Jürgen Schoer
Die neue Weltordnung wird kommen Exklusiv
Von Elke Lütke-Entrup
Die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat die Diskussionen über eine neue Weltordnung erneut entfacht. China.org.cn hat mit Jürgen Schoer, Chemiker und Ökonom mit Lehrtätigkeiten an Universitäten u.a. im chinesischen Tai’an, Taiyuan und Wuhan, über Hintergründe und Entwicklungen einer neuen Weltordnung gesprochen.
China.org.cn: Seit Jahren halten Sie Vorträge zur Notwendigkeit einer Neuen Weltordnung im 21. Jahrhundert. Warum ist diese aus Ihrer Sicht notwendig?
Jürgen Schoer: Die aktuelle Weltordnung wurde in den vergangenen Jahrhunderten von den dominierenden „westlichen“ Nationen errichtet, um deren Interessen durchzusetzen. Eine Neue Weltordnung ist eine notwendige Konsequenz der aktuellen globalen demographischen und ökonomischen Entwicklung: Die Bevölkerung in den Schwellen- und Entwicklungsländern wird in absehbarer Zeit 90 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Das Wirtschaftswachstum dieser Länder ist deutlich höher als das der Industrieländer. In wenigen Jahrzehnten werden die Schwellen- und Entwicklungsländer 60 bis 70 Prozent der Weltwirtschaftsleistung erbringen.
Eine Weltordnung, die wie heute immer noch in ihren wichtigen Institutionen, Finanzsystemen und Handelspolitiken von den Industrieländern dominiert wird, entspricht nicht mehr den Anforderungen und Interessen der Mehrheit der Weltbevölkerung. Für diese besteht somit die Notwendigkeit, die Weltordnung in ihrem Sinne weiterzuentwickeln. Sie haben jetzt auch die Kraft, dies erfolgreich zu tun.
Der Westen betreibt Ihrer Meinung nach eine werteorientierte Politik, d.h. er macht das Einhalten seiner Werte in anderen Ländern zur Voraussetzung einer Zusammenarbeit. Worin liegt dies begründet und ist ein solches Vorgehen sinnvoll?
Der Westen hat historisch seine Weltordnungsvorstellungen wie das sogenannte Völkerrecht auf seinen kulturhistorischen Grundlagen und zur Durchsetzung seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen aufgebaut. Diese sind bestimmt von individualistischen Freiheits- und Eigentumsvorstellungen sowie einer unzutreffenden Wahrheitsgewissheit, die seinen Interessen dienen.
Heute macht der Westen eben genau dieses Völkerrecht und die Anerkennung der inzwischen daraus entstandenen politischen und ökonomischen Leitsätze zur Vorbedingung einer Zusammenarbeit. Die Leitsätze bilden nicht die Interessen und Werte der Mehrheit der Weltbevölkerung ab.
Darüber hinaus erklärt der Westen seine völkerrechtlichen Vorstellungen und Werte als „universell“ gültig und verlangt, dass alle Gesellschaften diese übernehmen, auch wenn sie eine völlig andere Geschichte, Kultur und daraus resultierend andere Wertvorstellungen und Anforderungen haben.
Sinnvoll ist ein solches Vorgehen nur für die Industrieländer, die damit ihre Vormachtstellung und Hegemonie trotz der oben geschilderten Entwicklungen aufrechterhalten wollen.
Weil die westliche „Wertegemeinschaft“ alle Länder mit abweichenden Wertevorstellungen ausschließt, sind unter westlicher Führung notwendige umfassende Kooperationen auf Augenhöhe unmöglich, um zum Beispiel die Klimaproblematik, Pandemien und Krisen oder Kriegsrisiken zu minimieren. Diese Führung müssen und werden andere übernehmen.
Welche Rolle hat China in der heutigen Weltordnung?
Aktuell unterstützt China den Warenaustausch zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern durch verschiedene Initiativen wie die Seidenstraßen-Initiative oder BRICS Plus. China hilft, diese Länder zu entwickeln und macht Vorschläge zu Umbau und Zielmodifikation z.B. von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in deren Interesse.
