Deutscher Mediziner mit China-Erfahrung
„Wir sollten unsere Corona-Erfahrungen miteinander verknüpfen“ Exklusiv
Von Elke Lütke-Entrup
In einer Krise ist es weise, Menschen mit langjähriger einschlägiger Lebenserfahrung zu Rate zu ziehen. China.org.cn hat deshalb Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Gerhardt (86), Emeritus of Excellence der Technischen Universität München zu seinen Einschätzungen in der Corona-Krise befragt. Professor Gerhardt blickt auf eine beeindruckende medizinische Karriere und langjährige berufliche und persönliche Erfahrung, unter anderem in China, zurück.
China.org.cn: Herr Professor Gerhardt, wer trägt die Verantwortung für die Corona-Pandemie?
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Gerhardt: Ich glaube nicht, dass man einen einzelnen Menschen oder einen Staat oder eine Gruppe verantwortlich machen kann. Nach meinem Empfinden sollten wir lieber mehr Erfahrung mit der Epidemie sammeln, statt irgendjemandem die Verantwortung zuzusprechen. Es gibt kein Land, das Schuld an dieser Epidemiehat. Das Virus wurde zuerst in Wuhan entdeckt, doch die Verantwortung trägt deshalb nicht China, genauso wenig, wie bei der Pest, der Cholera, der Tuberkulose oder der Syphilis ein einzelnes Land die Verantwortung getragen hat. Irgendwann beginnen solche Erkrankungen, ohne dass jemand sie bewusst erzeugt hat. Verantwortung kann man nur für etwas haben, was man mit Absicht initiiert und gestaltet hat. Diese Epidemie hat niemand gewollt. So eine Epidemie kann überall entstehen. Ich würde nicht die Verantwortung in Wuhan suchen, sondern bei allen Menschen, die jetzt ihr Leben ändern müssen, um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten.
Prof. Dr. Paul Gerhardt und Prof. Dr. Qiu Fazu während des ersten Treffens der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Medizin und der Chinesisch-Deutschen Gesellschaft für Medizin in China im Jahr 1986.
Sie haben langjährige Chinaerfahrung. Wie sehen Sie die derzeitige Darstellung Chinas in deutschen Medien im Zusammenhang mit dem Coronavirus?
Ich betrachte die deutsche China-Berichterstattung nicht immer als objektiv und richtig, nicht nur was die jetzige Epidemie betrifft. Einige unserer Medien erwecken den Eindruck, keine guten Kenntnisse von der Geschichte Chinas oder der Kultur des Landes zu haben. Sie sind daher nicht objektiv in ihrem Urteil. Alles was negativ dargestellt wird, ist in meinen Augen häufig überzogen und würde nicht so dargestellt werden, wenn man mehr Wissen über China hätte. Manche Medien vertreten mehr Gesinnungsethik als Verantwortungsethik.