Ein Land mit Konfuzianischer Tradition
Austausch und Kooperation mit China sinnvoller als Abgrenzung und Konfrontation Exklusiv
Wie kommt es zu diesem verzerrten Bild der westlichen Medien von China?
Es liegt vor allem daran, dass China jetzt reicher wird, und die USA, Europa und andere nicht. Heute ist es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und ein großer geopolitischer Akteur. Wenn man bedenkt, dass man in den 1990er Jahren und nach dem Zusammenbruch der UdSSR das Gefühl hatte, das „Ende der Geschichte“ sei angebrochen, dann ist China, wie Kerry Brown, einer der einflussreichsten China-Kenner in der westlichen Welt, sagt, die ultimative „unbequeme“ Tatsache – ein Land, das entschlossen an seinem politischen System festhält, und das zur „Unverfrorenheit“ dieser Tatsache noch dadurch beiträgt, dass es dieses System dazu bringt, Ergebnisse zu liefern, die mit den kapitalistischen Systemen in Bezug auf Wachstum und Technologie konkurrieren können. Das treibt einen Teil der Ressentiments, die gegenüber China empfunden werden, an.
Was ist in Ihrer Wahrnehmung das Ziel der politischen Eliten Chinas?
Die Ziele der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sind, China voranzubringen, es wieder zu einem modernen wohlhabenden Land zu machen, für den Wohlstand der Bevölkerung (das „Volk“) zu sorgen und soziale Stabilität zu garantieren. Die meisten heutigen chinesischen Intellektuellen bevorzugen daher die (traditionelle) Option, dass nur eine „Elite“ in der Lage ist, sich der Anliegen des Volkes anzunehmen. Sie geben einem starken Staat und einem stabilen System (soziale Stabilität) Vorrang, das heißt, dem Aufbau eines modernen Staates – mit langfristigen Zielen und Planungen sowie einer funktionierenden Wirtschaft (wachsendem Wohlstand) und der Armutsbekämpfung. Letzteres ist ohnehin die größte Leistung Chinas während der vergangenen vier Jahrzehnte: Man schätzt, dass in diesem Zeitraum über 700 Millionen Menschen aus bitterer Armut befreit werden konnten, ein historisch und weltweit beispielloser Erfolg. Das Modell schließt einige individuelle Freiheiten und Rechte und einen gewissen Spielraum für die Zivilgesellschaft nicht aus, aber private Interessen stehen hinter den Interessen der Nation.
Was müsste geschehen, damit das deutsche Publikum China besser versteht?
Chinas Ansehen hat in den deutschen Medien vor allem durch sein Vorgehen in Hongkong und in Xinjiang gelitten. Dabei berühren beide Punkte die Kerninteressen Chinas, wo es zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist, nämlich der Frage des Separatismus. In Hongkong hat China klar gemacht, dass nach einem Zeitalter des Kolonialismus Hongkong unwiederbringlich zu China gehört. Ebenso versucht das Land – allerdings mit für westliche Vorstellungen harter Hand – den Separatismus und Terrorismus in Xinjiang zu bekämpfen. Hierzulande ist leider weitgehend unbekannt, dass es in der uigurischen autonomen Region zwischen 1990 bis 2016 nach „unvollständigen Statistiken“ schon Tausende terroristische Akte mit zahlreichen Opfern gegeben hat – die von den USA bemerkenswerterweise nicht als solche anerkannt werden – seit 2017 allerdings keinen mehr.
In unseren Medien stehen in Bezug auf China diese Dinge sowie das für Westler ebenso unakzeptable Sozialkreditpunktesystem im Vordergrund der Berichterstattung, wobei sich eine politisch-moralische Sichtweise und Bewertung, verbunden mit einer ebenso ausgeprägten Selbstgerechtigkeit, durchgesetzt haben. An diesem China-Bild etwas zu ändern, wird schwer sein.
Es wäre gut, mehr Chinakompetenz in Deutschland zu bekommen. Jedoch fühlen sich viele Abiturienten angesichts des negativen Chinabildes vor einem Studium der Sinologie abgeschreckt. So ist die Zahl der Sinologie-Studenten stark rückläufig.
Wie sehen Sie in diesem Kontext die derzeit in Deutschland diskutierte Aufhebung der Kooperationen mit Chinas Konfuzius-Instituten an deutschen Hochschulen?
Ich sehe, dass sich hier ein Stellvertreterkrieg gegen China abzeichnet. Ich habe mit vielen Konfuzius-Instituten in Deutschland zu tun und kenne ihre Leiter. Sie verstehen sich nicht als Handlanger einer chinesischen Propaganda, sondern fühlen sich verpflichtet, den kulturellen Austausch und den Dialog mit Menschen hierzulande zu fördern. Die Konfuzius-Institute stehen im Kontext des wissenschaftlichen Austausches, auch des Schüler- und Studentenaustausches mit China. Es gibt seit Jahrzehnten einen regen Wissenschaftsaustausch, von dem beide Seiten profitieren. Außerdem ist zu bedenken, dass alle Top-Universitäten der USA und einige in England Dependancen in China unterhalten, wie das Stanford Center oder die Nottingham-Ningbo Universität. Will man diese Zusammenarbeit beenden, weil das Land zu unbequem geworden ist? Ist man gewillt, ebenfalls die Zusammenarbeit mit Russland – oder Ägypten oder anderen unbequemen Ländern – einzustellen?
Zur Person:
Karl-Heinz Pohl ist emeritierter Professor der Sinologie an der Universität Trier und hat sich 50 Jahre lang mit dem Thema China beschäftigt. Er ist Experte auf den Gebieten der chinesischen Geistesgeschichte, Ethik und Ästhetik, interkulturelle Kommunikation und Dialog zwischen China und dem Westen.