Darüber hinaus baut China, gemeinsam mit anderen Staaten, vom Westen unabhängige internationale Zahlungs- und Verteidigungssysteme auf. Das Land lässt nicht zu, dass Staaten, die sich nicht den schädlichen Vorgaben US-dominierter internationaler Institutionen beugen, durch Sanktionen in die Knie gezwungen werden.
Man muss aber realistisch einschätzen, dass China dabei insbesondere im finanztechnischen Bereich erst am Anfang steht und die USA die globalen Finanzmärkte sicher noch einige Jahrzehnte dominieren werden. Deshalb muss China auch Instrumente der Kooperation mit ihnen finden und praktizieren. Dem können sich auch die USA nicht vollständig entziehen, dafür ist Chinas Rolle in der globalen Wirtschafts- und Finanzwelt inzwischen zu bedeutsam.
Welche Funktion könnten große Staaten in der Neuen Weltordnung haben, wenn es um die Konfliktschlichtung zwischen zwei Parteien geht?
Wenn in einer neuen Weltordnung wie es die Schwellen- und Entwicklungsländer und auch China anstreben, große, mittlere und kleine Staaten fair zusammenarbeiten, bestehen sehr gute Aussichten, regionale Konflikte diplomatisch einzuhegen und deren Ursachen dauerhaft zu lösen.
Darüber hinaus könnte eine solche Kooperation für verlässliche Rahmenbedingungen des globalen Welthandels sorgen, ohne den viele Menschen auf Dauer arm bleiben werden.
Wie könnte ein Weltordnungsmodell, in dem die USA nicht mehr so wichtig sind, Bestand haben?
Die Vorherrschaft der USA wird schrumpfen, nicht weil China es so will oder weil ein anderer Staat „Hegemonie“ anstrebt, sondern aufgrund der oben genannten objektiven demographischen und ökonomischen Entwicklungen. Das bedeutet nicht, dass diese Entwicklung automatisch ohne weiteres Zutun eintritt, aber die Tendenz geht klar in diese Richtung.
Ein neues, multipolares Modell wird auf dem gemeinsamen Interesse der Schwellen- und Entwicklungsländer an Entwicklung gegründet sein und darauf, ihrer Bevölkerung einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.
Eine für lange Zeit bleibende Vorherrschaft der USA würde aufgrund der demographischen Verhältnisse bedeuten, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer langfristig in Armut verblieben. Das wird politisch, auch durch starke USA, nicht haltbar sein.
Chinas Initiative zur Bildung einer „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ zur Lösung dringender globaler Probleme wird ein neues Modell stützen. Auch seine Bereitschaft, im Gegensatz zum Westen vorurteilsfrei, auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt mit allen Ländern zusammen zu arbeiten, unabhängig von deren kulturellen Werten, ist eine gute Voraussetzung.
Wie wird sich die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA auf die Gestaltung einer neuen Weltordnung auswirken?
Die Wahl Trumps wird den Druck unter dem globalen politischen Kessel sicher erhöhen. Mit welchen Folgen ist schwer abzuschätzen. Aufhalten kann ein US-Präsident die beschriebene Entwicklung nicht, aber er kann erhebliche Mengen Sand ins Getriebe der positiven globalen Dynamik streuen. Eine stärker isolationistische Politik der USA könnte der Welt aber langfristig auch nutzen, z.B. in Form einer Annäherung zwischen Europa und China.
Das größte Risiko sehe ich aufgrund der angekündigten Zollpolitik für den Welthandel. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Hohe US-Zölle werden die Inflation in den USA anheizen. Die zu deren Begrenzung notwendigen Zinserhöhungen werden den US-Dollar aufwerten und die ausländischen Investitionen dort verringern. Beides ist langfristig gesehen nicht im Interesse der USA.
Auch die Handlungsmöglichkeiten internationaler Institutionen im Sinne der Schwellen- und Entwicklungsländer werden unter einer Trump-Regierung sicher weiter eingeschränkt werden. Aber Chinas Regierung reagiert erfahrungsgemäß auf solche Herausforderungen sachlich und nüchtern, wird also Eskalationen zu verhindern wissen.
Unterschwellig wird sich die oben geschilderte globale Entwicklung auf jeden Fall fortsetzen, denn sie hängt weder von einzelnen Personen noch von einzelnen Staaten ab.
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