Brauchen die Deutschen mehr Chinakompetenz? Exklusiv
von Elke Luetke-Entrup
Viele Deutsche waren noch nie in China und haben keine genaue Vorstellung von dem Land und seinen Bewohnern, von Gepflogenheiten und dem chinesischen Geschäftsleben. Ihr Chinabild ist maßgeblich geprägt von der eher kritischen Darstellung westlicher Medien. Doch ein gewisses Grundwissen über China ist für eine gute Zusammenarbeit mit dem Land unabdingbar. Titus Freiherr von dem Bongart, Partner von Ernst & Young Shanghai und Vorstandsmitglied der Außenhandelskammer Shanghai, erläutert Hintergründe im Gespräch mit China.org.cn.
China.org.cn: Herr von dem Bongart, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit der Chinakompetenz der Deutschen auseinanderzusetzen?
Titus von dem Bongart: In meinem beruflichen und privaten Umfeld habe ich regelmäßig mit deutsch-chinesischen Interaktionen zu tun. Dabei fällt es mir häufig auf, wie wenig Hintergrundwissen viele Deutsche über China, die chinesische Geschichte, Kultur und Gesellschaft haben und wie schwer sie sich im Umgang mit Land und Leuten tun. Beispielsweise sind viele Deutsche immer noch überrascht von der Größe des Landes und dem unterschiedlichen Entwicklungsstand verschiedener Regionen.
China ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort, Handelspartner und politischer Akteur für Deutschland. Mehr Kenntnisse über das Land helfen, politische, wirtschaftliche und kulturelle Gegebenheiten besser zu verstehen und entsprechende Situationen einzuschätzen. Bessere Einschätzungen führen zu besseren Entscheidungen.
Zu welchen Problemen kann fehlendes Wissen führen?
Unternehmen könnten wichtige Wachstumsentscheidungen verpassen, wenn die Mitarbeiter in China mit ihren Vorschlägen im Stammhaus kein Gehör finden. Die langsamen Entscheidungszyklen in den Mutterhäusern zählen zu den größten Hemmnissen.
Wie unterscheidet sich das Bild, das deutsche Medien von China zeichnen, von der Realität?
Man hat häufig den Eindruck, dass sich Medien in Deutschland lediglich auf negative Aspekte in China konzentrieren und damit ein unvollständiges Bild widergeben. Was in meinen Augen zum Beispiel zu kurz kommt, ist die Geschwindigkeit, mit der sich ganze Industrien durch Digitalisierung und Technologieeinsatz verändern, die Zunahme der Verstädterung, aber auch der fortgesetzte Erfolg Chinas in der Armutsbekämpfung.
Und wie steht es mit dem Deutschlandbild der chinesischen Medien?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann jedoch etwas zur Deutschland-Stimmung sagen. Zwar ist Deutschland für viele Chinesen noch immer das am meisten geschätzte Ausland. Allerdings fängt dieses Deutschlandbild an zu bröckeln. Das liegt nicht nur an Geschehnissen wie dem langwierigen Bau des Flughafens Berlin und den terroristischen Übergriffen aus der Vergangenheit. Generell werden wir zunehmend als Besserwisser wahrgenommen ohne das durch entsprechende Leistungen substantiieren zu können.
Wie nutzen Firmen die Kompetenzen der aus China zurückgekehrten Expatriates?
Die Kompetenzen der rückkehrenden Expats, die von Unternehmen nach China entsandt wurden, werden leider noch viel zu selten genutzt. Deren Erkenntnisse über die Geschäfte im Ausland werden meist noch nicht einmal abgefragt. Hier liegt viel verschwendetes Potential.
Wie könnte der von Ihnen angeregte Wissensaufbau in Deutschland konkret umgesetzt werden?
Vor allem die nächste Generation sollte gezielt an China herangeführt werden. Die Geschichte und Kultur Chinas sollte ausführlicher im deutschen Schulunterricht gelehrt, Schüleraustausch gefördert werden. Wir brauchen ein Basiswissen über chinesische Geschichte, Kultur und Gesellschaft, idealerweise auch über die Sprache. Mehr Vereine wie zum Beispiel der Verein Deutsch-Chinesische Initiativen für Unternehmen und Bildung mit seinem Motto ‚Wissen voneinander, Verständnis füreinander, Achtung voreinander, Gemeinsinn miteinander fördern‘, und eine größere Zahl von Chinaveranstaltungen in Deutschland, wären hilfreich.