Traditionelle Chinesische Medizin
„Eine dauerhafte intensive Zusammenarbeit ist für die Medizinentwicklung erforderlich" Exklusiv
Laut Angaben der Chinesischen Verwaltung für Traditionelle Chinesische Medizin fördern neben China mehr als 180 Länder und Regionen auf der ganzen Welt die chinesische Medizin. China hat mit mehr als 40 Ländern Kooperationsabkommen abgeschlossen. In vielen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland, sind einige Praktiken aus der TCM auch in der nationalen Krankenversicherung abgedeckt. Im Mai dieses Jahres überprüfte und genehmigte die 72. Weltgesundheitsversammlung die 11. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD). Darin wird die TCM zum ersten Mal offiziell einbezogen. Wie sehen Sie die Entwicklung der chinesischen Medizin in der Welt?
Diese Frage ist natürlich sehr komplex und würde eine lange Antwort erfordern. Die chinesische Medizin trifft in jedem fremden Land auf unterschiedliche Ausgangssituationen. Es ist unmöglich, da eine gemeinsame Zukunft vorauszusehen. In China gibt es den Gegensatz zwischen Chinesischer und Westlicher Medizin. Die Situation in Deutschland ist eine ganz andere. Wir sprechen nicht von „westlicher" Medizin. Wir sagen entweder nur „Medizin" oder „moderne Medizin" oder „wissenschaftliche Medizin." Das heißt nicht, dass diese Medizin in allen Bereichen wissenschaftlich legitimiert ist. Wenn wir von „wissenschaftlicher Medizin" sprechen, dann soll das heißen, dass diese Medizin bemüht ist, immer mehr wissenschaftlich legitimiert zu sein. Dieser Medizin stehen, wie in einem heilkundlichen Supermarkt, viele andere Heilweisen gegenüber, die einen anderen Grad der Wissenschaftlichkeit erreicht haben. Das sind eigene deutsche traditionelle Heilweisen, das sind auch solche, die erst in jüngerer Zeit entstanden sind, wie die Homöopathie oder die anthroposophische Heilkunde.
Aus fremden Kulturen sind der Ayurveda, die japanische Kanpo und eben auch die so genannte Chinesische Medizin hinzugekommen. Tatsächlich kann man aber nicht von einer chinesischen Medizin in Deutschland sprechen. Es existieren nebeneinander sehr viele unterschiedliche Schulen mit unterschiedlichen Deutungen der chinesischen Grundkonzepte. Diese Schulen sind zumeist der Akupunktur verpflichtet. Sie benutzen unterschiedliche Terminologien und holen sich ihr Wissen nicht nur in China, sondern auch in Japan, Korea, auf Ceylon oder auch in anderen europäischen Ländern. Der Supermarkt der verschiedenen Heilweisen wird sich vielleicht noch weiter ausweiten, aber es wird keine dieser „alternativen" Heilweisen eine dominante Rolle einnehmen können. Alle alternativen Heilweisen können auf Patienten verweisen, die sie geheilt haben, oder denen sie Linderung verschafft haben. Aber für die ernsthaften Krankheiten vertraut sich die Bevölkerung zum allergrößten Teil der modernen Medizin an.
Es gibt jedoch auch Stimmen der Opposition in der Ärzteschaft. Viele Menschen hinterfragen die Behandlung durch TCM und äußern Sorgen, dass in chinesischen pflanzlichen Medikamenten Pestizide oder Schwermetallrückstände enthalten sind. Im letzten Monat wurden beispielsweise Chinas acht Universitäten für chinesische Medizin aus dem „World Medical School Directory" gestrichen, was in der medizinischen Gemeinschaft für Aufruhr gesorgt hat. Darüber hinaus warnten Berichten zufolge der Wissenschaftsbeirat der Europäischen Akademien (ESAC) und die Föderation der Europäischen Akademien für Medizin (FEAM) davor, dass es Risiken und Unsicherheiten schaffen würde, wenn die TCM in der kommenden Ausgabe der oben erwähnten ICD enthalten sein würde. Wie sehen Sie diese Bedenken und Gegenstimmen?
Die chinesische Medizin hat ihre eigene wissenschaftliche Grundlage. Das sind die Yinyang und Fünf Phasen Theorien. Das sind säkulare, relationistische Theorien, die dem analytischen Ansatz der europäischen Naturwissenschaft gegenüberstehen. Es ist jetzt die Aufgabe, den relationistischen mit dem analytischen Ansatz zu vergleichen und wo möglich auch in Übereinstimmung zu bringen. Wer, wie die meisten Europäer, allein dem analytischen Ansatz in der Naturwissenschaft verpflichtet ist, hat Bedenken gegenüber einer Medizin, in der der analytische Ansatz bislang nur teilweise eingeführt wurde.
Ein anderer Punkt ist die Quantifizierbarkeit der Ergebnisse der Diagnose und der pathologischen und physiologischen Vorgänge insgesamt. Die moderne Medizin in Deutschland ist darauf angewiesen, dass Diagnose und Therapie für jeden nachvollziehbar sind. Das geht nur, wenn die in der Diagnose gefundenen oder in der Therapie bewirkten pathologischen und physiologischen Zustände nachprüfbar quantifiziert werden können. Nur auf dieser Grundlage kann ein System einer Krankenversicherung funktionieren. Denn nur über die nachprüfbare Quantifizierung lässt sich erkennen, ob ein medizinischer Praktiker kompetent und seine Therapie angemessen ist. Wenn Kompetenz und Angemessenheit vorhanden sind, dann kann die Krankenversicherung die Leistungen vergüten. Viele Menschen sehen in den chinesischen Diagnosemethoden keine quantifizierbaren Methoden und somit keine Möglichkeit, objektiv nachprüfbare Zustände zu beschreiben. Auch das führt zu Bedenken.
Die Medien berichten über Pestizide, Fungizide und Herbizide, die bei dem großflächigen Anbau von Heilkräutern in China zur Anwendung gelangen. Auch das bewirkt Unsicherheit und Bedenken, ob die pflanzlichen Arzneidrogen wirklich „natürlich" sind. Ganz entscheidend ist, dass es nur punktuelle Dialoge zwischen chinesischen und „westlichen" Experten der so genannten Traditionellen Chinesischen Medizin gibt. Chinesische Ärzte in westlichen Ländern nehmen nur in sehr geringer Zahl an Fortbildungstagungen teil. Das deutet eine mangelnde Transparenz an und viele Menschen in westlichen Ländern finden es schwierig, den Praktiker der so genannten TCM zu vertrauen, da es keine Hinweise auf ein standardisiertes Ausbildungssystem gibt, dessen Absolventen alle einen hohen Grad an Kompetenz aufweisen.
Berichte, dass in China manche Ärzte der chinesischen Medizin an einem Tag 100, 150 oder sogar 200 Patienten behandeln, lassen bei manchen Beobachtern den Zweifel aufkommen, ob es denn wirklich eine „ganzheitliche" Heilkunde ist. Sie fragen, wie die Ärzte in wenigen Minuten alles über einen Patienten erfahren können, um ihn „ganzheitlich" behandeln zu können. Und dann ist da auch immer wieder die Frage, ob eine „Medizin" ganzheitlich sein kann, die keine Chirurgie, keine Epidemiologie und vor allem kein Konzept von public health besitzt und auch keine Zahnheilkunde oder Psychiatrie. All dies sind Bedenken, die immer wieder geäußert werden. Sie stehen den Berichten derjenigen Heiler und Patienten gegenüber, die für bestimmte Leiden über sehr zufriedenstellende Anwendungen der TCM berichten können.