China und Deutschland

50 Jahre gegenseitiger Respekt und Win-win-Kooperation Exklusiv

10.10.2022

von Shi Mingde

 

Shi Mingde ist Präsident der Gesellschaft für die chinesisch-deutsche Freundschaft (CGFA) und ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland.


Dieses Jahr ist ein ganz besonderes Jahr für die chinesisch-deutschen Beziehungen: Die Regierung der Volksrepublik China und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland haben am 11. Oktober 1972 beschlossen, diplomatische Beziehungen auf Botschafterebene aufzunehmen. Auch für mich persönlich ist dies ein ganz besonderes Jahr. Seit 50 Jahren bin ich nun schon in Chinas Außenministerium tätig und habe somit die Entwicklung und den Wandel der deutsch-chinesischen Beziehungen im letzten halben Jahrhundert persönlich miterleben und mitgestalten können. In den letzten 50 Jahren hat die Welt viele Höhen und Tiefen erlebt - das Ende des Kalten Krieges, den Zusammenbruch der Sowjetunion und die dramatischen Veränderungen in Osteuropa. China hat bemerkenswerte Erfolge bei seiner Reform und Öffnung erzielt und ist mittlerweile zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt geworden. Deutschland seinerseits hat seine Teilung überwunden und eine nationale Einheit erreicht. Bis heute bleibt es das wirtschaftsstärkste Land in Europa.

 

Auch die chinesisch-deutschen Beziehungen haben sich trotz einiger Windungen im Wesentlichen mit einer schnellen, anhaltenden und stabilen Dynamik entwickelt und sind im Vergleich zu den Beziehungen mit anderen europäischen Ländern führend. Das wichtigste Merkmal der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Deutschland ist, dass sie pragmatisch, umfassend, tiefgreifend und fest verankert ist.


In den vergangenen 50 Jahren haben die beiden Länder ihr gegenseitiges politisches Vertrauen vertieft und ihre Staats- und Regierungschefs haben sich regelmäßig und häufig gegenseitig besucht. Insbesondere seit Beginn des neuen Jahrhunderts befinden sich die chinesisch-deutschen Beziehungen auf der „Überholspur“ und in einer Phase der „Beschleunigung“ der umfassenden Entwicklung. So konnten sie in den folgenden Jahren erfolgreich einen „Dreisprung“ in Folge vollziehen: Im Jahr 2004 kündigten beide Seiten im Rahmen der strategischen Partnerschaft China-EU zunächst den Aufbau einer „Partnerschaft in globaler Verantwortung“ sowie die Einrichtung eines Mechanismus zu alljährlichem Treffen der Regierungschefs beider Länder an. Im Jahr 2010 beschlossen die beiden Länder die umfassende Förderung der strategischen Partnerschaft und vereinbarten zu diesem Zweck die Einrichtung regelmäßiger Regierungskonsultationen. Im Jahr 2014 haben die beiden Länder dann schließlich eine umfassende strategische Partnerschaft beschlossen.

 

Bereits im Jahr 2011 hatten die beiden Länder regelmäßige Regierungskonsultationen eingerichtet. Dabei handelt es sich um den Konsultationsmechanismus auf höchster Ebene zwischen China und den westlichen Ländern. Dieser hat kontinuierlich Beiträge dazu geleistet, die praktische Zusammenarbeit zu vertiefen, die bilateralen Verhältnisse strategisch zu gestalten und den Fahrplan für deren Entwicklung aufzustellen. Die Häufigkeit, mit denen sich die chinesischen und deutschen Staats- und Regierungschefs gegenseitig besuchten, war lange Zeit eine Seltenheit in den Beziehungen Chinas zu westlichen Ländern. Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben die Staats- und Regierungschefs der beiden Länder weiterhin stets einen engen Kontakt und Austausch gepflegt.

