline abgeschaltet werden müsse, „bis alle Ausrüstungsfehler behoben sind.“ Wie lange dies konkret dauern wird, gab das Unternehmen zunächst nicht bekannt.
Seit Juni hat Gazprom den Durchfluss durch Nord Stream 1 auf 20 Prozent seiner Kapazität reduziert. Das Unternehmen macht die vom Westen verhängten Sanktionen für die Störung des Routinebetriebs und der Wartung der Pipeline verantwortlich.
In einer Zeit, in der sich die russischen Gaslieferungen drastisch reduzieren, hat die EU keine andere Wahl, als die Importe aus den USA um jeden Preis zu erhöhen. Das wiederum bringe den US-Gaslieferanten nie dagewesene Gewinne, erklärte Lin Boqiang, Direktor des China Center for Energy Economics Research an der Universität Xiamen, der Global Times am Samstag. Bis Juni dieses Jahres exportierten die USA etwa 57 Milliarden Kubikmeter (kurz „bcm“ für „billion cubic metres“) LNG, von denen 39 bcm (68 Prozent), nach Europa gingen. Im Vergleich dazu waren im ganzen letzten Jahr „nur“ 34 bcm (35 Prozent) der LNG-Exporte nach Europa geliefert worden, als die LNG-Exporte der USA laut Reuters insgesamt 97 bcm betrugen.
„Dies wäre in der Vergangenheit undenkbar gewesen, da die LNG-Preise der USA aufgrund der Transportkosten deutlich höher sind als die russischen Pipeline-Gaspreise. Aber jetzt hat die Ukraine-Krise die EU dazu veranlasst, ihre Energieabhängigkeit von russischem Gas zu verringern", so Lin. „Mit anderen Worten: Die weltweite Energielandschaft befindet sich aufgrund geopolitischer Faktoren in einem gewaltigen Umbruch, der mit steigenden Preisen und Versorgungsengpässen einhergeht."
Nach Angaben von Business Insider, einer amerikanischen Website für Finanz- und Wirtschaftsnachrichten, verdienen US-Unternehmen mehr als 100 Millionen US-Dollar pro Containerschiff mit LNG, das für Europa bestimmt ist.
„Selbst mit den teuren LNG-Importen aus den USA könnte es für die EU schwierig werden, im kommenden Winter, wenn die Energienachfrage normalerweise stark ansteigt, eine rasant steigende Inflation, Stromengpässe und Produktionsunterbrechungen zu vermeiden", warnte Lin jedoch. „Die EU braucht mehr Zeit, um sich auf die Verringerung ihrer Abhängigkeit von russischem Gas vorzubereiten, wofür unter anderem mehr LNG-Schiffe und mehr Gasspeicher notwendig sind", so der in Beijing ansässige Experte.