Diplomatische Beziehungen
Eine Vorreiterin der chinesisch-deutschen Freundschaft – Zur Erinnerung an Lisa Niebank
In diesem Jahr wird das 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland gefeiert. Chinas Außenminister Wang Yi lobte, dass sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in den vergangenen fünf Jahrzehnten in verschiedenen Bereichen merklich vertieft habe. Es sei gelungen, eine umfassende strategische Partnerschaft aufzubauen, die in der heutigen Welt zu einem wichtigen Stabilitätsanker geworden sei, so der Minister.
Zur positiven Entwicklung der chinesisch-deutschen Beziehungen haben viele Menschen auf offizieller wie inoffizieller Ebene ihren Beitrag geleistet, Chinesen wie Deutsche. Eine davon war die Hamburger Pädagogin Lisa Niebank. Sie war in gewissem Sinne eine Vorreiterin der chinesisch-deutschen Freundschaft und Völkerverständigung in der Zeit des Kalten Krieges.
Niebank wurde 1913 in eine sozialistisch geprägte Familie geboren, was ihren Weg des Erwachsenwerdens prägte. Von 1933 bis 1936 studierte sie an der Universität Hamburg Erziehungswissenschaft, Philosophie, Psychologie und Zoologie. Nach dem Studium war sie zunächst gut zwei Jahrzehnte in Hamburg und Umgebung als Lehrerin tätig.
An zwei Hamburger Schulen, an denen Niebank zwischen 1954 und 1965 unterrichtet hatte, finden sich bis heute Lisa-Niebank-Gedenktafeln mit folgender Inschrift:
„In Bergdorf und Horn war Lisa Niebank als außerordentlich befähigte, engagierte, gewissenhafte Pädagogin bei Schülerinnen und Schülern beliebt und geachtet. Die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen erzog sie im demokratischen Geist konsequent zur Wachsamkeit gegenüber nationalsozialistischen, die junge Demokratie gefährdenden Tendenzen. Sie setzte sich frühzeitig unermüdlich für europäische Einigung, Versöhnung mit Israel und internationale Völkerverständigung ein.“
Anfang der 1960er Jahre engagierte sich die Pädagogin für die soziale Bewegung gegen Krieg und Atomwaffen. Sie schloss sich der Hamburger Friedensbewegung und dem Schwelmer Kreis an, eine internationale Friedens- und Bildungsreforminitiative fortschrittlicher Pädagogen. Die Friedensaktivitäten wurden eine Brücke, die Niebank auch mit dem fernen China verbinden sollte.
1963 reiste die Hamburgerin nämlich mit einer Freundschaftsreisegruppe nach Japan, um an der Weltversammlung gegen Kernwaffen teilzunehmen. Dort lernte sie auch Mitglieder der chinesischen Friedensdelegation kennen. Mit deren Hilfe erhielt sie vom Chinesischen Ausschuss zum Schutz des Weltfriedens eine Einladung zu einer sechswöchigen Chinareise, die sie während der Sommerferien 1964 antrat.
Die erste Begegnung mit dem Reich der Mitte eröffnete für Niebank eine völlig neue Alternative für ihren weiteren Lebensweg. Die Hamburgerin fühlte sich magisch angezogen vom Entwicklungsmomentum der jungen Volksrepublik. Auf ihrer Reise erfuhr sie, dass das Fremdspracheninstitut Beijing Nr. 2 kurz vor der Gründung stand und gerade auf der Suche nach muttersprachlichen Deutschlehrkräften war. Im Herbst 1964 sollte es seine Pforten öffnen. Ein Jahr später brach die deutsche Lehrerin kurzerhand ihre Zelte in der Hamburger Heimat ab, um einen Lehrauftrag des Instituts anzunehmen. Sie freute sich darauf, am Aufbau Chinas mitzuwirken. Außerdem wollte sie die Idee der progressiven Pädagogik nach China tragen.
Lisa Niebank vor dem Abflug nach Beijing am 14. Juli 1965. In der Hauptstadt war sie zuerst als Deutschlehrerin am Fremdspracheninstitut Beijing Nr. 2, dann als Übersetzerin beim Fremdsprachenverlag tätig.
