Ein Gespräch mit Mei Zhaorong
Ehemaliger Botschafter in Deutschland äußert sich zu bilateralen Beziehungen Exklusiv
„Entkopplung“ zwischen China und Deutschland nicht möglich
Ende 2021 trat die neue Bundesregierung, die aus einer Koalition von SPD, Grünen und FDP besteht, offiziell ihr Amt an. Mit dieser neuen sog. Ampel-Koalition sind viele neue Hindernisse für die bilaterale Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen entstanden. Dafür gibt es laut Mei komplexe Gründe: „Ein Faktor ist, dass der rasante Aufstieg Chinas und zahlreicher anderer Schwellenländer das internationale Machtgleichgewicht verändert und bei den Machthabern in den USA und im entwickelten Europa ein wachsendes Gefühl der 'Unsicherheit' hervorgerufen hat.“
Außerdem würden viele führende Politiker in Deutschland - einem Land, das lange Zeit an vorderster Front der amerikanisch-sowjetischen Konfrontation gestanden hatte - auch nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges die Systemunterschiede immer noch aus der „Perspektive des ideologischen Kampfes“ betrachten. Besonders gegenüber China - einem sozialistischen Land, das große Errungenschaften erzielt hat - würden sie Vorurteile hegen. Als Konsequenz hätten sie vorgeschlagen, gegenüber China eine sog. wertebasierte Politik zu betreiben, d. h. China an den westlichen Konzepten von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu messen, ideologisch zu infiltrieren und nach ihren Werten zu verändern.
Der zweite wichtige Faktor sei der starke Einfluss der USA. Einige deutsche Politiker argumentieren laut Botschafter Mei wiederholt, dass Deutschland für seine eigene Sicherheit auf die USA angewiesen sei. Nur durch die Zusammenarbeit mit den USA und der NATO könne Europa eine Rolle in der internationalen Politik spielen.
Als drittes kommt Mei zufolge noch hinzu, dass einige Politiker die Wähler durch ein solches Narrativ beeinflussen und ihre Gunst für sich gewinnen wollten, um ihre eigene Politik umsetzen zu können.
Darüber hinaus wies er darauf hin, dass deutsche Unternehmen in den 50 Jahren der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern nicht nur die ersten waren, die Chinas Reformen und Öffnung große Beachtung schenkten, sondern auch die ersten, die von Chinas Öffnung profitierten und eine Win-win-Kooperation auf der Grundlage gegenseitigen Respekts erreichten.
Der ehemalige Botschafter macht daher auch klar, dass es nur „sehr wenige Stimmen“ gebe, die eine „Entkopplung“ von China befürworten, während es sehr viele gebe, die sich gegen eine Verringerung der „Abhängigkeit“ von China aussprechen.
Mei erklärte, dass Deutschland und die EU nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise mehrere Runden harter Sanktionen gegen Russland verhängt hätten. Die Auswirkungen der Gegenreaktion seien nun aber auch für sie selbst deutlich zu spüren: Energie sei knapp geworden, die Inflation steige, das Risiko einer Rezession sei groß und die Unzufriedenheit der Bevölkerung nehme in der Folge zu.
Die Mehrheit der deutschen Unternehmen wolle auch weiterhin in China aktiv sein, da sie der Meinung seien, dass die Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit mit China der deutschen Wirtschaft in diesen schwierigen Zeiten zugutekomme. Mei zieht daraus die folgende Schlussfolgerung: „Alles deutet darauf hin, dass eine 'Entkopplung' zwischen China und Deutschland unmöglich ist.“
Gemeinsame Interessen überwiegen klar die Differenzen
Am Ende nennt Mei drei wertvolle Lehren, die aus der Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen in den letzten 50 Jahren gezogen werden können.
Erstens hänge die reibungslose Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen davon ab, ob die beiden Länder mit den Unterschieden in ihren Systemen richtig umgehen und tatsächlich „einander respektieren und ungeachtet der bestehenden Differenzen ihre Gemeinsamkeiten suchen.“ Sollte die eine Seite jedoch versuchen, die andere mit ihren eigenen Werten zu verändern, würden die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zwangsläufig Schaden nehmen. Nur wenn beide Seiten sich gegenseitig respektieren, ihre Kerninteressen und wichtigsten Anliegen verstehen und berücksichtigen, könnten sich ihre Beziehungen auch weiter reibungslos entwickeln.
Zweitens sind sowohl China als auch Deutschland wichtige Länder für die Fertigungsindustrie und den Export mit komplementären Wirtschaftsstrukturen, so dass ihre Zusammenarbeit für beide Seiten Vorteile schaffen könnte. China ist schon seit sechs Jahren in Folge Deutschlands größter Handelspartner und das Handelsvolumen zwischen China und Deutschland macht etwa 30 Prozent des Handelsvolumens zwischen China und ganz Europa aus. Daraus kann man eindeutig schließen, dass die Wirtschafts- und Handelskooperation zwischen China und Deutschland innerhalb der chinesisch-europäischen Beziehungen am wichtigsten ist.
Drittens sei die richtige Führungsrolle der Staats- und Regierungschefs beider Länder in den bilateralen Beziehungen entscheidend und unerlässlich. Was die Zukunft der deutsch-chinesischen Beziehungen angeht, so zeigt sich Mei nach wie vor zuversichtlich: „Solange die Regierenden in Deutschland ausgehend von ihrem eigenen Interesse handeln, ihr Verständnis von China wirksam korrigieren, ihre strategische Autonomie beibehalten anstatt sich von den USA an der Nase herumführen zu lassen, werden sie erkennen können, dass die gemeinsamen Interessen zwischen China und Deutschland ihre Differenzen bei weitem überwiegen.“
Beide Seiten sollten die erfolgreichen Erfahrungen aus 50 Jahren diplomatischer Beziehungen weiterführen und die bilateralen Beziehungen vorantreiben. Zu diesem Zweck unterbreitete er in dem Gespräch die drei folgenden konkreten Vorschläge.
Erstens gelte es, das gegenseitige politische Vertrauen zu stärken und die Kerninteressen des anderen zu achten. Die Bundesrepublik Deutschland hat seit ihrer Gründung keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan aufgenommen, während China seinerseits die deutsche Nation damals in ihrem Streben nach der Wiedervereinigung stets unterstützt hat. Dies zeugt von der Weitsicht der führenden Politiker beider Länder. Beide Seiten sollten auch in der Zukunft weiterhin den Grundsatz der gegenseitigen Achtung der Kerninteressen und der wichtigsten Anliegen der jeweils anderen Seite anwenden, so Mei.
Zweitens sollte die für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden. Die pragmatische Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen wie Handel und Gewerbe, Wissenschaft und Technologie sowie Klimawandel sollte verstärkt werden, anstatt gegenseitige Investitionen oder andere Bereiche des Austauschs zu behindern.
Drittens sei es notwendig, auch die Verbundenheit der Menschen beider Länder zu fördern. Der Austausch in den Bereichen Kultur, Tourismus, Jugend, Medien und Denkfabriken sollte weiter verstärkt werden, um das gegenseitige Verständnis kontinuierlich zu verbessern. Auf diese Weise, so der Altbotschafter, könne die öffentliche Meinung als Basis für die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern aufgebaut werden.
* Die Meinung des Gesprächspartners spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.