 

Die umfassende Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland hat währenddessen sowohl in Bezug auf die Breite als auch auf die Tiefe ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zeichnet sich dadurch aus, dass sie komplementär und besonders fruchtbar ist. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen China und Deutschland betrug bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1972 weniger als 300 Millionen US-Dollar. Heute ist es auf rund 235,1 Milliarden US-Dollar angewachsen. Damit macht es etwa ein Drittel des gesamten chinesischen Handels mit der Europäischen Union (EU) aus. Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern an einem einzigen Tag entspricht heute dem Volumen von mehr als zwei Jahren zu Beginn der diplomatischen Beziehungen. Außerdem ist China nun schon seit sechs Jahren in Folge Deutschlands weltweit größter Handelspartner. Auf der anderen Seite ist Deutschland innerhalb der EU das Land, das am meisten in China investiert und am meisten Technologietransfers tätigt. In den letzten Jahren haben sich die chinesisch-deutschen Investitionen von einer „Einbahnstraße“ in eine „Zweibahnstraße“ verwandelt, wobei auch die chinesischen Investitionen in Deutschland erheblich gestiegen sind. Es gibt heutzutage mehr als 6.000 deutsche Unternehmen in China, während gleichzeitig mehr als 3.000 chinesische Unternehmen in Deutschland tätig sind. Diese rasche Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und der technologischen Kooperationen zwischen Deutschland und China hat beiden Ländern und ihren Bürgern spürbare Vorteile gebracht.

 

Wie die chinesische Weisheit besagt, ist die Verbundenheit zwischen den Menschen der Schlüssel zu der Freundschaft zwischen den Ländern. Im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Dialogmechanismus für den gesellschaftlich-kulturellen Austausch pflegen mehr als 500 Hochschulen und Forschungsinstitute eine enge Zusammenarbeit. Mit mehr als 50.000 Studierenden bilden Chinesen inzwischen die größte Gruppe ausländischer Studierender in Deutschland. Mehr als 300 Grund- und weiterführende Schulen in Deutschland bieten mittlerweile Chinesisch-Kurse an, und in ganz Deutschland sind 19 Konfuzius-Institute aktiv. Die Zahl der Partnerschaften zwischen den Provinzen und Bundesländern bzw. Städten der beiden Länder steht derzeit bei 103. Vor der Pandemie gab es insgesamt mehr als zwei Millionen Touristen, die entweder von Deutschland nach China kommen oder umgekehrt. Jede Woche gab es mehr als 100 Flüge in beide Richtungen. Dieser Kultur-, Bildungs- und Personenaustausch zwischen den beiden Ländern hat erheblich dazu beigetragen, das gegenseitige Verständnis und die Freundschaft zwischen den Menschen beider Länder zu stärken.

 

Auf der globalen Bühne arbeiten die Volksrepublik und die Bundesrepublik auch in Bezug auf die Wahrung des internationalen Friedens eng zusammen und stimmen sich miteinander ab. Beide Länder setzen sich für Multilateralismus und gegen Unilateralismus ein, befürworten Freihandel und lehnen Handelsprotektionismus ab und treten für Globalisierung und internationale Zusammenarbeit anstelle von Blockpolitik und spaltenden Abkopplungsversuchen ein. Beide sind unter anderem Fürsprecher für friedliche politische Lösungen für internationale und regionale Streitigkeiten und sprechen sich nachdrücklich für Klimaschutz und Kohlenstoffneutralität aus. Auch in Bereichen wie der globalen Governance haben China und Deutschland vergleichbare Vorstellungen und Ziele und sind engagierte Akteure.

 

Die Tatsache, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen das heutige Niveau erreicht haben,  ist untrennbar mit dem gegenseitigen politischen Respekt und Vertrauen, der wirtschaftlichen Komplementarität und der Win-win-Kooperation zwischen den beiden Ländern verbunden. Es ist überdies auch das Ergebnis der langjährigen   Bemühungen der führenden Politiker und zahlloser einsichtiger Menschen in beiden Ländern.

 

Heute, 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, sehen wir vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden internationalen Lage, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zwar einerseits vor neuen Entwicklungschancen, aber gleichzeitig auch vor neuen Herausforderungen stehen. Unter dem dreifachen Einfluss der Spannungen zwischen China und den USA, der COVID-19-Pandemie und der Ukraine-Krise durchläuft Deutschland gerade eine „Zeitenwende“ in seiner Innen- und Außenpolitik.

