Sinologe und Ökonom
RCEP-Freihandelsabkommen nutzt auch Europa Exklusiv
Prof. Dr. Markus Taube im Interview mit China.org.cn
Wie bewerten Sie die in Deutschland und Europa häufig geäußerte Sorge einer zu großen Abhängigkeit von China?
Je mehr die internationale Arbeitsteilung und unsere Lieferketten miteinander verflochten sind, desto mehr kann sich jeder auf das konzentrieren, was er am besten kann, desto besser können wir unsere relativen Vorteile und Kompetenzen einsetzen.
Die Spezialisierung führt aber zum Verlust der Breite und zu Abhängigkeit in einzelnen Produktbereichen. Je stärker wir uns in den Welthandel integrieren und Spezialisierungsvorteile einfahren, umso stärker sind wir in anderen Bereichen abhängig von der Zulieferung, weil wir von Spezialisierungs- und Kostenvorteilen anderer Standorte profitieren wollen. Insgesamt ist dies ein positives und bewusst herbeigeführtes Phänomen. Es ist ein konstituierendes Merkmal einer funktionierenden Weltwirtschaft, dass nicht jeder alles macht.
Trotzdem muss auch hier Vorsicht walten. Es ist sachlogisch, dass die oben genannten Prozesse mittelfristig dazu führen, dass technologische und Fertigungs-Kompetenzen verloren gehen und im Inland kurz- bis mittelfristig nicht mehr verfügbar sind. Das ist kein Problem, solange der freie Güterauschtausch in der Weltwirtschaft gewährleistet ist. Gefährlich wird es aber, wenn nun bestimmte Produkte nicht über ein breiteres Spektrum von ausländischen Märkten, sondern nur von einem oder zwei Standorten bezogen werden. Dann entstehen Abhängigkeiten, die erpressbar machen.
Für solche Konstellationen brauchen wir eine übergeordnete Aufsicht, die frühzeitig auf sich ausbildende Abhängigkeiten in strategisch wichtigen und sensiblen Bereichen hinweisen und entsprechende Gegenmaßnahmen (z.B. eine Diversifizierung von Lieferbeziehungen) anstoßen kann.
Insgesamt habe ich nicht den Eindruck, dass die deutsche Wirtschaft von China übermäßig abhängig ist. Die arbeitsteiligen Strukturen entsprechen den Spezialisierungsmustern zweier großer Volkswirtschaften, die sich in unterschiedlichen Stadien industrieller Reife befinden. Die Größe der chinesischen Volkswirtschaft spiegelt sich in den hohen Anteilen deutscher Exporte und Importe nach/aus China in jeweils unterschiedlichen Produktgruppen.
Welche Chancen sehen Sie für das seit dem Jahr 2013 verhandelte bilaterale Investitionsabkommen zwischen China und der EU? Sollte dieses nun so schnell wie möglich zu einem Abschluss kommen?
Ich glaube, es ist realistisch, dass das Investitionsabkommen bald abgeschlossen sein wird. China macht derzeit große Zugeständnisse, damit es dazu kommt. Das betrifft zum Beispiel die Datensicherheit, die Verschiebung der Rollen und Funktionen von Staatsunternehmen und Privatunternehmen zugunsten letzterer, und Zugeständnisse Chinas bei der Einschränkung von Subventionen des chinesischen Staates im Unternehmenssektor.
Das Investitionsschutzabkommen ist ein wichtiges Signal und Instrument zur Belebung der europäischen Wirtschaft. Der Wirtschaftsraum, für den es gelten soll, wird durch das RCEP-Freihandelsabkommen im Asien-Pazifik-Raum faktisch größer.
Es ist auch ein Signal an die USA, dass Europa in der Lage ist, mit China zielführende sinnvolle Abkommen und belastbare Verträge abzuschließen und dass wir die China-Karten nicht komplett fallen lassen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Situation hereinkommen, in der es heißt: Treibt ihr Handel mit China oder mit uns? Das darf nicht passieren.