Deutscher Mediziner mit China-Erfahrung
„Wir sollten unsere Corona-Erfahrungen miteinander verknüpfen“ Exklusiv
Wie könnte sich das ändern?
Indem wir uns in Deutschland mehr mit dem Land China, der Kultur und der Geschichte befassen. Wenn Sie nur das Beispiel Seidenstraße im Jahr 1930 nehmen. Dazu gibt es ein wunderbares Buch von Sven Hedin „Die Seidenstraße“, in der er beschreibt, wie die Menschen damals in den westlichen Teilen Chinas in Armut lebten. China hat sich in den vergangenen 40 Jahren wunderbar entwickelt. Wenn man sich diese Entwicklungen ansieht, muss man nicht etwas verurteilen wovon man nicht genug geschichtliche Kenntnis hat. Unsere Bildungspolitik, unsere Schulen und Hochschulen sollten sich mehr mit China befassen.
Wir haben in Deutschland zum Beispiel 5.000 Schüler, die sich bemühen, Chinesisch zu lernen, in Frankreich sind es meines Wissens nach rund 38.000 Schüler. Dies ist jedoch nicht neu. Schon um das Jahr 1900 haben sich Franzosen und Engländer viel mehr China zugewandt, nicht im Kolonialsinne, sondern um China und dessen Sprache besser kennen zu lernen. Deutschland war in dieser Hinsicht meines Erachtens schon immer zu wenig interessiert, wie es dies heute auch noch ist.
„Prof. Dr. Paul Gerhardt mit Prof. Dr. Qiu Fazu und Prof. Dr. Wu Zhongbi 1987“: Das Foto entstand im Jahr 1987 mit Prof. Paul Gerhardt und den drei chinesischen Partner-Professoren anlässlich des zweiten Treffens der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Medizin und der Chinesisch-Deutschen Gesellschaft für Medizin in Deutschland: Vorne, v.l.n.r. (links) mit Sonnenbrille Prof. Dr. Qiu Fazu, einer der angesehensten Chirurgen Chinas, (Mitte) Prof. Wu Mengchao aus Shanghai, Schüler von Qiu und berühmter Leberchirurg, und (rechts) ohne Brille Prof. Dr. Wu Zhongbi, chinesischer Mediziner der Pathologie und Rechtsmedizin; hinten: Prof. Dr. Paul Gerhardt.
Wie könnten Mediziner im Kampf gegen die Corona-Pandemie zusammenarbeiten?
In jedem Land müssten die Fachleute ihre im Sinne der wissenschaftlichen Aussagen belegbaren Erfahrungen miteinander verknüpfen – und nicht etwa, wie derzeit bei uns, ihre Uneinigkeit in den Fokus rücken. Das sollten alle betroffenen Länder tun und nach dem Abklingen der Pandemie zusammenarbeiten, die Erfahrungen austauschen und einen gemeinsamen Plan für etwaige globale Bedrohungen zu diskutieren. Es müsste letztendlich eine internationale Verbindung entstehen, in der Erfahrungen mit einem Fundament versehen werden und daraus Handlungsempfehlungen entstehen. Wir haben ja heute in Deutschland auch noch verschiedene Ansichten, Maske ja, Maske nein, alte Menschen, junge Menschen – wir sammeln immer noch Erfahrung und das wird in einem viertel oder halben Jahr deutlich besser sein. Mittelfristig muss eine einheitliche Sprache gefunden werden.
Im Kontakt mit China ist die Wertschätzung des Partners besonders wichtig. Eine Aussage in China oder anderen Ländern darf ich derzeit nicht gleichermaßen werten, weil offensichtlich unterschiedliche statistische Kriterien den Angaben zugrunde liegen. Es gilt zu überlegen: kann ich glauben, was mein Gesprächspartner sagt, oder ist das, was er sagt, eher ein Wunsch oder eine wissenschaftlich begründete Aussage? Um dies zu erreichen ist der Kontakt mit gleichdenkenden Partnern unverzichtbar.
Was ist jetzt zu tun?
Jetzt stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie kommen wir an das Material, um die Menschen zu schützen, und wie können wir miteinander Verbindung aufnehmen, um unser Wissen zur Vorbeugung von Erkrankungen zu nutzen. Hier lohnt sich auch der Blick nach China, das uns in der Erfahrung mit der Corona-Krise offensichtlich voraus ist. Deutschland hat ein sehr gutes Gesundheitswesen und dieses in den vergangenen 40 Jahren – zum Beispiel in der Medizintechnik, im Wissen über Erkrankungen, deren Diagnostik und Therapie – nach China weitergegeben. Davon können wir jetzt profitieren. Politiker sollten den Fachleuten Raum geben, und die Entwicklung von Modellen und Konzepten finanzieren, die von denen genutzt werden, die dies können und zur Zusammenarbeit bereit sind.
Zur Person:
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Gerhardt ist Emeriti of Excellence der Technischen Universität München. Er war von 1980 bis 1986 Lehrstuhlinhaber für das Fachgebiet Röntgendiagnostik an der Universität Heidelberg und von 1986 bis 2000 Inhaber des gleichnamigen Lehrstuhls an der Technischen Universität München im Klinikum rechts der Isar. Seit 1983 hat er die Ehrenprofessur der Tongji Medizinischen Universität Wuhan, von 1984 bis 1987 war er Präsident der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Medizin, im Jahr 1988 erhielt er die Ehrenprofessur der 2. Militärärztlichen Akademie Shanghai und wurde im selben Jahr Ehrendoktor der Tongji-Universität Wuhan. 1991 wurde er Ehrenmitglied der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Medizin. Er ist Ehrenvorsitzender des von ihm angeregten und 2018 gegründeten Vereins „Deutsch-Chinesische Initiativen für Unternehmen und Bildung e. V.“ Auch heute noch hält der 86-Jährige regelmäßig China-bezogene und gut besuchte Vorträge.