Nachdem Niebank ihre Stelle in Hamburg gekündigt hatte, saß sie am 14. Juli 1965 im Flieger Richtung Beijing. Am dortigen Fremdspracheninstitut sollte sie über ein Jahr tätig sein. Die ehemaligen Kollegen sowie Studentinnen und Studenten erinnern sich noch gut an die engagierte Deutsche. Ihr gewissenhafter Arbeitsstil und ihre unermüdliche Hilfsbereitschaft haben einen tiefen Eindruck hinterlassen bei allen, denen sie begegnete.
Ein Jahr nach Niebanks Ankunft brach dann allerdings die Kulturrevolution aus und der Unterrichtsbetrieb wurde eingestellt. Niebank schloss sich bereitwillig einer Arbeitsgruppe des chinesischen Fremdsprachenverlags an, welche die gesammelten Werke des Vorsitzenden Mao Tse-tung ins Deutsche übersetzte. Durch ihre dreijährige Beschäftigung mit Maos Schriften gewann sie einen tiefergehenden Einblick in das Leben und die Gedankenwelt des großen Vordenkers. Sie hatte großen Respekt dafür, dass sich die Chinesen unter Maos Führung von der halbkolonialen Herrschaft und der halbfeudalistischen Gesellschaftsform befreiten und mit der Gründung der Volksrepublik das Zepter in die eigenen Hände nahmen.
Im Herbst 1969 kehrte Niebank zunächst nach Hamburg zurück. 1972 nahmen China und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf. In diesem Jahr kam die Pädagogin zum dritten Mal nach China. Zunächst arbeitete sie bei der deutschsprachigen Wochenzeitschrift „Beijing Rundschau“. Im November 1973 wechselte sie dann an die Fremdsprachenschule Beijing, wo sie die erste muttersprachige Deutschlehrerin war. Sechseinhalb Jahre unterrichtete sie als renommierte Sprachdozentin in der chinesischen Hauptstadt, bis sie am 4. April 1980 verstarb. Während ihrer letzten Lebensjahre wirkte sie außerdem auch an der Peking-Universität und der Fremdsprachenhochschule Beijing.
Die Fremdsprachenschule Beijing, wegen ihres Straßennamens gemeinhin Baiduizi-Fremdsprachenschule oder kurz „Baiduizi“ genannt, war 1960 vom chinesischen Außenministerium und der Internationalen Abteilung beim ZK der KP Chinas gemeinsam ins Leben gerufen worden, um fremdsprachige Fachkräfte für auswärtige Angelegenheiten schon von Kindesbeinen an heranzubilden. Nur Top-Lehrkräfte stellte man hier ein. Und auch die Schülerinnen und Schüler wurden nach strengen Kriterien ausgewählt. Die alten „Baiduizi“-Absolventen genießen dank ihrer vorzüglichen Qualifikationen bis heute einen ausgezeichneten Ruf.
Als Lisa Niebank 1973, also in den späten Jahren der Kulturrevolution, hierher kam, war man von Normalität noch weit entfernt. Die Schüler hatten während des Semesters öfter wochenlang Land- oder Fabrikeinsatz, manchmal auch militärisches Training. Ausländische Lehrbücher durften nicht verwendet werden. Lisa Niebank musste daher oft in mühsamer Recherchearbeit den Lesestoff aus den deutschsprachigen Publikationen chinesischer Verlage zusammenstellen und ihn selbst didaktisch aufbereiten. Selbst bei ziemlich trockenen Themen fand sie dabei stets einen lockeren Einstieg, etwa durch Wortschatzübungen, denen sie lebhafte Diskussionen folgen ließ. Sie setzte alles daran, ihre Stunden so inhaltsvoll und interessant wie möglich zu gestalten.
In ihrem Unterricht wurde zudem viel gesungen. Die lebensfrohe Hamburgerin kannte verschiedene Lieder, mit denen ihre Schülerinnen und Schüler Phonetik und Wortschatz übten und deutsche Kultur und Gepflogenheiten kennenlernten. Aus Deutschland hatte sie zudem zwei Originalhandpuppen aus dem Kasperle-Theater mitgebracht – Kasper und den Teufel. Diese setzte sie ebenfalls als Lehrmittel ein. Das Puppentheater war bei der Schülerschaft äußerst beliebt. Zwei Eleven spannten vor der Klasse ein weißes Laken auf, zwei Mitschüler agierten dahinter mit ihren Figuren. Die „Tuchhalter“ übernahmen auch die Rolle der Erzähler.
