Hongkong: Genug Gründe zum Feiern
von Robert Walker
Am 1. Juli 2022 feiert Hongkong sein 25-jähriges Bestehen als Sonderverwaltungszone Chinas. Die Feier ist von großer Bedeutsamkeit und weckt doch gemischte Gefühle, was die historischen Erinnerungen angeht. Denn einerseits spielt sie auf etwas an, das nie hätte geschehen dürfen, nämlich den Verlust Hongkongs als integraler Bestandteil Chinas. Andererseits markiert sie aber den freudigen Meilenstein von 25 Jahren Freiheit von fremder Herrschaft.
Im Vorfeld der Feierlichkeiten erklärte Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei der Ernennung des neuen Chefs der Sonderverwaltungszone, dass Hongkong „einen bedeutenden Übergang vom Chaos zur Ordnung“ vollzogen habe. Das Chaos, auf das sich Chinas Präsident bezog, waren die wiederholten und teils gewalttätigen Proteste im Jahr 2019, die unter anderem den Hongkonger Flughafen lahmlegten und bei denen das Gebäude des Legislativrats gestürmt wurde. Als vermeintliche Reaktion auf das angekündigte Auslieferungsgesetz forderten einige Demonstranten damals eine Demokratie nach westlichem Vorbild. Es wurden sogar Rufe nach einer „Unabhängigkeit Hongkongs“ laut. Das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong aus dem Jahr 2020 kann als Reaktion auf die Proteste gesehen werden. Ziel des Gesetzes war es, die Stabilität in der Sonderverwaltungszone wiederherzustellen.
Einmal habe ich Lord Chris Patten, dem letzten britischen Gouverneur von Hongkong, einen Brief geschrieben. Das war am 7. Juli 2020, nachdem Patten das Gesetz über die nationale Sicherheit als „Orwellsch“ bezeichnet hatte. Nach meiner persönlichen Beobachtung war Demokratie in Hongkong unter der britischen Herrschaft aber kaum spürbar. Ein unabhängiges Hongkong ist für die chinesische Regierung genauso unakzeptabel wie eine unabhängige Isle of Dogs (eine von der Themse umschlossene Halbinsel im Osten Londons) für Großbritannien. Chris Pattens Worte geben nur denjenigen britischen Parlamentariern Aufwind, die einen kalten Wirtschaftskrieg gegen China anzetteln wollen.
Aus meiner Sicht stellt sich ein ehemaliger Beamter einer Kolonialmacht, der die inneren Angelegenheiten einer ehemaligen Kolonie kritisiert, selbst ins Abseits. Lord Patten ist jedoch kein gewöhnlicher Beamter, und Hongkong war nie einfach nur eine Kolonie. De facto wurde Hongkong von den Briten durch militärische Gewalt erobert. Der anschließende Erfolg der Metropole wäre ohne die Mitwirkung der Hongkonger und der chinesischen Regierung undenkbar gewesen.
Entlang des Küstenstreifens Tsim Sha Tsui in Hongkong: Am 2. Mai 2022 prangt hier ein Transparent mit der Aufschrift „Gemeinsam bekämpfen wir das Virus“. An jenem Tag wurde die niedrigste Zahl an Corona-Neuinfektion in der Stadt seit drei Monaten verzeichnet.
Hongkong, das im Jahr 1841 von Großbritannien besetzt wurde, war keineswegs eine „karge Insel mit kaum einem Haus darauf“, wie der britische Außenminister Lord Palmerston einst fälschlicherweise erklärte. Es handelte sich vielmehr um eine kleine Inselgemeinde am äußersten Zipfel des Reiches der Qing-Dynastie. Mit Blick auf das chinesische Handelssystem, das seit Mitte des 17. Jahrhunderts den westlichen Handel auf Kanton (das heutige Guangzhou) beschränkte, wurde Hongkong als Freihafen mit Zugang zu Indien, Südostasien und Amerika eingestuft, in dem chinesische Kaufleute willkommen waren. Innerhalb von zwei Jahrzehnten schwoll die Bevölkerung Hongkongs auf annähernd 60.000 Menschen an, größtenteils stammten sie vom chinesischen Festland. Antichinesische Diskriminierung war zur damaligen Zeit in Hongkong an der Tagesordnung, die größten Unternehmen wurden von Ausländern geführt. Doch man schuf zahlreiche Arbeitsplätze und chinesische Unternehmen florierten. Die britische und die Qing-Flotte taten sich zusammen, um gemeinsam die Piraterie zu bekämpfen.
