50 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen: Warum an Zusammenarbeit kein Weg vorbeiführt

13.10.2022

2022 jährt sich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland zum 50. Mal. 

 

Vor 50 Jahren sah die geopolitische Landschaft noch komplett anders aus. Es herrschte ein Kalter Krieg zwischen zwei politischen Systemen. China war noch immer auf der Suche nach dem besten Weg, das Land zu entwickeln und den Hunger zu überwinden. Deutschland als damals noch geteiltes Land stand jeweils mit einem Bein in entgegengesetzten Lagern.  

 

Trotzdem bewiesen Politiker der Bundes- und der Volksrepublik den Mut und die politische Weitsicht, den historischen Handschlag zwischen zwei Ländern zu ermöglichen, die sich hinsichtlich Geschichte, Kultur, Gesellschaftssystem und Entwicklungsstand stark unterschieden. 

 

Die am 25. Oktober 1971 verabschiedete Resolution 2758 der Generalversammlung der Vereinten Nationen erkannte die Volksrepublik China  als einzigen legitimen Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen an. Die USA sowie 34 gleich ausgerichtete Staaten lehnten den vom afrikanischen Land Tansania eingebrachten Vorschlag ab, konnten sich aber letztlich der 76- Stimmen-Mehrheit der UNO-Länder nicht widersetzen.  

 

Nachdem die VR China auch Mitglied des Sicherheitsrats geworden war und damit ein Vetorecht bei der Aufnahme der deutschen Staaten in die UNO hatte, war vor allem die BRD daran interessiert, von China anerkannt zu werden und diplomatische Beziehungen aufzunehmen.  

 

Die Annäherung zwischen der Bundesrepublik und China fiel mit den Bemühungen der USA und Chinas zusammen, bestehende Spannungen abzubauen und die Beziehungen zu verbessern. 


Eine weitsichtige, alle Seiten berücksichtigende Diplomatie war gefragt. Die Gespräche zur Aufnahme der offiziellen Beziehungen wurden somit durch einen Oppositionspolitiker, Gerhard Schröder, nicht zu verwechseln mit dem späteren Bundeskanzler, und dem in Bonn akkreditierten Xinhua-Journalisten Wang Shu, ohne offizielle Mission, aufgenommen. Sie waren erfolgreich. Bereits am 20. Juli 1972 unterzeichneten der Oppositionspolitiker und der chinesische Vizeaußenminister Qiao Guanhua eine gemeinsame Absichtserklärung.


Der chinesische Außenminister Ji Pengfei (rechts) und der deutsche Außenminister Walter Scheel (vorne links) tauschten am 11. Oktober 1972 Dokumente zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland aus. (Foto mit freundlicher Genehmigung der Gedenkhalle von John Rabe und der internationalen Sicherheitszone an der Universität Nanjing) 


Bereits am 11. Oktober 1972 paraphierte der deutsche Außenminister Walter Scheel mit dem chinesischen Außenminister Ji Pengfei, dem vorherigen Botschafter Chinas in der DDR, in Beijing einen offiziellen Vertrag. 

 

Tatsächlich begannen die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und China aber schon früher. Die Deutsche Demokratische Republik hatte bereits seit dem 27. Oktober 1949, unmittelbar nach der Gründung der Volksrepublik also und 20 Tage nach Gründung der DDR, diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufgenommen. Beide Staaten unterstützten sich seither gegenseitig beim Aufbau der jungen Republiken, die international nur von wenigen Staaten anerkannt, ja sogar von den westlichen Ländern boykottiert und sanktioniert wurden. Als ich 1990 in China die Repräsentanz eines auf Eisenbahntransporte spezialisierten bundesdeutschen Speditionsunternehmens übernahm, traf ich immer wieder auf Bahnfachleute, die enge Kontakte zur DDR hatten. 

 

Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und China nahm nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen langsam Gestalt an. Im Jahr 1978, also nach der durch Deng Xiaoping eingeleiteten Reformpolitik, sowie im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990 nahm die Zusammenarbeit jeweils noch einmal zusätzlich Fahrt auf. Die Beziehungen entwickelten sich umfassend auf politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Ebene. 


Einige Höhepunkte seien hier genannt:  

 

1973 wurden die ersten zehn Studenten aus China nach Heidelberg eingeladen und erste deutsche Sprachstudenten reisten nach China. 1975 lockte die deutsche Industrieausstellung „Technogerma“ in Beijing mit 130 deutschen Firmen 250.000 Besucher an. 1978 wurde mit deutscher Technologie ein erstes Solardorf in der Nähe der chinesischen Hauptstadt errichtet und 1980 erhielt die Bundesrepublik als Geschenk ein Panda-Paar.  

 

Auf Vermittlung der Duisburger Firma Mannesmann, die in Wuhan ein Kaltwalzwerk miterrichtet hatte, wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Duisburg und Wuhan beschlossen. 1983 wurden dann die ersten Volkswagen des Typs „Santana“ aus dem Joint-Venture-Werk in Shanghai ausgeliefert und die Deutsche Lufthansa übernahm 1985 einen Teil der Wartung chinesischer Flugzeuge. 