 

Im Dezember letzten Jahres wurde die erste Bundesregierung aus einer Drei-Parteien-Koalition in der deutschen Geschichte gebildet. Diese neue sog. Ampel-Koalition hat zum Ausdruck gebracht, dass sie den Beziehungen zu China weiterhin große Bedeutung beimisst, die geopolitischen, sicherheitspolitischen und ideologischen Faktoren sowie der Einfluss der USA haben aber in ihren Überlegungen zur deutschen Chinapolitik eindeutig zugenommen. Die neue Regierung wolle die Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten. Zudem soll aktuell noch eine neue China-Strategie erarbeitet werden. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie und vor allem seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise gibt es ein großes Defizit und Missverständnis in der deutschen Wahrnehmung von China. Zu den Fragen, wie es mit den chinesisch-deutschen Beziehungen und mit der deutschen China-Politik weiter geht, findet in Deutschland gerade eine neue Debatte statt. Der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen bietet auch einen guten Anlass für beide Seiten, um zurückzublicken, nach vorne zu schauen und auf dem in der Vergangenheit Erreichten aufzubauen.

 

Was die künftigen Aussichten für die chinesisch-deutschen bzw. chinesisch-europäischen Beziehungen und die Zusammenarbeit angeht, so sind wir fest entschlossen und zuversichtlich. Gleichzeitig schenken wir aber auch den neuen Veränderungen, Problemen und Herausforderungen große Aufmerksamkeit.

 

Im Mai dieses Jahres betonte Präsident Xi Jinping bei einem Videogespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen in den letzten 50 Jahren ein hohes Niveau aufrechterhalten hätten und beide Seiten durch die kontinuierliche Vertiefung der praktischen Zusammenarbeit eine gemeinsame Entwicklung und viele Win-win-Erfolge erzielt hätten. Der Schlüsselfaktor dafür sei insbesondere gewesen, dass man am gegenseitigen Respekt und einer gemeinnützigen Zusammenarbeit festgehalten habe. Diese wertvolle Erfahrung und zugleich ein wichtiges Prinzip für internationale Beziehungen müsste auch in der Zukunft konsequent befolgt werden. Chinas ursprüngliche Absicht, die chinesisch-deutschen Beziehungen weiter auszubauen, habe sich nie geändert. Genauso würden auch Chinas aufrichtiger Wunsch, die Zusammenarbeit mit der deutschen Seite zu verstärken, und das Vertrauen in die bilaterale Zusammenarbeit, um noch mehr bedeutsame Ereignisse zu erreichen, unverändert bleiben.

 

Die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße, sondern dient stattdessen immer den Vorteilen beider Seiten. Aktuell ist es am wichtigsten, den allgemeinen Kurs der Entwicklung der bilateralen Beziehungen gut zu steuern, das gegenseitige politische Vertrauen zu stärken und den Konsens zu erweitern. Es gilt dabei, die Kerninteressen des jeweils anderen zu respektieren, während Missverständnisse und Konflikte abgebaut werden. Neben der Aufrechterhaltung der bestehenden Kooperationen sollten beide Seiten auch neue Highlights und Plattformen für die Zusammenarbeit in den zukunftsorientierten Bereichen wie Umweltschutz, künstliche Intelligenz (KI), neue Energien, digitale Wirtschaft und grüne Wirtschaft schaffen. Nur auf diese Weise können die Gewinne, die sich aus der Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten ergeben, kontinuierlich gesteigert werden. Die Aufrechterhaltung bzw. der Ausbau der freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen zwischen Deutschland und China wird nicht nur allein unseren beiden Ländern und Menschenzugutekommen, sondern auch dazu dienen, gemeinsam mehr positive Energie für den Frieden, die Stabilität und die Entwicklung in dieser turbulenten Welt zu erzeugen.


* Der Autor Shi Mingde ist Präsident der Gesellschaft für die chinesisch-deutsche Freundschaft (CGFA) und ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: Deutschland,Botschafter,Politik