Ein etwas anderer Ansatz
Mathematik im Alten China Exklusiv
Arbeiten Sie im Rahmen Ihrer Forschungen mit chinesischen Partnern zusammen?
Ja, ich forsche zum Beispiel mit Kollegen aus der Statistikgeschichte in Beijing (Renmin-Universität) und einer Kollegin aus Shanghai (Shanghai Normal University - SHNU) zur Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Vor Corona habe ich an einer Konferenz der Jiaotong-Universität Shanghai teilgenommen.
Prof. Andrea Bréard mit Kollegen auf einer Mathematik-Konferenz der Jiaotong-Universität Shanghai 2019
Der direkte Kontakt ist immer sehr inspirierend und intensiv für beide Seiten, auch für unsere Studenten in Form von Vorträgen und Seminaren. Wir ergänzen uns sehr gut, vor allem bei Sprachkenntnissen und Forschungsmethodik. Leider ist das im Moment wegen der Corona-Pandemie nicht in Person möglich. Unsere Kollaboration beschränkt sich derzeit auf den Austausch von Quellen oder Dateien zu Publikationsprojekten und Übersetzungen von europäischen Sprachen ins Chinesische. Natürlich gibt es auch Herausforderungen, die sich aus unterschiedlichen Auffassungen von Geschichtsschreibung ergeben.
Welche mathematischen Erkenntnisse aus dem Alten China treten heutzutage noch hervor?
Es gibt zwei Lehrsätze, die in die Geschichte eingegangen sind: der chinesische Restsatz, ein Berechnungsverfahren aus der Arithmetik des Mathematikers Sun Zi (vermutlich 3. Jahrhundert) und die Li Shanlan- oder Li Renshu-Identität in der Kombinatorik (19. Jahrhundert) des Mathematikers Li Shanlan.
Satz des Pythagoras im Zhoubi suanjing 周髀算經 (Math. Klassiker des Gnomons der Zhou), Edition von 1213 Shanghai Library
Das Verständnis der chinesischen mathematischen Erkenntnisse war nicht ganz einfach. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, warum sie in Europa zunächst nicht bekannt waren.
Shifa Bambusmanuskript - Bambusspleißen-Schriftrollen
Selbst Genies wie Isaac Newton und keiner der großen Mathematikhistoriker der europäischen Moderne konnten alte chinesische Mathematiktexte lesen. Dies bedarf einer sehr speziellen Ausbildung und fundierter Sprachkenntnisse – zusätzlich zum Verständnis der Mathematik. Westliche Historiker setzen sich erst seit den 1950er Jahren intensiver mit der chinesischen Mathematikgeschichte auseinander.