Aushängeschild: Das Erfolgsmodell VW Santana prangt im Mai 1990 auf diesem Schild von Volkswagen Shanghai.  


1993 wurden durch Bundeskanzler Helmut Kohl in China Lieferverträge im Wert von 6,3 Milliarden DM unterzeichnet. 1998 nahm die Deutsche Handelskammer in China im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder ihre Tätigkeit auf. In dieser Zeit nahm ich als Direktor eines Joint Ventures persönlich an der Veranstaltung teil. 

 

2006 trat zwischen China und Deutschland ein neues Investitionsförderungs- und -schutzabkommen in Kraft. 2011 fanden die ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt. Im Jahr 2019 besuchte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel China zum zwölften Mal. Chinas Staatspräsident Xi Jinping stattete 2013 und 2017 Deutschland einen Staatsbesuch ab.  

 

Auf bilateraler Ebene finden heute jährlich über 80 Dialogmechanismen in den Bereichen Politik, Justiz, Sicherheit, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Umweltschutz statt. Selbst unter den coronabedingten Einschränkungen treffen sich Regierungsvertreter virtuell zu Konsultationen. 

 

Die ersten Jahre der wirtschaftlichen Zusammenarbeit waren durch den Import von Technologien aus Deutschland, eingeschränkte wirtschaftliche Beteiligungen deutscher Unternehmen in China und die Verlagerung von Niedriglohn-Industrien in die Volksrepublik gekennzeichnet. Gleichzeitig prägte aber auch die Erschließung des chinesischen Binnenmarktes für deutsche Konsumgüter die damalige Zeit. 


Die frühere Werkbank der Welt hat sich – nach einer mehrjährigen Aufholphase, in der als Entgegenkommen für die Öffnung des Marktes, die Bereitstellung von Arbeitskräften im Niedriglohnbereich und die Vernachlässigung von Umweltstandards ein Technologietransfer erwartet wurde – zu einem weltweiten Technologie-Ausstatter aufgeschwungen. Die internationalen wirtschaftlichen, insbesondere die deutschen Verflechtungen mit der chinesischen Wirtschaft, erreichen heute ein hohes Maß. Nach einer Umfrage des deutschen Ifo-Instituts gab jedes zweite Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland an, auf Vorleistungen aus China zwingend angewiesen zu sein. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen sind Deutschland und China für einander unverzichtbar.  

 

Im Jahr 1980 war China mit Position 35 auf der Hitliste deutscher Partner noch relativ unbedeutend. Seit 2016 ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner. Der Handel mit China umfasst viele Produktbereiche. Er entwickelte sich vom Export billiger Produkte aus China zu einem qualitativ ausgeglichen Handel vor allem für Hightech-Produkte, die für Deutschlands digitale und ökologische Transformation existenziell sind. Gegenwärtig sind mindestens 5000 deutsche Unternehmen in China aktiv, und jedes Jahr kommen neue hinzu.  

 

In den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 stiegen die deutschen Investitionen im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent. Jüngste Beispiele sind der Bau eines zehn Milliarden Euro teuren Verbundstandortes des Chemiekonzerns BASF und die Ankündigung des Volkswagenkonzerns, weitere 15 Milliarden Euro bis 2024 zu investieren. Der Lebensmitteldiscounter Aldi hat zudem angekündigt, hunderte neue Märkte in China zu eröffnen.  


Gegenwärtig verkauft Mercedes 36 Prozent seiner Fahrzeuge in China, bei Volkswagen sind es über 40 Prozent. 


Über die erste direkte Eisenbahnverbindung von Chongqing nach Duisburg erreichte im Juli 2022 der 10.000 Zug den deutschen Bestimmungsbahnhof. Als Knotenpunkt für Züge nach ganz Europa setzte Duisburg wesentliche Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung und profitierte auch selbst davon. 

 

Obwohl deutsche Politiker immer wieder vor einer Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China warnen und mahnen, dass mit den Investitionen deutscher Firmen in chinesische Unternehmen immer auch ein Transfer und Aufbau von Technologien und Know-how verbunden ist, machten nach Informationen des deutschen Handelsblattes (Stand 27.7.2022) die großen Industriekonzerne diese Erfahrungen nicht. 

 

China hat seine gesetzlichen Regelungen den internationalen Standards angepasst. So wurde bereits in den 1990er Jahren das Patentrecht nach deutschem Vorbild geregelt. Es folgte das Arbeitsrecht und 2021 trat zudem ein neues Zivilgesetzbuch in Kraft, für welches ebenfalls das deutsche Pendant als Vorlage diente. All das erhöht die Rechtssicherheit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.  

 

Den außerordentlichen Bemühungen und Anstrengungen der Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft beider Länder ist es zu verdanken, dass sich die diplomatischen Beziehungen trotz wirtschaftlicher und politischer Unterschiede und ideologischer Differenzen kontinuierlich verbesserten. 


