Co-Austragungsort
Zhangjiakou: Vom Bollwerk Beijings zum Wintersportgebiet Exklusiv
Von Elke Lütke-Entrup
Neben Beijing ist Zhangjiakou einer der Wettkampforte der Olympischen Winterspiele 2022. Doch vielen ist die Stadt, die rund 200 Kilometer von Beijing entfernt in der Provinz Hebei liegt und mit dem Hochgeschwindigkeitszug in einer knappen Stunde erreichbar ist, weitgehend unbekannt. Dr. Peter Kreutzberger, ehemaliger deutscher Generalkonsul in Shenyang und seit 20 Jahren im Chinageschäft tätig, stellt die Stadt im Interview mit China.org.cn vor.
Peter Kreutzberger, ehemaliger deutscher Generalkonsul in Shenyang, im Ruhestand (Foto mit freundlicher Genehmigung von Peter Kreutzberger)
China.org.cn: Herr Dr. Kreutzberger, welche persönliche Verbindung haben Sie zu Zhangjiakou?
Peter Kreutzberger: Mitte der 1990er Jahre habe ich beim Landeanflug auf Beijing eine Karawanserei, eine ummauerte Herberge an Karawanenstraßen, gesehen. Chinesische Mauern regten mein Interesse seit meinem Studium in China. Gemäß einer Karte aus den 1950er Jahren musste diese Karawanserei im Gebiet von Zhangjiakou liegen. Ich machte mich also auf den Weg. Meine erste Begegnung mit der Stadt war rein privat und aus landeskundlichem Interesse. Ich habe den Ort später immer wieder besucht. Als die Deutsche Energie-Agentur (dena) im Jahr 2014 mit Zhangjiakou ein Pilotprojekt für nachhaltige Stadtentwicklung vereinbarte, begleitete ich Ihre Erkundungs- und Inspektionsreisen. Anlässlich der erfolgreichen Bewerbung Beijings mit Zhangjiakou als Nebenaustragungsort für die Winterolympiade 2022 beteiligte ich mich an der Veröffentlichung des Buches „ZhangJiaKou Through the Eyes of Foreigners“.
Was hat Sie an Zhangjiakou so fasziniert?
Die Stadt hat eine lange Geschichte als Bollwerk Beijings und Schutz vor nomadischen Beutezügen. Sie liegt auf der Scheide zwischen dem, was früher als „Inneres“ und „Äußeres“ China bezeichnet wurde, eine Grenze zwischen Zivilisation und Barbaren, Sicherheit und Gefahr, Ackerbau und nomadischem Grasland. Die Linie wurde durch die chinesische Mauer gezogen. In Zhangjiakou kann man Mauerruinen von zehn Staaten aus acht Dynastien finden – vom 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis zum Jahr 1644.
Die Mauern dienten aber nicht nur dem Schutz, sondern auch dem geregelten Austausch mit der Außenwelt. Der heute noch gebräuchliche mongolische Name der Stadt, Kalgan, heißt „das Tor“. Wer den Schlüssel zu diesem Tor hielt, soll China beherrscht haben.
Archivbild von der historischen Eisenbahnstrecke zwischen Beijing und Zhangjiakou
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Chinas Luxuswaren von Zhangjiakou 1500 Kilometer nördlich zum russischen Handelsweg – ab den 1890er Jahren verkehrte dort die Transsibirischen Eisenbahn – befördert. Dazu bedurfte es einer halben Million Kamele. Neben Seide und Porzellan wurde so auch 80 Prozent des in Europa, vor allem aber in Russland, konsumierten Tees über Zhangjiakou gehandelt.
Chinesische Kaufleute, Väter des modernen Bankwesens des Landes, häufig aus der Provinz Shanxi, die Filialen in Moskau, Berlin, Paris, London sowie Tokio unterhielten, ließen sich in Zhangjiakou mit Bank- und Handelshäusern nieder. Sie wurden die reichsten Geschäftspersonen des kaiserlichen Chinas.
Welche Kriterien waren für die Wahl von Beijing und Zhangjiakou zu Austragungsorten der Olympischen Winterspiele 2022 ausschlaggebend?
Die Entscheidungsgründe für das IOC, Beijing und Zhangjiakou zu wählen, sind zum einen, dass neunzig Prozent der befragten Chinesen die Bewerbung unterstützt haben. Weitere Kriterien waren Sparsamkeit und Nachhaltigkeit, denn nur wenige Sportarenen in Beijing müssen neu gebaut werden. Man baut einfach die bestehenden Arenen aus der Zeit der Sommerspiele 2008 um. China hat ein gutes Konzept zu ihrer weiteren Nutzung vorgelegt.
Beijing ist somit die erste Stadt der Welt, in der nach olympischen Sommer- auch Winterspiele ausgetragen werden.