share
Home> Interview

„Ökologische Gesellschaft“

Chinas Unternehmen auf dem Weg zu gelebter Nachhaltigkeit Exklusiv

Quelle: german.china.org.cn
german.china.org.cn  |  
03.01.2024


Von Elke Lütke-Entrup

Wie ernst nehmen es chinesische Unternehmen mit der Nachhaltigkeit? Dr. Matthias Niedenführ, Senior Research Fellow am Leadership Excellence Institute Zeppelin der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen hat hierzu neun Jahre geforscht und Fallstudien zu Unternehmen erstellt, die in ihrer Branche in Bezug auf Umweltschutz eine Vorreiterrolle einnehmen. Im Gespräch mit China.org.cn enthüllt er Details und Hintergründe.

China.org.cn: Wie haben sich chinesische Unternehmen in den vergangenen Jahren in Bezug auf Umwelt- und Klimafragen entwickelt?

Dr. Matthias Niedenführ: In der Phase des Superwachstums war auch bei den Unternehmen lange nur Umsatz- und Größenwachstum wichtig. Das hat sich im vergangenen Jahrzehnt, vor allem seit der hitzigen Diskussion über die Feinstaubbelastung in China im Jahr 2013 geändert, weil jeder begriffen hat, dass das Thema nicht ignoriert werden kann. Die Regierung hat ernsthaft begonnen, die Umweltprobleme zu einer Priorität zu machen und fordert seither sowohl von Staats- als auch von Privatunternehmen, dass diese ihren jeweiligen Beitrag leisten. Messbar bessere Luftqualität und Verbesserungen der Wasser- und Bodenqualität sind einige unmittelbare Ergebnisse dieses Wandels.

In den von mir seit 2017 untersuchten privaten Unternehmen, die in China als Vorzeigeunternehmen gelten, werden die Standards nicht nur erfüllt, sondern das Corporate Image darauf aufgebaut, dass sie große Anstrengungen im Bereich Corporate Social Responsibility leisten. Dies geschieht, indem sie die Interessen der Stakeholder – Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, aber auch Umwelt und Anwohner – im Blick behalten. Die Nachhaltigkeit wird hierbei ganzheitlich gedacht. Sie bezieht sich auf die Fürsorge für Mitarbeiter, die Sicherheit sowie Zuverlässigkeit von Produkten und die ökologischen Aspekte ihrer Produktion und Distribution, nicht zuletzt auch auf den „CO2-Fußabdruck“ des Unternehmens.

Wie gehen chinesische Unternehmen mit der Reduzierung von Umweltauswirkungen durch Luft- und Wasserverschmutzung vor dem Hintergrund steigender Umweltauflagen und Verbrauchererwartungen um?

Das Risiko, Regelungen zu unterlaufen, ist heutzutage erheblich, da die Strafen – auch Haftstrafen für Verantwortliche – empfindlich geworden sind. Doch noch werden selbst Mindeststandards immer wieder unterlaufen, weil die Gewinnanreize zu hoch sind.

Aber die chinesischen Verbraucher gehören zunehmend zu den anspruchsvollsten der Welt, vor allem die junge, gut ausgebildete urbane Kundschaft. Wenn eine Firma durch Skandale auffällt, wird sie oft boykottiert. Firmen mit Endkundengeschäft sind davon stärker betroffen als solche mit Halbfertigprodukten.

Doch selbst das Einhalten von Mindeststandards ist noch keine Corporate Sustainability. Hier ist noch Luft nach oben. Zu den Maßnahmen im Umweltbereich in meinen Fallstudien zählen Energie- und Wassereinsparmaßnahmen, Recycling von Rohstoffen, Säuberung von Abgasen und Abwässern, Abfallmanagement und Änderungen von Prozessen zur Reduzierung von Gefahrenstoffen. Hervorheben möchte ich Bemühungen im Produktdesign, die helfen, Abfälle in der ganzen Wertschöpfungskette zu reduzieren, Stichwort „Kreislaufwirtschaft“.

Firmen in China müssen strenge ISO-Richtlinien erfüllen, wenn sie für multinationale Unternehmen produzieren, aber auch im Inland setzen sich hohe Erwartungen durch. China ist schon länger kein Land für Billigproduktion mehr, sondern strebt in allen Industrien Spitzenpositionen an. Auch private Firmen werden zunehmend vom Staat in die Pflicht genommen, an diesem anspruchsvollen nationalen Ziel mitzuarbeiten und sich massiv zu modernisieren.

Inwiefern beeinflusst Chinas Teilnahme an internationalen Umweltabkommen wie dem Pariser Abkommen und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur biologischen Vielfalt die nachhaltige Entwicklung chinesischer Unternehmen?

Mit dem Stichwort „ökologische Gesellschaft“ (shengtai shehui) versucht die Regierung das Thema Nachhaltigkeit zu einem Kernthema zu machen. Vor allem kam 2015 in Paris der Durchbruch. Die von Beijing ausgerichtete Kampagne, um das Land in ein Zugpferd der Nachhaltigkeitsbewegung zu verwandeln, wird durch Vorgaben nach innen begleitet. Dies ist auch Teil der Doppelkreislauf-Strategie. Wir müssen sehen, dass Veränderungen von blindem Konsum hin zu Konsumkritik, die im Westen Jahrzehnte gedauert haben, in China in viel kürzerer Zeit durchlaufen werden, beziehungsweise durchlaufen werden müssen.

1  2  >  


Schlagworte: Nachhaltigkeit,China,Unternehmen,Umweltschutz

Diesen Artikel DruckenMerkenSendenFeedback