Blickt man auf die Politik im Jahr 1838 zurück, fallen besonders die destruktiven Auswirkungen des Opiumhandels auf die chinesische Bevölkerung auf. 1839 wurden die ausländischen Händler aufgefordert, ihre Opiumvorräte abzuliefern. Da die britische Regierung bereit war, ihre Händler für die Verluste zu entschädigen, wurde alles Opium, das sich im Besitz britischer Händler befand, öffentlich verbrannt. Vereinfacht gesprochen spielte sich der Lauf der Geschichte dann wie folgt ab: die Briten forderten Entschädigung für den erlittenen Verlust dessen, was sie als ihr Eigentum und nicht als Schmuggelware betrachteten. Anschließend kam es zum Krieg.
Letztlich waren es aber wohl komplexere Motive, die Auslöser des Kriegs waren: eine geschwächte Whig-Regierung, die von innenpolitischen Misserfolgen und Unruhen in Irland, Kanada und Jamaika ablenken musste; ein Premierminister, der die Doktrin des Freihandels mit allen Mitteln verfolgte; und die ungerechte Empörung darüber, dass China sich weigerte, auf diplomatischer Augenhöhe zu verhandeln.
Der Krieg stieß bei der britischen parlamentarischen Opposition auf Ablehnung. William Gladstone, der spätere Premierminister, bezeichnete ihn damals als „ungerecht in seinem Ursprung, ein Krieg, der in seinem Verlauf eher darauf abzielt, dieses Land mit dauerhafter Schande zu überziehen“, wie es in Peter Ward Fays „The Opium War, 1840-1842“ heißt. In einem ersten Scharmützel, der Ersten Schlacht von Chuenpi, wurden britische Schiffe, die nicht mit Opium handeln wollten, von chinesischen Kampfdschunken sogar gegen die britische Seeblockade geschützt!
Mit dem Abschluss des Vertrags von Nanking im Jahr 1843 wurde Hongkong auf Dauer an das Vereinigte Königreich abgetreten. Dies schob den imperialistischen Ambitionen der Whig-Regierung jedoch keinen Riegel vor. Diese stellte bald weitere Forderungen, unter anderem China für britische Kaufleute weiter zu öffnen und den Opiumhandel zu legalisieren. Mit Unterstützung aus Frankreich und Beteiligung der USA und Russlands entfesselte Großbritannien 1856 einen zweiten Krieg, wobei der Alte Sommerpalast (Yuanmingyuan) in Beijing geplündert und niedergebrannt wurde. In der Konvention von Peking von 1860 fiel nun auch die Hongkonger Halbinsel Kowloon in britische Hand.
Trotz abnehmender Bedeutung blieb Opium eine wichtige Steuereinnahmequelle für die Kolonialregierung, bis Hongkong 1941 von den Japanern übernommen wurde. Hongkong gedieh auch zu einem Tor, durch das Ausländer nach China einreisten und Chinesen vom Festland auswanderten, wodurch sich die globale chinesische Diaspora entwickelte.
Während der gesamten Kolonialzeit blieb Hongkong jedoch stets eine chinesische Stadt. Chinesische Talente bildeten die Grundlage seiner Entwicklung. Ohne ihre gesellschaftlichen, geschäftlichen und politischen Verbindungen zum Festland hätte Hongkong niemals zur gekannten Blüte gedeihen können. Mit dem großen Erfolg ging auch eine Expansion einher. 1898 verpachtete China die New Territories für 99 Jahre an das Vereinigte Königreich.
Auf dem Ocean Terminal Square in Tsim Sha Tsui: Diese beiden Hongkongerinnen nutzten die schillernde Weihnachtsdekoration am 20. Dezember 2020 für ein gemeinsames Selfie.
Als Schmelztiegel chinesischer und globaler Ideen trug Hongkong zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Chinas bei. Vor allem Sun Yat-sen, der sich für den Sturz der Qing-Dynastie und die Gründung der Republik China einsetzte, verbrachte einige Jahre seiner Ausbildung in Hongkong, wo er letztlich auch seine revolutionären Strategien entwarf.
