Ein Land mit Konfuzianischer Tradition

Austausch und Kooperation mit China sinnvoller als Abgrenzung und Konfrontation Exklusiv

19.10.2020

Von Elke Lütke-Entrup


China wird in den westlichen Medien oft als Bedrohung dargestellt, das Festhalten an seinem politischen System und sein politisches Agieren werden nicht verstanden. Im Interview mit Prof. Karl-Heinz Pohl beleuchtet China.org.cn Hintergründe der westlichen Wahrnehmung Chinas und sucht Ursprünge von Chinas Handeln in der konfuzianischen Gesellschaftsordnung. 

 

Prof. Karl-Heinz Pohl 


China.org.cn: Herr Prof. Pohl, die konfuzianische Tradition ist zirka 2500 Jahre alt. Die Lehren des Konfuzius haben das Leben in China und umliegenden Ländern sehr geprägt. Was sagen die chinesischen Klassiker zur Ordnung der Gesellschaft?

 

Karl-Heinz Pohl:China stellt eine – im Vergleich zu Europa – andere kulturelle Welt dar, und zur Kultur gehören die politischen Traditionen eines Landes. Diese sind in China vor allem vom Konfuzianismus, einer Mischung von Moral, Sozialethik und politischer Ordnungslehre, geprägt.

 

Aus zahlreichen Textstellen der konfuzianischen Klassiker geht hervor, dass seit alters her das „Wohl des Volkes“ die zentrale Orientierung für die Herrscher war. So gibt es eine Tradition politischen Denkens in China, die „im Volk die Basis“ sieht (minben). Zur Rolle des Volkes heißt es im Buch der Urkunden: „Unsere großen Vorfahren hatten eine Lehre: Dem Volk soll man nahe sein und es nicht geringschätzen. Das Volk ist die Basis des Landes. Ist die Basis fest, so herrscht Frieden im Land.“ Das sogenannte „Mandat des Himmels“ war verbunden mit einer Herrschaft für das Wohl des Volkes. Wenn dieses Ziel nicht mehr im Vordergrund stand, ging das Mandat verloren. Daneben lautet die konfuzianische Hauptforderung an die Herrscher: „mitmenschliche Regierung“, wobei Mitmenschlichkeit (ren) die Kardinaltugend des Konfuzianismus darstellt.

 

Ein weiterer Gedanke von hoher politischer Bedeutung ist die „Harmonie“ (he). Harmonie hatte eine besondere Funktion, weil die konfuzianische Gesellschaftsordnung nicht auf Gleichheit beruhte, sondern – wie in einer Familie – durch eine starke Hierarchie gekennzeichnet war. Weil die Ordnung im Staat in Analogie zur Ordnung in einer Familie gesehen wurde, war Harmonie das Mittel, um die Ungleichheit in Familie und Gesellschaft zu glätten. Konsens und Harmonie boten sozialen Zusammenhalt. Daher überrascht es nicht, dass die Kontinuität dieses Konzepts in der heutigen Politik Chinas immer noch von größter Bedeutung ist.

 

Der Konfuzianismus ist eine Tradition, die politisches Denken mit individueller moralischer Kultivierung und Erziehung verbindet. Das bedeutet in der Praxis, dass Menschen, die für öffentliche Angelegenheiten zuständig sind, durch Selbstkultivierung ein vorbildliches Verhalten und soziale Verantwortung zeigen sollten. Das Ziel in dieser Tradition ist nicht nur, tugendhafte Herrscher zu haben, sondern dass die Kultivierung von Tugend durch die regierende Elite ein Vorbild für das einfache Volk ist. Der Konfuzianismus kann daher als eine Schule der moralischen Erziehung angesehen werden, deren Zweck es ist, das Gute zu fördern.

 

Das konfuzianische Gemeinwesen stützte sich jedoch nicht nur auf eine moralisch vorbildhafte Herrscherfigur. Zentral für sein Bestehen war die Trägerschaft, nämlich die intellektuelle Elite – die Beamtenschaft. Schon früh im Laufe der Geschichte führte dies zur Herrschaft einer durch staatliche Prüfungen ausgewählten Meritokratie. In China haben wir somit den Anspruch einer Herrschaft durch eine moralische Elite, die sich als Vertreter auch des gemeinen Volkes verstand und die somit den Ruf nach dessen Selbstbeteiligung nie aufkommen ließ.

 

Wie stehen Sie zu dem Bild Chinas als Bedrohung und „Welteroberer“, das westliche Medien oft zeichnen?

 

China hat in den letzten 40 Jahren eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht und ein phänomenales Wachstum hingelegt. Inzwischen ist zum wirtschaftlichen und technologischen Erfolg auch das Bewusstsein hinzugekommen, eine weltpolitische Macht zu sein. Zumindest die USA fühlen sich durch das Wachstum Chinas herausgefordert und verfolgen China gegenüber eine Politik der Eindämmung. China versucht sich gegenüber der geballten militärischen, politischen, finanziellen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht der USA zu behaupten, auch seine Handelswege und Rohstoffzufuhr, auf die es als Land mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern angewiesen ist, zu sichern. Dazu hat es zum Beispiel die Seidenstraßen-Initiative gestartet. China agiert inzwischen proaktiver und selbstbewusster als einige Jahrzehnte zuvor, jedoch – anders als die USA – nicht militärisch aggressiv, um sich gegen die Eindämmung der Amerikaner zu stellen. Dies wird von Kritikern als eine „lautlose Eroberung“ angesehen. Man kann das Vorgehen Chinas nur verstehen, wenn man es mit dem der USA vergleicht. Allerdings wird die im Grunde neo-imperialistische Politik der USA hierzulande nie in Frage gestellt. Dazu kommt, dass, trotz einer weltweiten Abneigung gegenüber Präsident Trump, seine aggressive China-Politik gutgeheißen wird.

1   2   >  


Diesen Artikel DruckenMerkenSendenFeedback

Quelle: german.china.org.cn

Schlagworte: China,Pohl,Konfuzius,Politik,Konfuzianismus