„Zeiten des Wandels“ für chinesisch-deutsche Beziehungen

„Diversifizierung“ bedeutet nicht Einschränkung der Kooperation mit China Exklusiv

13.12.2022

von Kou Kou, Beijing


Herbert Diess, der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende, warb im November 2022 bei Markus Lanz im ZDF für einen „rationalen Umgang“ mit China und verteidigte seine damailige Investitionsstrategie in die Volksrepublik. VW ist einer der vielen deutschen Konzerne, die wegen der Abhängigkeit vom chinesischen Markt häufig kritisiert werden. Im Jahr 2022 ist in Deutschland in den Diskussionen über die chinesisch-deutschen Beziehungen das Stichwort „Diversifizierung“ in den Fokus gerückt. Schon seit 2020 wird die Sicherheit der Lieferketten viel diskutiert. In diesem Jahr ist der Wunsch der Bundesregierung nach einer „Diversifizierung“ bei ihrer Wirtschaftsplanung gegenüber China immer deutlich zu spüren – nicht nur in Worten, sondern auch in konkreten Maßnahmen.


Die Ukraine-Krise hat zwei widersprüchliche Auswirkungen auf die chinesisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen. Einerseits hat die Energiekrise, die durch den Konflikt und die darauffolgenden Wirtschaftssanktionen ausgelöst wurde, die bereits seit 2021 angespannte Inflationslage in Europa nochmals verschärft. Der Verzicht auf die günstige Energieversorgung aus Russland und das ansteigende Preisniveau haben die Produktions- und Lebenshaltungskosten in Deutschland erheblich erhöht, was nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül eigentlich die Wahrscheinlichkeit reduzieren sollte, dass deutsche Unternehmen auch noch den lukrativen chinesischen Markt verlassen. Andererseits ist während dieses geopolitischen Konflikts die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Rohstoffen mehr denn je deutlich geworden. Angesichts dieser Folgen machen sich die Deutschen nun große Sorgen: Was würde passieren, wenn plötzlich auch der Handel mit China gestoppt werden muss? Insofern hat die Ukraine-Krise, oder anders gesagt, der Wirtschaftskrieg zwischen Europa und Russland, faktisch eine heftige Debatte über die „kritische Abhängigkeit“ von China entfacht.


Auf der politischen Ebene in Deutschland ist die Frage, wie man mit China umgehen sollte, kein umstrittenes Thema: Die Ampelkoalition hat sich schon darauf verständigt, die Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu verringern. Im Streit zwischen Olaf Scholz und seinen Grünen-Partnern geht es nur um die Frage, wie genau dies realisiert werden soll. Nach einer hitzigen Diskussion in der Koalition konnte der Bundeskanzler sich zwar letztlich durchsetzen und grünes Licht für die Beteiligung der chinesische Reederei Cosco an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen geben, doch der Konzern darf sich schließlich nur mit 24,9 Prozent beteiligen statt wie ursprünglich geplant mit 35 Prozent. Im November dieses Jahres hat das Bundeswirtschaftsministerium den Verkauf des deutschen Chipherstellers Elmos an das schwedische Unternehmen Silex, eine Tochterfirma des chinesischen Unternehmens Sai Microeletronics, untersagt. Als Grund wurde angeführt, dass dies für den Schutz der Sicherheit und kritischer Technologie in Deutschland notwendig sei. Die Elmos-Technologie ist aber in der Tat alles anders als eine Schlüsseltechnologie, die die Deutschen mit der Außenwirtschaftsverordnung schützen möchten. Sie wird im Gegenteil sogar für veraltet gehalten. Danach hat die Bundesregierung ein weiteres Stoppsignal gesetzt: Die Übernahme der bayerischen Halbleiterfirma ERS durch ein chinesisches Unternehmen wurde aus den gleichen Gründen verboten. Mit den beiden symbolischen Veto-Entscheidungen zeigt der Wirtschaftsminister Robert Habeck seinen Willen, den Erwerb von deutschen Firmen durch chinesische Investoren zu erschweren, angeblich um „Deutschlands technologische Souveränität zu schützen.“