Lisa Niebank organisierte zudem immer wieder Ausflüge und Besichtigungen für ihre Eleven, wobei ganz nebenbei deutsche Sprachkenntnisse vermittelt und das Gelernte aktiv angewendet wurden. Sie half ihren Schülern auch, Theaterstücke auf Deutsch zu verfassen und aufzuführen. Einmal wurde sogar ein traditionelles chinesisches Theaterstück in deutscher Sprache aufgeführt: „Wie Sun Wu-kung dreimal das Weißknochen-Gespenst besiegte“.
Lisa Niebank organisierte oft Ausflüge mit ihren Schülerinnen und Schülern. Auch dabei wurden deutsche Sprachkenntnisse vermittelt.
Privat war Lisa Niebank eine Frau der leisen Töne, lebte bescheiden und vermied es, ihre chinesischen Kollegen mit Alltagsproblemen zu behelligen. Der einzige Sonderwunsch, den sie vor der Schulleitung äußerte, war, ein westliches Klosett für sie im WC des Bürogebäudes anzubringen. Einst hatte sie sich nämlich in jungen Jahren beim Skifahren in Norwegen den rechten Hüftknochen verletzt. Seither hinkte sie ein wenig und konnte nur schwer in die Hocke gehen.
Die Hamburgerin behielt ein Sparbuch in Deutschland, das eine Freundin für sie verwahrte. Mehrmals im Jahr bat sie ihre Bekannte, mit dem Geld auf dem Konto Unterrichtsmaterialien zu besorgen und diese nach Beijing zu schicken, etwa bunte Kreide, Malstifte, Hefte, Lehrwerke, Literatur, Wörterbücher und Lexika.
Die Fremdsprachenschule Beijing erlebte nach Niebanks Tod viele Veränderungen und wurde mehrmals umbenannt. Doch die Bibliothek der Deutschabteilung trägt bis heute Lisa Niebanks Namen. Noch lange Zeit schmückte zudem ein Porträtfoto der Hamburgerin die Wand. Schließlich war die Bibliothek mit ihrer Hilfe eingerichtet worden. Über 1200 Bücher waren teils mit ihrem Geld angeschafft, andere nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland auf Niebanks Wirken hin von der deutschen Botschaft in China gespendet worden.
In Hamburg und Umgebung hielt Lisa Niebank zwischenzeitlich mehrmals Vorträge über die Volksrepublik China in kleinerem Kreis. Sie veranstaltete auch Bilderausstellungen zur chinesischen Kultur. Ihr Herzenswunsch war es, dadurch manche Feindlichkeit zwischen West und Ost abzubauen und die Freundschaft und Völkerverständigung zwischen Chinesen und Deutschen zu fördern.
Nach Niebanks Tod trauerten um sie gemeinsam chinesische und deutsche Offizielle. Ihre Urne wurde auf dem Ehrenfriedhof Babaoshan in Beijing beigesetzt.
Zu Lisa Niebanks Verdienst um demokratische staatsbürgerliche Erziehung und Förderung internationaler Verständigung wurde ein Wegabschnitt in Hamburg nach ihrem Namen benannt. Das Bild zeigt die Einweihung am 31. August 2001.
Am 31. August 2001 wurde sie mehrfach geehrt: in Hamburg-Horn wurde ein 850 Meter langer Abschnitt des Europäischen Wanderwegs in „Lisa-Niebank-Weg“ umbenannt. Auf dem dortigen Straßenschild heißt es:
Lisa-Niebank-Weg
nach Lisa Niebank (1913-1980), Lehrerin an den Schulen Beim Pachthof und Stengelestraße in Horn 1954-1965, danach Deutschlehrerin in Beijing, verdient um demokratische staatsbürgerliche Erziehung und Förderung internationaler Verständigung.
Die damalige Justiz- und SfB-Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit leitete die Einweihung des Gedenkweges. Der damalige chinesische Generalkonsul in Hamburg, Chen Jianfu, war ebenfalls anwesend.
Chinesische und deutsche Offizielle erwiesen Lisa Niebank bei verschiedenen Anlässen ihren Respekt und zollten dem Beitrag der Hamburgerin als Vorreiterin der chinesisch-deutschen Freundschaft und Völkerverständigung große Anerkennung.
*He Tao ist außerordentliche Professorin an der Capital Normal University.