Parallel hierzu entwickelte sich auch die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit weiter. Ein reger kultureller Austausch ist zu beobachten. In vielen namhaften Orchestern sind chinesische Künstler vertreten. Und der bekannte Pianist Lang Lang spielt in Deutschland in ausverkauften Hallen. Auf der anderen Seite kann man an chinesischen Universitäten zahlreiche deutsche Wissenschaftler antreffen. Jährlich reisten – vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie – hunderttausende deutsche Touristen nach China und Millionen chinesische Reisende kamen nach Deutschland. 

 

Zwanzig Jahre nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, in der Zeit nach der Auflösung des sozialistischen Weltsystems und der Sowjetunion, erwarteten die westlichen Länder, auch die Bundesrepublik Deutschland, dass sich das politische System in der VR China ebenfalls zu einer neoliberal geprägten westlichen Demokratie wandeln würde. Der im Verhältnis zwischen der BRD und der DDR erfolgreiche Slogan „Wandel durch Handel“ wurde nunmehr auf China übertragen und aktualisiert. Nicht berücksichtigt wurden dabei die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen, geschichtlichen Erfahrungen und die nationalen sowie religiösen Bedingungen auf der Welt. Es hat sich in anderen Regionen erwiesen, dass der Export gesellschaftlicher und politischer Systeme in andere Länder nicht erfolgreich ist. Jede Gesellschaft muss das für sie adäquate System suchen, finden und anwenden. 

 

Mit der Erkenntnis des Nichterfolges eines „Wandels durch Handel“ war in den vergangenen Jahren mehr Ablehnung von deutscher Seite in den politischen Diskussionen, aber vor allem in den offiziellen Medien, zu vernehmen. Wurde noch vor zehn Jahren vom wirtschaftlichen Wettbewerber China gesprochen, wird die Volksrepublik heute als systemischer Rivale gesehen. 


Kaum hat sich China von der „Fabrik der Welt“ zu einem Technologieführer entwickelt, wird das Land als wirtschaftliche und politische Gefahr wahrgenommen und mit Handelskriegen und einer Kalten-Kriegs-Mentalität bekämpft.   

 

Vor 50 Jahren waren deutsche Politiker mehr am Aufbau einer friedlichen Nachkriegswelt und der friedlichen Überwindung von Differenzen interessiert, als an Einmischung und Änderung von internen Verhältnissen anderer Länder. 

 

Die zwischen dem Westen und den asiatischen Ländern, wie auch China, objektiv bestehenden kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Differenzen müssen nicht in Konfrontationen oder gar Rivalitäten münden. Im Gegenteil: sie sollten zu einem fruchtbaren Austausch und gegenseitigem Lernen führen. Systemische Rivalität sollte in systemische Kooperation verwandelt werden, um die globalen Probleme des Hungers, des Klimawandels und der Ressourcennutzung zu lösen.  

 

Aus der Geschichte der letzten 100 Jahre, aber besonders der letzten 50 Jahre der diplomatischen Beziehungen der BRD mit der VR China muss gelernt werden. Mutige wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit führt zu Erfolgen. Die Geschichte lehrt uns, dass Drohungen und Konfrontationen nicht weiterhelfen.  


Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kennt die Geschichte und die von der UNO und der Bundesrepublik Deutschland anerkannten völkerrechtlichen Gegebenheiten und sollte China nicht mit ihrem Statement vor der Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in New York drohen: „Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China.“ 

 

Diese Drohung kann zu einer Verschlechterung der zwischenstaatlichen Beziehungen führen. Das hilft weder dem deutschen noch dem chinesischen Volk, sondern nützt letztlich nur der Erhaltung der Hegemonie des US-Kapitals. Stattdessen sollten beide Seiten den wichtigen Konsens zwischen den Regierungen umsetzen, aus den bisherigen Erfahrungen beider Länder und der gegenseitigen Zusammenarbeit lernen und daran festhalten. Mit diesem Ansatz sind beide Länder prädestiniert zum Vorreiter neuer internationaler Beziehungen zu werden und gute Kooperationspartner zu sein, die bestehende Unterschiede in den Gesellschaftssystemen zu überwinden wissen. 

 

China folgt der traditionellen chinesischen Philosophie „tianxia“ und dem Prinzip „he er bu tong“ – unter einem Himmel können demnach verschiedene Systeme in Harmonie und Frieden zusammenleben. China tritt stets für Annäherung, Öffnung, Multilateralismus und Win-Win-Effekte ein. Ansätze wie „Demokratie gegen Autokratie“ spalten die Menschheit in zwei Lager. Oder um es mit den Worten des chinesischen Botschafters in Deutschland, Wu Ken, auszudrücken: „Die chinesische und die deutsche Volkswirtschaft integrieren sich zunehmend und das Rad der Geschichte kann nicht zurückgedreht werden. Eine entkoppelte Welt wird Europa weder mehr Frieden noch mehr Wohlstand bringen.“ 


*Uwe Behrens ist langjähriger Chinakenner und war 27 Jahre unter anderem in China und Indien als Logistikmanager tätig.  

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Quelle: China Heute

Schlagworte: Deutschland,Zusammenarbeit,Diplomatie