Überdies will Habeck auch die deutschen Kapital- und Warenströme nach China drosseln, indem das Wirtschaftsministerium deutsche Unternehmen dazu ermutigt, ihre Investitionen und Lieferketten zu „diversifizieren“. Ein Reformplan der Investitionsgarantie, die deutsche Firmen im Ausland gegen Risiken absichert, liegt nun auf dem Tisch: Durch eine Änderung der Konditionen sollen Direktinvestitionen aus Deutschland verstärkt in Märkte abseits von China gelenkt werden. Im Mai 2022 wurde erstmals die Investitionsgarantie für das China-Geschäft von VW von der Bundesregierung entzogen. In der Handelspolitik sieht der Grünen-Politiker Deutschland noch am Beginn einer Zeitenwende: Das Wirtschaftsministerium erweitert für deutsche Unternehmen neue Absatzmärkte und Produktionsstandorte, vor allem in Kooperation mit sogenannten „Wertepartnern“, um sich von China unabhängiger zu machen. Dazu zählt beispielsweise das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada bzw. asiatisch-pazifischen Ländern. Ein geleaktes Dokument mit dem Titel „Interne China-politische Leitlinien“ vom Wirtschaftsministerium sieht sogar noch härtere Regeln für den Umgang mit China vor. Dazu gehören unter anderem strengere Prüfungen der deutschen Investitionen in chinesische Unternehmen oder der Stopp der Entwicklungskredite in China. Habecks brisante China-Strategie betrachtet China demnach als Bedrohung und stellt die sogenannte „Systemrivalität“ klar in den Vordergrund.


Die beiden Volkswirtschaften sind aber derzeit so eng miteinander verflochten wie nie zuvor. China ist seit 2016 Deutschlands größter Handelspartner und umgekehrt ist Deutschland mit Abstand Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Es gibt zwischen China und Deutschland also eine gegenseitige Abhängigkeit und keine einseitige. In manchen Sektoren ist die Volksrepublik immer noch auf deutsche Produkte und Technologien angewiesen. Die Unternehmen von beiden Seiten sind beispielsweise seit Jahren in der Automobil- und Maschinenbauindustrie eng miteinander verbunden, in der China sowohl Absatzmarkt und Werkbank als auch Zulieferer hochwertiger Zwischenprodukte ist. Es ist daher kein Wunder, dass Habecks China-Pläne die deutsche Wirtschaft „verärgern“, so wie der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK), Volker Treier, vor kurzem im Gespräch mit Reuters erklärte.


In dieser Hinsicht ist es keine gewinnbringende Taktik, dass der Staat die Ordnung der Außenwirtschaft verzerrt. Für ein exportorientiertes Land wie Deutschland ist es unvernünftig, sich von seinem größten Handelspartner abzukoppeln. In der Hochphase der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 hat das bilaterale Handelsvolumen laut dem Statistischen Bundesamt um 3,5 Prozent bzw. 15,6 Prozent zugenommen, was zur Wirtschaftserholung auf beiden Seiten beigetragen hat. Nach einer Studie, die 2021 auf dem akademischen Magazin International Forum veröffentlcht wurde, entfallen 4,45 Prozent der gesamten Vorleistungen in der deutschen Produktion auf China. Dieser Wert ist höher als der von den USA. Beim Antrittsbesuch in China mit einer Geschäftsdelegation hat Scholz von „weltweiten Herausforderungen“ gesprochen. Aber die richtige Antwort auf die Herausforderungen sollten nicht die staatlichen Interventionen in die Wirtschaft sein. Habecks neue wertebasierte Handelspolitik mit einem stärkeren Staat steht den Gedanken der Sozialen Marktwirtschaft und des Freihandels gegenüber, und schadet nicht nur den chinesisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch dem Wohlstand der deutschen Gesellschaft.


In Zeiten des Wandels brauchen China und Deutschland nach wie vor Kooperation und gegenseitigen Respekt. Erst in diesem Monat warnte der Bundeskanzler in einem Artikel in Foreign Affairs vor einer neuen Blockbildung in der Welt und einer Isolation Chinas. Kurz nach seinem Besuch in China plädierten unter anderem acht deutsche Top-Manager in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der FAZ für eine Fortsetzung des Dialogs und der Kooperation mit China und warnten vor einem Rückzug aus China. Darüber hinaus erhöht der VW-Konzern unter der Führung des neuen Chefs Oliver Blume seine Investitionen in China und hat in diesem Jahr Pläne für eine Milliarden-Beteiligung an der chinesischen Tech-Firma Horizon sowie ein Joint Venture, das sich auf die Technologien für autonomes Fahren und intelligente Mobilität fokussiert, bekannt gegeben. Im Vergleich zu politischen Eingriffen spielen ökonomische Faktoren in der Praxis für deutsche Konzerne bei Investitionsentscheidungen immer noch eine wichtigere Rolle.


Der Autor ist Associate Professor der School of German Studies an der Beijing Foreign Studies University. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China,Deutschland,Diversifizierung,Ukraine-Krise