Die Kommunistische Partei Chinas, die in Hongkong Kader rekrutierte und ausbildete, erkannte den Wert Hongkongs als Bindeglied, um mit dem Rest der Welt in den Bereichen internationaler Handel und Finanzen in Kontakt zu treten, sowie auch als Quelle für Finanztransaktionen. Eine ähnliche Logik lag der Planung Chinas für die Rückkehr Hongkongs im Jahr 1997 zugrunde. Deng Xiaoping lehnte zwar die Bitte Großbritanniens um weitere Verwaltung Hongkongs ab, schlug aber die Strategie „ein Land, zwei Systeme“ vor. Dies bedeutete, dass Hongkong seine kapitalistische Struktur und sein Finanzsystem beibehalten sollte, was China in die Lage versetzte, sich ausländisches Kapital und Hongkongs internationale Verbindungen zunutze zu machen, um das Perlflussdelta zu einem globalen Industriezentrum auszubauen. Im Februar 1997 sprachen sich 60 Prozent der Hongkonger für eine Wiedervereinigung mit China aus. Sie wollten nicht länger unter britischer Kolonieflagge leben, wie es John Carroll in seinem Buch „The Hong Kong–China Nexus: A Brief History” dokumentierte.
Nachdem er 1992 eine Niederlage bei den britischen Parlamentswahlen erlitten hatte, wurde Patten Gouverneur von Hongkong. Dort setzte er auf das, was Suzanne Pepper als „Crashkurs in westlicher Demokratie“ bezeichnete. Ziel war es, Hongkongs Wählerbasis zu verbreitern und die Vertretung im Legislativrat zu stärken. Pattens Reformen wurden weitgehend als Versuch interpretiert, den britischen Einfluss über das Jahr 1997 hinaus auszudehnen und es Großbritannien zu ermöglichen, sich mit einem Mindestmaß an Würde von seinem letzten großen kolonialen Außenposten zurückzuziehen. Auch dies trug aber letztlich zu dem von Präsident Xi angesprochenen Chaos bei. Eine idealistische Wählerschaft, denen die Grenzen der Demokratie nicht bewusst waren, pochte auf das Unmögliche.
Hinzu kommt, dass die Sonderverwaltungszone Hongkong alle Missstände der Kolonialzeit geerbt hat: eine übermäßig mächtige Wirtschaftselite, extreme Einkommens- und Vermögensungleichheit, eine konservative Politik, einen unausgewogenen Wohnungsbau und einen unterentwickelten Sozialsektor. All dies bremste den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt und führte zu großer Frustration, die sich vor dem Hintergrund der schnellen Erhöhung des Lebensstandards auf dem chinesischen Festland noch verstärkte.
Ohne entsprechende Beschwerdekanäle hätten das Ausmaß und die Richtung der Proteste jede Regierung herausgefordert, zumal sie in geopolitische Rivalitäten verwickelt waren. Die Anführer der Proteste forderten den US-Kongress auf, den Hong Kong Human Rights and Democracy Act zu verabschieden, der vorsah jeden zu bestrafen, der „eine Aushöhlung der Autonomie Hongkongs gegenüber Beijing betreibt“.
Dem setzte Beijing seine Richtlinie „Patrioten verwalten Hongkong“ entgegen, die dafür sorgte, dass nunmehr nur noch echte Patrioten die Geschicke der Sonderverwaltungszone leiten können. Sie ist mit dem Treueeid, den Patten als britischer Abgeordneter geleistet hat, oder dem Amtseid, den beispielsweise Senatoren in den Vereinigten Staaten ablegen, vergleichbar. Auch das Gesetz zur Wahrung der nationalen Sicherheit – das Verrat, Sezession, Aufruhr und Subversion verbietet – ähnelt in seiner Form dem amerikanischen National Security Act, der 1947 als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung von außen erlassen wurde.
Die politische Kunst in allen Sicherheitsfragen besteht letztlich darin, dafür zu sorgen, dass individuelle Freiheiten nicht versehentlich unterdrückt oder konstruktive Kritik verhindert wird. Wenn Hongkong dies gelingt, wird das nächste runde Jubiläum, nämlich der 50. Jahrestag der Rückkehr Hongkongs zum Vaterland im Jahr 2047, gewiss nicht das Ende von „ein Land, zwei Systeme“ bedeuten, sondern einen Anlass für weitere Feierlichkeiten.
*Robert Walker ist Professor an der China Academy of Social Management am Fachbereich für Soziologie der Beijing Normal University sowie emeritierter Professor und Forscher des Green Templeton College der University of Oxford. Zudem ist er Fellow der Royal Society of Arts und der Academy of Social Sciences im Vereinigten Königreich.