Traditionelle Chinesische Medizin
„Eine dauerhafte intensive Zusammenarbeit ist für die Medizinentwicklung erforderlich" Exklusiv
Welchen Rat haben Sie für die Förderung der chinesischen Medizin und die Förderung der chinesischen Medizinkultur in China und auf der ganzen Welt?
Auch das ist sehr schwierig zu beantworten. Medizin geht auf die existentielle Bedrohung der Menschen durch Krankheit, Schmerz und vielleicht frühen Tod ein. Das sind keine mechanischen Probleme, das sind zutiefst emotionale Probleme. Wenn die chinesische Medizin in Deutschland Erfolg haben will, muss sie auf die Sorgen der Menschen und auf die Vorstellungen eingehen, die die Menschen von einem idealen Umgang mit ihren Krankheiten und Leiden haben. Nur wenige chinesische Autoren kennen die Psyche deutscher Leser und schreiben in einer Sprache, die dieser Psyche entspricht. Solange die chinesische Medizin in Deutschland mit vielen, oft auch einander widersprechenden Aussagen und Meinungen auftritt, wird sie es schwer haben, sich noch weiter auszudehnen. Eine Frage ist, ob sie in Konfrontation zu der modernen Medizin auftreten möchte, oder lieber in enger Zusammenarbeit, um dort Lücken zu füllen, die die moderne Medizin nicht füllen kann.
Die Situation in unserem Nachbarland Frankreich oder auch England ist wieder eine ganz andere als in Deutschland. Die Anforderungen an Praktiker, die Gesetzgebungen zur Krankenversicherung, die Mentalität, wie man mit Krankheit umgehen sollte, all dies ändert sich von Staat zu Staat. Will man eine seriöse Voraussage machen, wie chinesische Medizinkultur außerhalb Chinas gefördert werden kann, dann muss man die Situation in jedem einzelnen Land in Augenschein nehmen.
Auch in China selbst ist die Situation nicht einfach; sie wird wohl von Generation zu Generation schwieriger. Junge Menschen in China wachsen umgeben von moderner Wissenschaft und Technologie auf. Wenn sie dann 18, 20 oder 25 Jahre alt sind und sich für Chinesische Medizin zu interessieren beginnen, wird es von Jahrgang zu Jahrgang immer schwieriger, das moderne Denken abzulegen und das antike relationistische Denken mitsamt der gesamten Terminologie noch zu erlernen, ohne im Oberflächlichen stecken zu bleiben. Es wird immer schwieriger, den jungen Leuten die antiken Konzepte zu vermitteln.
Ihr neues Buch wird in Kürze veröffentlicht und erzählt aus der Perspektive eines Ausländers über China. Können Sie dieses Buch kurz vorstellen?
Der Arbeitstitel lautet 中国之殇,中国之强. Das Buch analysiert die politische Geschichte Chinas vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Es zeigt auf, wie China von den europäischen Mächten, von Russland, den USA und schließlich Japan Verluste an Territorium und Souveränität zugefügt wurden, mit einem Tiefpunkt im Jahr 1915, als Japan die berüchtigten 21 Forderungen an China stellte. Heute ist China wieder eines der mächtigsten Länder der Welt und hat in Wissenschaft und Technologie die Länder des Westens vielfach nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt. In seinem zweiten Teil untersucht das Buch die Gründe für diesen welthistorisch einmaligen Wiederaufstieg aus tiefer Demütigung hin zu Selbstbewusstsein und Stärke. Grundlage für diese beeindruckende Leistung ist das Primat einer der Vernunft und nicht den Emotionen folgenden Politik. Die Verantwortlichen in China im 20. Jahrhundert haben erkannt, dass man auf die Demütigungen durch die ausländischen Mächte nicht mit Emotionen, sondern mit Vernunft reagieren muss. Diese Vernunft diktierte, dass man von den fremden Mächten vieles lernen und übernehmen muss, um selbst wieder stark zu werden. Diese Maxime hat China 100 Jahre lang verfolgt. Nun kann das Land auch wieder verstärkt sein eigenes kulturelles Erbe in Augenschein nehmen und eine neue Zukunft aufbauen.
In diesem Jahr hat China den 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China gefeiert. In diesen 70 Jahren hat das Land in verschiedenen Bereichen große Fortschritte erzielt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung Chinas im medizinischen Bereich?
Mein erster Besuch in der VR China fand im Jahre 1978 statt. Ich war Mitglied einer Delegation des deutschen Bundesgesundheitsministeriums unter der Leitung des Staatssekretärs Wolter. Wir haben damals viele Vorträge gehört und viele Hospitäler und Fabriken besucht. Der Unterschied zu heute ist frappierend. Heute kann man in China Ärzte finden, die genauso kompetent sind, wie in den europäischen Ländern auch. Ein Problem, das sich in jedem Land mit einem modernen, oft auch high tech gesteuerten Gesundheitssystem ausstattet, ist die Zugangsgerechtigkeit. Da hat Deutschland es einfach. Das mehr als 100 Jahre alte Krankenversicherungssystem erlaubt es buchstäblich der gesamten Bevölkerung, kostenlose Krankenversicherung für die Grundversorgung in der Medizin, in Anspruch zu nehmen. China hat einen ganz anderen historischen Hintergrund. Auch die Bevölkerung hat oftmals eine andere Einstellung zu ihren Ärzten. Der vielfache Austausch zwischen chinesischen und deutschen, bzw. westlichen, Ärzten und Wissenschaftlern bewirkt, dass sich die Unterschiede allmählich abschwächen. Daher ist eine dauerhafte, intensive Zusammenarbeit erforderlich. Beide Seiten können voneinander lernen.